Weltbörsen:Die Warnung des Chefbankers

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Auf einer Investorentagung spricht ein bekannter Bankchef Klartext: Weltweit interessieren sich immer weniger Investoren für Europa. Selbst Anleger auf dem Kontinent verlieren nun das Vertrauen.

Von Victor Gojdka, München

Normalerweise üben sich Banker sprachlich in äußerster Zurückhaltung. Bloß nicht zu viel Klartext reden, man könnte ja anecken. Öffentlich aus privaten Gesprächen zitieren? Das geht gar nicht. Umso mehr hat es viele überrascht, dass ausgerechnet der Chef der Deutschen Bank nun vor hochrangigen Investoren auf einer Londoner Konferenz freimütig aus Gesprächen mit Investoren in Asien berichtete. Die Quintessenz: Europa sei den Finanzprofis dort inzwischen ziemlich egal. "Wir sind einfach nicht mehr interessant für viele Investoren", sagte Chefbanker Sewing. Das hatte gesessen.

Der Bankchef brachte damit auf den Punkt, was inzwischen viele aufmerksame Investoren konstatieren: Am Aktienmarkt hängen die Vereinigten Staaten den alten Kontinent ab, und zwar gefährlich weit. Während der amerikanische Leitindex S&P 500 in den vergangenen zehn Jahren um 180 Prozent geklettert ist, hinkt das europäische Aktienbarometer MSCI Europe hinterher: Im gleichen Zeitraum hat es nur etwa 60 Prozent zugelegt. "Die Investoren haben recht, wenn sie sich um die Aussichten für Euroland sorgen", sagt Aktienstratege Patrick Artus von der Investmentbank Natixis. Der Schlachtruf an den Aktienbörsen scheint derzeit klar. USA? Hot. Europa? Not.

Selbst Europäer kündigen dem Kontinent die Treue

Besonders deutlich wurde das in einer Stellungnahme von Egil Matsen. Der Mann ist einer der weltweit einflussreichsten Investoren, seines Zeichens stellvertretender Gouverneur beim Norwegischen Staatsfonds. Was viele den "Sparstrumpf der Norweger" nennen, ist in Wahrheit einbillionenschwerer Fonds, der so viel Geld verwaltet wie kein anderer Staatsfonds auf dem Globus. Ein Seismograf in Oslo für Investoren. Mit anderen Worten: Was Matsen und seine Kollegen zu Protokoll geben, verfolgen Finanzprofis rund um den Globus genau. Vor genau einem Monat nun wagten sich auch Matsen und seine Kollegen weit aus dem Fenster. Sie empfahlen, das Gewicht europäischer Aktien im Portfolio der Norweger weiter zu drücken. Und das Geld stattdessen lieber in amerikanische Aktien zu schieben. Wenn ausgerechnet ein Land auf dem europäischen Kontinent den eigenen Aktien die Treue kündigen würde, dann hätte das hohe Symbolkraft.

Warum die europäischen Aktien am internationalen Finanzparkett inzwischen offenbar in die zweite Liga durchgereicht wurden, lässt sich gleich mit einem ganzen Strauß an Gründen erklären. Erstens ist die europäische Wirtschaft viel exportabhängiger als die stärker konsumfokussierte Volkswirtschaft der Amerikaner. Der Handelsstreit schlägt also hierzulande stärker ins Kontor. Besonders Deutschland steht gerade am Rand einer Rezession. "Und Deutschland als europäischer Wirtschaftsmotor steckt seine Nachbarn an", gibt Stéphane Dutu vom Vermögensverwalter Unigestion zu Protokoll. Das schlägt sich in den Zahlen nieder: Für Europa erwarten die Statistiker des Internationalen Währungsfonds für dieses Jahr ein Wachstum von nur noch 1,3 Prozent. Die USA dürften mit 2,6 Prozent Wachstum unter dem Strich ein anderes Tempo vorlegen.

Finanzprofis ziehen Riesensumme ab

Hinzu kommt, dass die Kernindustrien der Europäer nicht mehr als attraktiv gelten. Die Autokonzerne, die Chemieunternehmen und Maschinenbauer - die einst gefeierten Branchen wecken bei vielen Investoren kaum noch Euphorie. Mancher sagt sie gar schon tot: "Die Eurozone wird noch auf lange Sicht darunter leiden, dass sie in hohem Maße von vergangenen Branchen abhängig ist", behauptet Patrick Artus vom Beratungsunternehmen Natixis. In den USA wiederum sind inzwischen die Tech-Unternehmen wie Google, Amazon oder Microsoft zu den wesentlichen Treibern am Aktienmarkt geworden. Und selbst im Falle einer drastischen Krise, dürften die Amerikaner mehr Manövrierraum haben: Die Zinsen der amerikanischen Notenbank sind lange nicht so weit nach unten gerutscht wie in Europa. Heißt im Umkehrschluss: Im Zweifel haben die Notenbanker in Übersee deutlich mehr Möglichkeiten, mit tieferen Zinsen die Wirtschaft anzukurbeln.

Es sind beeindruckende Zahlen, die zeigen, wie sehr sich Investoren rund um den Globus dieser Lesart derzeit anschließen. Die aktuellsten Daten zeigen, dass Fondsmanager in der Woche bis zum 18. September mehr als eine Milliarde Dollar aus europäischen Aktienfonds abgezogen haben. Und über 20 Milliarden über den Atlantik in Aktien der Amerikaner geschoben haben. "Für Europa hat sich der Himmel verdunkelt", sagte Bankchef Sewing.

Manche glauben an den alten Kontinent

Doch längst nicht alle sehen die Aussichten für europäische Aktien so düster wie der Bankmanager. Denn in diesem Jahr zeigen sich amerikanische und europäische Aktien im Gleichschritt. Sowohl der europäische Leitindex Eurostoxx 50 als auch der amerikanische S&P 500 sind seit Jahresbeginn um 18 Prozent gestiegen. Die Lücke zwischen den beiden Kontinenten könnte sich tendenziell also schließen. Denn gerade die großen Wachstumstreiber an den US-Börsen könnten in den kommenden Jahren Schubkraft verlieren. "Die Tech-Konzerne dort dürften stärker unter kritische Beobachtung kommen", sagt Aktienstratege Markus Reinwand von der Landesbank Hessen-Thüringen. Auf mittlere Sicht dürften sich auch die alten Konzerne des alten Kontinents neu erfinden. Das jedoch macht klar: Wer am Aktienmarkt auf Europa setzt, dürfte dabei einen langen Atem brauchen.

© SZ vom 27.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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