Weitgehende Änderungen geplant:Finanzminister durchlöchern den Stabilitätspakt

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Zahlreiche EU-Staaten favorisieren Ausnahmen von der Regel, wonach das Haushaltsdefizit höchstens drei Prozent betragen darf. Für Datenfälscher Griechenland sind Sanktionen im Gespräch, aber noch nicht entschieden.

Von Alexander Hagelüken

Nachdem die EU-Finanzminister erstmals über eine Reform des Stabilitätspaktes beraten haben, zeichnen sich weitgehende Änderungen ab. So schlagen die Staaten zahlreiche Ausnahmen vor, die ein Defizit von mehr als drei Prozent erlauben sollen.

Osteuropäische Staaten wollen Pensionszahlungen herausrechnen, Frankreich Ausgaben für Forschung und Technologie, Deutschland Beiträge an den EU-Haushalt.

Das Ende der drei Prozent

Dabei würde der bisherige Mechanismus auf dem Papier bestehen bleiben. Wer eine Haushaltslücke von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts produziert, bekommt ein EU-Strafverfahren. Diese Regel könnten die 25 Finanzminister nur einstimmig kippen, was unwahrscheinlich ist.

Deshalb wollen die Anhänger größerer Milde die Ausnahmen im weiteren Verfahren greifen lassen. EU-Kommission und Finanzminister sollen einen Defizitsünder sanft behandeln, der viel in die EU-Kasse zahlt, Pensionslasten hat oder Innovationen fördert.

Der niederländische Finanzminister und amtierende Ratsvorsitzende Gerrit Zalm sagte, mehrere Staaten hätten sich dafür ausgesprochen, unter bestimmten Umständen eine größere Flexibilität bei der Auslegung des Paktes walten zu lassen.

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, Staaten in der Wirtschaftsschwäche mehr Zeit zum Abbau ihrer Defizite zu geben. Dieser Vorschlag wurde begrüßt. Einen Bonus sollen auch Länder erhalten, die wirtschaftliche Reformen eingeleitet haben, die noch nicht voll wirken.

Beschließen die EU-Staaten dieses Ausnahmenprogramm endgültig, dürfte die Drei-Prozent-Regel nur noch in seltenen Fällen angewandt werden. Das strenge Spargebot war einst auf Druck der Bundesregierung entstanden, die den Deutschen die Angst vor dem Euro als Weichwährung nehmen wollte.

"Der Rechenschieber reicht nicht"

Jean-Claude Juncker, Luxemburger Amtschef und künftig fester Vorsitzender des Rates der Euro-Finanzminister, nannte eine Reform des Paktes etwas "ganz Normales".

Nach sechs Jahren sei es Zeit, Bilanz zu ziehen. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) forderte eine "ökonomisch vernünftige Anwendung" des Pakts: "Der Rechenschieber reicht nicht."

Deutschland, das seit 2002 dreimal gegen die Defizitgrenze verstoßen hat und 2005 erneut verstoßen könnte, würde von zahlreichen der vorgeschlagenen Ausnahmen profitieren. Die EU-Kommission will Defizitstaaten in der Konjunkturschwäche milder behandeln, hält aber nichts von den anderen Ausnahmen.

Die Europäische Zentralbank spricht sich gegen eine Veränderung des Stabilitätspaktes aus.

Eichel verteidigte seinen Vorstoß, Nettozahler in die EU-Kasse milder zu behandeln. Im deutschen Defizit von 3,5 Prozent stecke ein halbes Prozent (7,5 Milliarden Euro) Zahlungen an die EU.

Portugal dagegen erhalte zweieinhalb Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus Brüssel. Während der Nettoempfänger dadurch sein Defizit reduzieren könne, wirke die Nettozahlerrolle für Deutschland belastend.

Der österreichische Finanzminister Karlheinz Grasser schlägt einen Sanktionsmechanismus nach dem Vorbild des Defizit-Strafverfahrens für Länder vor, die sich künftig nach dem Vorbild Griechenlands in die Eurozone lügen oder später zu hohe Defizite verschleiern.

Eichel nannte diese Forderung "interessant". Es könne nicht sein, dass der Staat bestraft werde, der mit korrekten Zahlen die drei Prozent überschreite, aber nicht das Land, das nur wegen falscher Zahlen darunter bleibe.

Sanktionen gegen Athen

Bindend wollen die Finanzminister über den Fall Griechenland erst am 7. Dezember entscheiden. Dann befinden sie, ob das Land die notwendigen Maßnahmen durchführt, um das Defizit 2005 erstmals unter drei Prozent zu führen.

Es zeichnet sich jedoch ab, dass den Griechen ein Aufschub bis 2006 gewährt wird, da ihre Haushaltslücke dieses Jahr mit 5,5 Prozent sehr hoch liegt und eine volle Korrektur starke Sparanstrengungen erfordern würde.

Im Rahmen des Strafverfahrens wäre der Entzug von EU-Subventionen denkbar. Griechenland hatte sich 2000 mit gefälschten Zahlen den Beitritt zur Euro-Zone erschlichen und seitdem zu hohe Defizite verschleiert. Die EU-Kommission will ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

© SZ vom 17.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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