Wegwerfgesellschaft:Globaler Handel mit gebrauchten Kleidern

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Von den USA über Kanada nach Afrika: Die Altkleiderindustrie Nordamerikas überschwemmt die Welt mit Second-Hand-Klamotten.

Von Bernadette Calonego

In alter Kleidung kann sich ein Vermögen verbergen - und eine ganze Industrie. Wo viele wohlhabende Leute leben, floriert das Geschäft mit Gebrauchtkleidern.

Verkauf von Altkleidern in der Dritten Welt. (Foto: Foto: Reuters)

Allein in der Wegwerfgesellschaft der Vereinigten Staaten generieren ausgemusterte Textilien einen Umsatz von über einer Milliarde US-Dollar jährlich. Nordamerikas Zentrum für Gebrauchtkleiderhandel liegt aber nicht mehr in den USA, sondern in der kanadischen Stadt Toronto.

Dort nehmen fleißige Immigranten den Amerikanern immer mehr Exportgeschäfte weg. Im Großraum Toronto leben etwa 45 Prozent Einwanderer. Viele von ihnen sind findige Kleinunternehmer, die über Kontakte in die Dritte Welt verfügen.

Aussortiert in bis zu 400 Kategorien

Denn die gebrauchten Kleider, die in Toronto in bis zu 400 Kategorien aussortiert werden - nach Stoff, Qualität und Kleidertyp - landen vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika. Dort würden sie "im Bazar, auf dem Flohmarkt oder in kleinen Läden" verkauft, sagt Bernard Brill, Vizepräsident von Secondary Materials and Recycled Textiles Association, einer US-Vereinigung der Altkleiderhändler.

Die Kleinfirmen in Toronto profitieren dabei vom gewaltigen Volumen an gebrauchten Kleidern aus den USA. Die Amerikaner kauften nach einem Bericht des Inquirer im Jahr 2002 insgesamt 14,8 Milliarden Kleidungsstücke. 1991 waren es noch 8,5 Milliarden. Der Grund: Die US-Konsumenten bezahlen immer weniger für ihre Körperhüllen und wechseln sie immer schneller.

2003 wurden in den USA 97 Prozent aller Bekleidungsstücke im Ausland gefertigt, wo die Löhne niedriger sind. Das zeigt sich im Konsumentenpreis-Index: Von 1993 bis 2003 stieg der Gesamtindex in den USA um 27 Prozent. Während derselben Periode fiel der Index für Kleiderpreise nur um zehn Prozent.

Kongo, Algerien, Ghana

Die ausgemusterten Kleider gelangen zunächst zu Wohltätigkeitsorganisationen und Second-Hand-Läden. Der Rest wird für 5 bis 50 Cent pro Kilo an Händler verkauft. Kanadische Händler kaufen die Altkleider für weniger als 20 Cent pro Kilogramm, verlesen die Gebrauchtware und versenden sie etwa in den Kongo, nach Algerien oder Ghana.

Der US-Journalist Bob Fernandez fand heraus, dass der Export nach Kanada in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 600 Prozent auf 86 Millionen Kilogramm zugenommen hat. Das sind etwa 25 Prozent aller von Amerika ausgeführten Altkleider - mehr als 4000 Traktorenladungen.

In den Vorstädten von Toronto, wo die meisten Immigranten und Arbeiter leben, operieren Dutzende von Firmen in alten Lagerhäusern und ausgedienten Fabriken.

Eine verschwiegene Branche

Es ist eine emsige, aber verschwiegene Branche, die das Rampenlicht scheut. "Man könnte ein ganzes Buch über die Gebrauchtkleiderindustrie in Toronto schreiben", hatte Farokh Ghadially, Manager der Altkleiderfirma H. Selb International in Toronto, erst vor kurzem erklärt: "Eine ganze Infrastruktur lebt von diesem Geschäft."

Heute will Ghadially, Mitglied der Vereinigung Kanadischer Textilverwerter, nicht einmal mehr verraten, wie viele Firmen in Toronto davon leben. "Wir sind keine organisierte Branche", sagt er.

Andere Altkleiderunternehmer wiegeln ebenfalls ab. Auch die Behörden in Kanada haben keine Übersicht über diese wachsende Industrie.

Umsatz fließt nach Toronto ab

In Amerika aber spürt man den Abfluss von Umsatz nach Toronto. "Die Zahl unserer Altkleiderfirmen hat abgenommen", sagt Verbands-Vize Brill.

Er macht die niedrigeren Betriebskosten in der "Brutstätte" Toronto für die Abwanderung verantwortlich. Der stark wachsende Export von Altkleidern aus den USA - für die vergangenen zehn Jahre beträgt die Steigerung 80 Prozent - erzeugt noch weitere Probleme.

Allein 2003 exportierten die USA insgesamt 345 Millionen Kilogramm oder 17.000 Traktorenladungen Altkleider. Nicht nur in Kanada, sondern auch in Südamerika oder Afrika entstanden Altkleiderindustrien.

Sie wuchsen so stark, dass Länder wie Mexiko, Paraguay, Venezuela, Nigeria, Sudan und Simbabwe den Import von amerikanischen Gebrauchtkleidern verboten oder mit Schutzzöllen belegt haben, um die heimische Kleiderindustrie zu schützen.

Alle sechs Wochen eine neue Mode

Die Flut von getragenen Textilien aus den USA wird vorerst nicht abnehmen. Denn Kleiderladenketten wie "Banana Republic" oder "Gap" präsentieren heute alle sechs Wochen eine neue Mode.

© SZ vom 05.04.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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