Wechsel-Gerüchte:Hat er Zeit für Die Zeit?

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Der Tagesspiegel hat sich aufgehübscht — und was wird aus Giovanni di Lorenzo?

Von Hans-Jürgen Jakobs und Christiane Kögel

Die Blue Men Group hat sich aus kleinen New Yorker Theatern zur Weltgeltung hoch gearbeitet. Die stets in Blau auftretenden Performacekünstler hämmern und klettern lustvoll auf der Bühne, und ihr lebhaftes Wesen hat auch den Leuten des Tagesspiegel in Berlin gut gefallen: So gut, dass die in Deutschland debütierenden Amerikaner am Mittwoch bei ihrem Zeitungsfest auftreten.

Chefredakteur di Lorenzo: Zeit für Die Zeit? Foto: ddp (Foto: N/A)

Im Zelt Pomp Duck und Circumstances in Kreuzberg wird Chefredakteur Giovanni di Lorenzo dabei seine inhaltlich und grafisch neugestaltete Zeitung vorstellen. Der Tagesspiegel, mit einer Auflage von 146.000 hinter Berliner Zeitung und Berliner Morgenpost drittgrößte Abonnementzeitung der Hauptstadt, hat sich erfolgreich aufgehübscht, um am Kiosk und bei Jungen zu gewinnen.

Blattreform für mehr junge Leser

So ziert nun die Frontseite ein vom Guardian entnommener "englischer Balken" (di Lorenzo) mit Themenhinweisen. Es gibt eine "blaue Seite" mit lesernahen Themen wie Computer, Verbrauchertests und Geld, eine Seite "Fragen des Tages" sowie eine Jugendseite (Werbinich).

Doch in den Kreuzberger Nächten drehen sich die Gespräche nicht nur um das neue Gesicht des Tagesspiegel, sondern wieder mal um das gut bekannte Gesicht des Chefredakteurs.

Seit Monaten schon gibt es Gerüchte in der Branche, di Lorenzo, 45, werde bald Chefredakteur des ebenfalls zum Holtzbrinck-Konzern gehörenden Wochenblatts Die Zeit. Und tatsächlich: Verleger Dieter von Holtzbrinck und Geschäftsführer Michael Grabner haben ihm offenbar bereits im Februar ein entsprechendes Angebot gemacht.

Verhandlungen mit Axel Springer

Es wird, nach Lage der Dinge, zum Wechsel kommen - wenn ein paar Sachen geklärt sind. Zum Beispiel: Kann di Lorenzo als gewichtiger Zeit-Chef weiterhin die launige TV-Talkshow III nach 9 im NDR moderieren? Holt er Christoph Amend, Stephan Lebert und andere Vertraute nach? Wie sind die Kompetenzen gegenüber den Zeit-Herausgebern?

Dort fiel zuletzt sogar Externen auf, dass die zusätzlich als Chefredakteure wirkenden Michael Naumann und Josef Joffe nicht sehr harmonisch wirken. Die Holtzbrinck-Manager wollen sogar mitbekommen haben, dass Joffe mit Axel Springer ( Welt, Welt am Sonntag) verhandele.

Letzter Stand der Gerüchte: Ein Posten als "Editor-at-large" in München - das lässt alle Freiheiten. Joffe, dessen Vertrag bis 2005 läuft, erklärt auf Anfrage: "Quatsch. Es gibt kein Angebot von Springer."

Personalwechsel derzeit nicht aktuell

Am Montag schrieb Joffe im Tagesspiegel zur Frage: "Was macht die Welt?" Max-Frisch-Fan Naumann wiederum hat Troja im Kino gesehen und findet, man solle in Hexametern sprechen: "Nimmer vermag es ,Wahrheit' zu heißen, Gerüchte, die nimmer zu löschenden einst."

Verlagsmanager Grabner sagt, ein Personalwechsel sei "derzeit nicht aktuell". Es müsse für ein Unternehmen aber einen "Diskretraum geben, in dem es aktiv Personalpolitik macht".

Diskret? Aktive Politik? Die Causa hat viel Unruhe in den Tagesspiegel gebracht, dessen geplante verlagswirtschaftliche Fusion mit der Berliner Zeitung ohnehin rechtlich hakt.

Nachfolger klonen

Di Lorenzo führt auf jeden Fall seine Blattreform ein. Er will alles gut geordnet haben. Er soll Angebote anderer Verlage besitzen, auch fürs Management. Als Tagesspiegel-Nachfolger wurden seine Stellvertreter Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt gehandelt, doch offenbar präferieren einige bei Holtzbrinck einen starken, charismatischen Chef, also einen Klon von di Lorenzo. Durch ihn war der Tagesspiegel öfter im Gespräch als es dem Redaktionsetat (wohl unter 20 Millionen Euro) entspricht.

Er halte viel "von der Zeitung der zwei Geschwindigkeiten". Auf jeden Fall gelte der Kampf "den mittelmäßigen, mittellangen Artikeln", sagt di Lorenzo zu der gut vorbereiteten Reform des Tagesspiegel. Zu den Wechselgerüchten äußert er sich nicht.

© SZ vom 11.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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