Web 2.0-Gründer:Der Internetfreund

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Mit seiner Firma Wangyou.com stillt der Unternehmer Ye Ling die Sehnsucht der Chinesen nach der virtuellen Welt

Janis Vougioukas

Eine dichte Wolke Zigarettenrauch schwebt über der langen Reihe von Flachbildschirmen. Schon am frühen Abend ist das Internetcafé in der Pekinger Innenstadt voll besetzt. Menschen starren auf die flimmernden Schirme, alle sind sehr jung. Auch Ye Ling will jung wirken.

Der 32-Jährige trägt einen blauen Pullover und eine Stoffhose. Er schreitet durch die Reihen, schielt auf die Bildschirme und blickt in die abwesend wirkenden Gesichter der Internetsurfer. Niemand scheint Ye zu bemerken. ,,Das sind alles meine Kunden. Ich gebe ihnen, was sie brauchen'', sagt Ye. So hätte das auch ein Drogendealer formulieren können. Und ganz abwegig ist der Vergleich nicht. Chinas Jugend ist onlinesüchtig.

Ye Ling ist Internetunternehmer.Fast jede Woche besucht er eines der vielen tausend Internetcafés in Peking. Manchmal lädt er Schüler und Studenten zu einer Nudelsuppe ein, seine Art der Marktforschung. Ein bis zwei Yuan, umgerechnet zehn bis 20 Cent, kostet eine Stunde Surfen.

Für viele junge Chinesen ist das Netz die wichtigste Freizeitbeschäftigung geworden, Treffpunkt für Freunde, ein Ort ohne den Erwartungsdruck der Eltern und den strengen Drill der Schule, eine Traumwelt. Genau da will Ye mit seiner Firma Wangyou.com sein. Gut 130 Millionen Internetnutzer gibt es in China, allein im vergangenen Jahr stieg ihre Zahl um ein Drittel. Eine ganze Generation wächst online auf: Chinesen Version 2.0.

,,China ist vielleicht das tollste Land, um ein Internetunternehmen zu gründen'', sagt Ye Ling auf dem Weg zu seinem Büro im 15. Stock eines verglasten Hochhauses. Im Flur grelles Neonlicht und Topfpflanzen. Hier laufen die virtuellen Fäden von Wangyou.com zusammen.

Ye gründete seine Firma vor vier Jahren. Mit fast zehn Millionen Nutzern gehört Wangyou.com inzwischen zu den beliebtesten Online-Gemeinschaften im Internet. Wangyou - auf Deutsch ,,Internetfreund'' - funktioniert wie eine Bühne. Jeder Nutzer kann selbst aufgenommene Lieder, Filme, Gedichte, Fotos auf die Internetseite laden. Der Erfolg der Firma beruht darauf, dass Redakteure aus den Sequenzen der Amateurkunst Radio- und Filmsendungen zusammenschneiden, die landesweit an Universitäten und Schulen ausgestrahlt werden.

Niemand bemerkt den Chef

Auf Wangyou.com kann man ein Star werden. Ye hat inzwischen sogar eine Agentur gegründet, um die besten Neuentdeckungen seiner Webseite zu vermarkten.

Die Techniker haben ihre Schreibtische im hinteren Ende des Großraumbüros zusammengerückt. Es ist zweckmäßig, unverziert, viele Büromöbel sind gerade erst ausgepackt worden und die Verpackungen liegen aufgestapelt an der Wand. Niemand hat bemerkt, dass der Chef das Büro betreten hat.

Im Nebenraum, in dem mehr Frauen als Männer sitzen, geht es bunter zu. Viele haben ihren Arbeitsplatz mit Puppen und Stofftieren ausstaffiert. ,,Hier sitzen die Designer der Webseiten'', sagt Ye. Die größte Abteilung in der Pekinger Firmenzentrale durchsucht die Beiträge der Nutzer auf ,,schädliche Inhalte''. Die chinesischen Behörden überwachen das Internet streng.

Ye muss sich und die Nutzer von Wangyou schützen. Aber nur selten stoßen seine 25 eigenen Kontrolleure, die täglich 6000 neue Filme und 40000 Bilder prüfen, auf vermeintlich zweifelhafte Inhalte. ,,Meine Nutzer sind sehr unpolitisch'', sagt Ye. Die meisten seiner 110 Mitarbeiter sind selbst ehemalige Mitglieder seiner Internet-Gemeinschaft. Das Durchschnittsalter liegt bei 22 Jahren.

Ye stammt aus der Stadt Chengdu, Hauptstadt der südwest-chinesischen Provinz Sichuan. Nach dem Studium in England begann er seine berufliche Karrie beim Logistikkonzern DHL in Basel. Er war der einzige Chinese im Hochhaus. Die Sprache bereitete ihm Schwierigkeiten.

Sämtliche Topmanager kamen aus Bonn, wo mit der Deutschen Post der Mutterkonzern von DHL sitzt. ,,Alles bewegte sich sehr, sehr langsam'', erzählt Ye. Er beschloss nach einem halben Jahr, nach China zurückzukehren. In Schanghai wurde er Unternehmensberater und das Internet war eines seiner wichtigsten Themen. Während seiner Jahre im Ausland hatte sich China gewandelt. Ye nennt es ,,die große Befreiung.''

Geldgeber aus Amerika

Während des Studiums hatte Ye drei Freundinnen, ,,nacheinander, natürlich'', betont er. Keinem einzigen Mädchen habe er gesagt, dass er es liebe. Er hat sich nicht getraut. ,,Meine Generation ist verklemmt und schüchtern. Wir würden nie etwas auf einer Bühne vortragen, wenn wir nicht zu hundert Prozent von uns überzeugt sind.'' Mittlerweile ist Ye verheiratet. Im Dezember kam sein erstes Kind zur Welt.

Der gesellschaftliche Wandel hat sich fast über Nacht vollzogen. ,,Zum ersten Mal seit 3000 Jahren gieren die Jugendlichen danach, ihre Persönlichkeit auszudrücken'', sagt Ye. So entstand die Idee zu Wangyou.com. Er hat immer noch nicht das Gefühl, die junge Generation wirklich zu verstehen. Und doch redet Ye wie der Anführer einer sozialen Bewegung, die irgendwo in den Datenleitungen in China entstanden ist. Ye treibt im Aufwind. Wangyou.com hat nicht einmal eine Marketingabteilung. Seine Nutzer haben selber für den Erfolg gesorgt.

Im März vergangenen Jahres hat die amerikanische Beteiligungsgesellschaft Charles River Ventures in sein Unternehmen investiert, nach Medienberichten sollen es fünf Millionen Dollar gewesen sein.

In der zweiten Jahreshälfte will Ye schwarze Zahlen schreiben. Irgendwann wird er seine Firma an die Börse bringen und am Tag der Erstnotierung mehrfacher Millionär werden. Doch er plant noch langfristiger. Die meisten seiner Nutzer sind derzeit noch Schulkinder. ,,Die werden bald erwachsen und Geld verdienen'', sagt Ye. ,,Und wir werden mit ihnen wachsen.'' Er will seine genauen Pläne noch nicht verraten. Aber er wird in den nächsten Jahren noch oft durch die Pekinger Internetcafés schleichen.

© SZ vom 5.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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