Ruhig fließt der Tajo unterhalb der Altstadt von Toledo. An den Felsen zeigen ausgewaschene helle Streifen, wie hoch das Wasser normalerweise in den Regenmonaten steht. Das sind traditionell in Zentralspanien der Februar und der November. Doch in diesem Winter liegt der Wasserstand drei Meter unter dem üblichen Niveau. Der längste Fluss der Iberischen Halbinsel führt viel zu wenig Wasser für die Jahreszeit. So wenig wie jetzt hat es in den vergangenen 52 Jahren nicht geregnet. Solange werden Wetterdaten und Wasserstände in Spanien systematisch erfasst.
In Toledo, der Hauptstadt von Kastilien-La Mancha, tagten in den vergangenen Monaten wiederholt Experten der Konföderation für die Wasserwirtschaft des Tajo, die dem spanischen Landwirtschaftsministerium untersteht, und Vertreter der am meisten von der Dürre betroffenen Regionen, um einen neuen "nationalen Wasserplan" auszuarbeiten. Er soll die Verteilung der Ressourcen effektiver reglementieren und der Landwirtschaft ermöglichen, besser zu kalkulieren.
Der Plan soll auch helfen, handfeste politische Konflikte um das begehrte Nass zu entschärfen. Zum einen ist dies ein innerspanischer Streit, vor allem zwischen dem kargen Kastilien-La Mancha und dem fast subtropischen Murcia am Mittelmeer, zum anderen aber hat das Problem längst eine internationale Dimension bekommen. Denn die Portugiesen beschweren sich, dass die Spanier dem Tajo, der als Tejo bei Lissabon in den Atlantik mündet, und dem weiter nördlich fließenden Duero/Duoro viel zu viel Wasser entnehmen.
Die Oliven verkümmerten. Und die Kosten für Öl steigen bereits kräftig an
Diese beiden großen Konflikte hängen zusammen: Denn aus dem Tajo fließt eine beträchtliche Menge Wasser über einen Kanal in die Region Murcia ab, das größte Obst- und Gemüseanbaugebiet Europas. Zwar wurden in den letzten Jahrzehnten entlang der Mittelmeerküste Dutzende Entsalzungsanlagen gebaut, teilweise von der EU mitfinanziert, doch decken diese den enormen Wasserbedarf der Produzenten in Murcia und im benachbarten Andalusien nicht ab. Trotzdem wollen sie dort immer mehr produzieren, auch weil die Konsumenten in den Ländern nördlich der Alpen auch im Winter frischen Salat, Tomaten oder Erdbeeren kaufen wollen.
Das Ausbleiben der Niederschläge in diesem Jahr bedeutet schwere Einbußen für alle Branchen der Agrarwirtschaft. Auf den Feldern vieler Regionen wuchs das Getreide kaum höher als 20 Zentimeter, erstmals seit Jahrzehnten musste Spanien in großem Maßstab Korn importieren. Die Oliven, wichtigstes Exportgut Andalusiens, waren meist verkümmert, die Preise für Olivenöl schossen in die Höhe. Zwar haben die langen Schönwetterperioden für satt gereifte Weintrauben gesorgt, sodass die Experten mit einem Spitzenjahrgang 2017 rechnen; doch die Gesamternte dürfte bis zu 40 Prozent unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahre liegen.
Über die Ursache der Dürre herrscht kein Dissens unter den Meteorologen: ein hartnäckiges Azorenhoch, das die meisten Regenfronten von der Iberischen Halbinsel abhält und vermutlich eine Folge der allgemeinen Erderwärmung ist. In Spanien lagen in den letzten Jahren die Durchschnittstemperaturen schon 1,5 Grad über dem Mittelwert des 20. Jahrhunderts. In diesem Sommer kletterte an einem Dutzend Tagen das Thermometer in Kastilien-La Mancha über 40 Grad, was es nach den bisherigen Aufzeichnungen noch nie gegeben hat. Pessimisten befürchten, dass es in den nächsten Jahren so bleiben wird. Der Wassermangel wird allerdings von den Menschen so sehr verschärft, dass manche der Klimabeobachter bereits die Ausbreitung von steinwüstenähnlichen Landschaften im Süden der Halbinsel voraussagen. Die intensive Landwirtshaft und auch der Tourismus haben die Wasserversorgung an den Rand des Kollapses gebracht.
Über den Preis lässt sich der Verbrauch nicht eindämmen. Die meisten Kosten sind fix
Experten der Universität Granada, die die Verkarstung ganzer Landstriche untersuchen, mahnen Sparsamkeit beim Wasserverbrauch an. Nach Expertenmeinung ist es jedoch schwierig, den Verbrauch über den Preis zu verringern. 90 Prozent der Kosten sind fix, fallen für den Betrieb der Leitungen an. Hinzu kommt, dass viele Bauern über illegal gebohrte Brunnen Grundwasser abpumpen. In den Regionen Almería und Huelva ist der Grundwasserspiegel bis auf 500 Meter unter null gesunken; die Folgen für das Ökosystem sind noch nicht abzusehen.
Die spanische Landwirtschaft verbraucht 85 Prozent des Trinkwassers, trägt aber nur acht Prozent zum Export und noch weniger zur inländischen Wertschöpfung bei. Bislang haben nur Umweltschützer dieses Missverhältnis thematisiert, nun erreicht es auch die großen Parteien, denn die Trinkwasserversorgung vieler Städte ist gefährdet. Die Stauseen, die die Süßwasserreservoirs für die Ballungszentren bilden, sind üblicherweise Ende November zu drei viertel gefüllt. Derzeit liegt der Wert bei 38 Prozent.
Ein zweites Problem stellen die Touristenmassen dar, bis Ende 2017 wird die Rekordmarke des vergangenen Jahres von 75 Millionen Urlaubern aus dem Ausland noch einmal übertroffen. Laut Statistik verbraucht ein Urlauber pro Tag dreimal so viel Wasser wie ein Einheimischer. Diese Berechnung berücksichtigt noch nicht die kaum überschaubare Zahl an Swimmingpools in den Urlaubsgebieten und auch nicht zahllose Golfplätze, die im Sommer fast rund um die Uhr bewässert werden.
Die Wasserwirtschaftler haben keine Illusionen: Der erforderliche Mentalitätswandel wird mindestens eine Generation dauern. Ebenso der Umbau der Landwirtschaft, der auf weniger Produktion von Obst und Gemüse hinauslaufen würde. Dies aber würde auch eine Änderung des Konsumverhaltens bei den Abnehmern in Mittel- und Nordeuropa voraussetzen.
Dass die Dinge sich aber gründlich ändern müssen, haben die Einwohner Toledos in diesem Sommer nicht nur gesehen, sondern auch gerochen: Der Tajo führte so wenig Wasser, dass er nicht mehr in der Lage war, die bereits durch Kläranlagen gegangenen und somit entgifteten Abwässer weiter zu verdünnen. Es war eine braune stinkende Brühe, die an manchen Tagen unterhalb des Alcazars, der berühmten Festung mitten in der Stadt, und der ehrwürdigen Kathedrale, der Bischofskirche des Primas von Spanien, träge dahinfloss. In dem gotischen Gotteshaus wird nun an manchen Sonntagen, wie in alten Zeiten, auch um Regen gebetet.