Wall Street-Börsenskandale:In der Mitte des Orkans

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New Yorks Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer ist zum Ankläger einer skandalgebeutelten Branche geworden - und zum Robin Hood von Millionen Kleinanlegern.

Von Andreas Oldag

(SZ vom 22.11.03) — Wie kleine, gefährliche Pfeile zielen die Worte vom Podium herunter. Eliot Spitzer redet schnell und ein wenig hastig. Er streicht während kleiner Pausen über sein schütteres Haar. Dann schiebt sich sein markantes Kinn noch ein wenig weiter vor.

Der "Robin Hood der Kleinanleger" Eliot Spitzer (rote Krawatte). (Foto: Foto: AP)

Die Anleger seien betrogen worden, sagt der New Yorker Generalstaatsanwalt. Graumelierte Herren schlucken und nesteln am Jackenaufschlag.

Scharfzüngiger Redner

Es sind viele Banker und Broker von der Wall Street anwesend, die hier zwar nicht auf der Anklagebank sitzen, aber denen der scharfzüngige Redner die Leviten liest.

Solche Töne sind die Manager aus den Chefetagen nicht gewohnt. Spitzer spricht im Konferenzsaal des feinen New Yorker Plaza Hotels über die Machenschaften der Finanzindustrie, die Firmen- und Finanzskandale, die die amerikanische Wirtschaft erschüttern.

Freundlicher Beifall

Draußen braust der Autoverkehr am Central Park vorbei. Ein leichtes Beben geht durch den Saal. Spitzer erhält freundlichen Beifall für seine Rede. Nicht alle hier gehören zu seinen Unterstützern. Schnell postiert sich der Generalstaatsanwalt vor einem Mikrophon, um die Meute von Reportern noch mit Neuigkeiten über Untersuchungen seiner Behörde zu versorgen. Dann eilt er weiter.

Zum Lunch hat sich Bill Clinton angesagt. Er klopft Spitzer auf die Schulter, als wenn er sagen wollte: "Gut gemacht Junge. Weiter so." Der Altmeister in Sachen politischer Kommunikation weiß, wie man Leute für sich einnimmt.

Politischer Ritterschlag

Wenn Clinton mit am Tisch sitzt, und seinem Nachbarn freundlich zuzwinkert, gleicht das einem politischen Ritterschlag. So werden Karrieren in den USA gemacht. Spitzer könnte einmal amerikanischer Präsident werden, raunt man nicht nur in Wall-Street-Kreisen. Clinton oder sogar Kennedy seien Spitzers Vorbilder, heißt es.

Auch wenn Spitzer gewiss noch nicht im nächsten Jahr ins Weiße Haus einziehen wird, so könnte sich der demokratische Parteigänger ja um den Gouverneursposten im Bundesstaat New York bewerben, sagen seine Mitstreiter. Gewissermaßen als eine Art Aufwärmtraining für seine Karriere.

Immer präsent

Es ist die Show des Clinton oder Kennedy in Spe, die in immer neuen Varianten seit Monaten in New York abläuft. Der 44 Jahre alte Jurist und Harvard-Absolvent ist schon jetzt allseits präsent - auf Benefiz-Galas, Anhörungen des US-Kongresses und vor allem auch in den Schlagzeilen der New York Times oder des Wall Street Journals.

Der Chef-Strafverfolger ist zum Ankläger einer skandalgebeutelten Branche geworden, zugleich aber auch zum Robin Hood von Millionen von Kleinanlegern, die durch geschönte Aktienanalysen und betrügerische Investmentfonds-Manager den Glauben an den amerikanischen Weg zum Reichwerden verloren haben.

Kampf gegen die Mächtigen

Spitzer spricht ihnen aus der Seele. Er kämpft gegen die mächtige Finanzindustrie im Lande, um ein Stück Gerechtigkeit zu schaffen. Vor einem Jahr rang er den großen Investmentbanken an der Wall Street 1,4 Milliarden Dollar Vergleichszahlung wegen irreführender Aktientipps ab.

Das beglichen die Kreditinstitute zwar aus der Portokasse. Aber Spitzer stand in der Öffentlichkeit als gefeierter Held da. Nun ist es der Investmentfonds-Skandal, der die Gemüter erregt. Ein Mitarbeiter aus einer Fondsgesellschaft brachte Spitzer auf die Spur. Er plauderte über die Tricksereien und Schummeleien.

Schwere Vorwürfe

Die Vorwürfe wiegen schwer: Die milliardenschweren Fonds, die fast jeden zweiten amerikanischen Haushalt als Kunden haben, sollen mit dem Geld ihrer Klienten ohne deren Wissen kurzfristig spekuliert haben. Die auf Langzeit-Rendite abzielenden Investmentfonds werben jedoch in ihren Prospekten, dass sie solche Handelspraktiken nicht anwenden.

Durch seine Ermittlungen hat Spitzer eine Lawine losgetreten. Die Crème de la Crème der Branche, darunter Putnam Investments, Charles Schwab und Strong Capital, sind mittlerweile zu Kreuze gekrochen und haben Unregelmäßigkeiten eingeräumt. Manager mussten ihren Hut nehmen. Experten schätzen den Schaden zu Lasten der Anleger auf jährlich vier bis fünf Milliarden Dollar.

Bush muss sich fürchten

Das mag im Verhältnis zum Anlagekapital von sieben Billionen Dollar eine geringe Summe sein. Doch mittlerweile muss sogar US-Präsident George W. Bush wegen des Skandals um seine Wiederwahl 2004 fürchten. Seine Berater warnen vor einem Vertrauensverlust in die US-Wirtschaft, falls die Anleger ihr Geld aus den Fonds massenweise zurückziehen und als Folge die Kurse an der Börse purzeln.

Spitzer befindet sich unversehens im Zentrum eines politischen Orkans. Er weiß, dass er vielleicht mit über das Schicksal des konservativen Präsidenten entscheidet. Doch auch die Gegner des Generalstaatsanwalts formieren sich. Sie sitzen in den Reihen der Kongressabgeordneten. Viele von ihnen haben beste Verbindungen zur Finanzindustrie, der Spitzers Angriffe zu weit gehen.

Da passt es ins Bild, dass die Börsenaufsicht SEC auf die Bremse tritt. Sie wird geführt von dem ehemaligen Banker William Donaldson, einem Freund von US-Präsident Bush.

Die SEC hat sich zwar auch für strengere Aufsichtsregeln für die Investmentfonds ausgesprochen, aber Donaldson soll sich im kleinen Kreis mit seinen Mitarbeitern des öfteren über den Übereifer des New Yorker Generalstaatsanwalts beklagt haben.

Machtkampf nicht entschieden

Noch ist der Machtkampf zwischen Spitzer und der Finanz-Lobby nicht entschieden. Die Kontrahenten sammeln ihre Verbündeten. Dass sich ausgerechnet der republikanische Abgeordnete Richard Shelby, der dem Bankenausschuss vorsitzt, auf die Seite Spitzers geschlagen hat und vor kurzem die SEC wegen ihrer laschen Vorgehensweise kritisierte, wird in Washington schon fast als Verrat an der Phalanx der Lobbyisten betrachtet.

Spitzer legte nach: Die SEC habe dem Investmentfonds Putnam wachsweiche Auflegen erteilt. Auch das Versprechen, die Anleger zu entschädigen, sei zu vage. Ein gezielter Angriff, der Spitzer sofort wieder in die Schlagzeilen brachte: "Spitzer zerreißt SEC-Bürokraten", titelte das Boulevardblatt New York Post.

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