Vorwurf gegen Gesundheitsbranche:Korruption in Weiß

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Betrug, Bestechlichkeit und Verschwendung im Gesundheitswesen kosten die Bürger allein in Deutschland bis zu 20 Milliarden Euro im Jahr. Das geht aus einer Studie von Transparency International hervor.

Von Steffen Uhlmann

Pharmaindustrie und Kassenärzte wiesen die Vorwürfe zurück.

Die im Schadensbericht genannte Summe basiere auf Untersuchungen im Gesundheitswesen der Vereinigten Staaten und auf europäische Hochrechnungen, sagte Anke Martiny, Vorstandsmitglied der deutschen Abteilung der internationalen Anti-Korruptionsorganisation.

Demnach versickerten in den entwickelten Industrieländern zwischen drei bis zehn Prozent der Kosten im Gesundheitswesen in dunklen Kanälen. Das bedeute für Deutschland einen Schaden zwischen sechs und 20 Milliarden Euro.

Deutsches System besonders "anfällig"

Dabei sei, so Martiny, das deutsche System besonders anfällig, da entscheidende Kontrollfunktionen über die einzelnen Länderaufsichten und damit sehr zersplittert wahrgenommen würden.

Die Studie von TI wurde gemeinsam mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen vorgestellt. Beide Organisationen forderten, der Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen "politische Priorität" einzuräumen.

Marketing-Praktiken der Pharmaindustrie kritisiert

So müssten Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen professionalisiert und der Betrug mit Versichertenkarten verhindert werden. Kritik äußerte TI in dem Bericht an den Marketing-Praktiken der Pharmaindustrie.

Korruptionsanfällig sind laut Studie alle Bereiche des Gesundheitswesens - von Ärzten über Apotheken bis hin zu Anbietern von medizinischen Hilfsgeräten. Betroffen sind aber auch Krankenkassen und Patienten.

Als "markantes Beispiel" für Korruption nannte Stefan Etgeton von den Verbraucherzentralen die Software, mit denen Ärzte Medikamente aufgrund der diagnostizierten Krankheit ermittelten. Die Programme würden von Pharmaherstellern wie Hexal, Stada oder Ratiopharm gesponsert.

Kaum "echte" Innovationen kommen auf den Markt

TI-Mitglied Peter Schönhöfer kritisierte, dass von 400 seit 1990 auf den Markt gekommenen Mitteln nur sieben "echte" Innovationen seien. Neue Mittel seien bei gleichem Behandlungserfolg oft mehr als 60 mal so teuer.

Marktmanipulationen werde auch an dem Missverhältnis von Marketing- und Forschungsausgaben deutlich. So hätten die deutschen Pharmaunternehmen 2001 mehr als fünf Milliarden Euro für Marketing, aber nur 1,5 Milliarden Euro für direkte Forschung ausgegeben.

Zulassungsstudien, wissenschaftliche Beiträge auf Kongressen und Vorgaben in Ärzteleitlinien würden zum Großteil von Wissenschaftlern erstellt, die als "Mietmäuler" die Linie des Herstellers wiedergäben.

Neues Anti-Korruptions-Institut

Schönhöfer sprach von einer "Korrumpierung des Wissenschaftsbetriebs" durch die Pharmaindustrie.

"Marketing ist heute die stärkste Bedrohung für die therapeutische Versorgung", sagte der Mitherausgeber des arzneimittel-telegramms. Bedenklich finden die Gesundheitsexperten auch, dass häufig Pharmafirmen hinter so genannten Patienten-Selbsthilfegruppen stecken.

Martiny forderte die Bundesregierung auf, stärker gegen den Missbrauch von Leistungen vorzugehen. Würde man die Korruption ausschalten, wäre genug Geld im System, um alle in Deutschland lebenden Menschen ohne Beitragserhöhung zu versorgen.

Voraussetzung dafür sei allerdings eine neue Kultur, die Korruption im Gesundheitswesen ächte, sowie eine breite Kontrolle und Prävention, die nicht allein staatlichen Stellen überlassen werden dürfe. Sie begrüßte die Schaffung eines unabhängigen Anti-Korruptions-Instituts, das nun auf internationaler Ebene etabliert werden soll.

Kassenärzte bezeichnen Zahlen als "unseriös"

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erklärte, die zu Jahresbeginn in Kraft getretene Reform des Gesundheitswesens biete gute Ansätze zur Korruptionsbekämpfung. Die übergroße Zahl der Mitarbeiter im Gesundheitswesen leiste aber schon jetzt gute Arbeit.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung wies die TI-Studie als "billige Effekthascherei" zurück; der TI-Bericht strotze "vor Fehlern und Halbwahrheiten" . Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bezeichnete die Übertragung von amerikanischen Zahlen auf Deutschland als "unseriös". Die Zahlen seien "willkürlich und nicht aussagekräftig".

Zudem seien Ärzte "mündig und willensstark genug", die medizinisch erforderlichen Medikamente zu verschreiben, sagte BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp. Eine Verschärfung von Korruptionssanktionen sei wegen der bestehenden Möglichkeiten unnötig.

© SZ vom 13.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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