Vorwahlen in den USA:Der Sturz des Erben

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Der Kandidat Joe Lieberman will die Wirtschaftspolitik des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton fortführen - dies stößt bei den Amerikanern auf wenig Begeisterung.

Von Marc Hujer

Der Tag in New Hampshire hat gerade erst begonnen, doch schon kommt Joe Lieberman zu spät. Den großen Auftritt an diesem Morgen zelebrierte General Wesley Clark, einer der erfolgreicheren Mitbewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten.

Joe Lieberman. (Foto: Foto: dpa)

Viele Journalisten hatten den Festsaal des Holiday Inn in Manchester, der Hauptstadt des Bundesstaats, nach der Rede Clarks verlassen. Die Moderatorin steht nun vor den übrig gebliebenen Frühstücksgästen der Handelskammer. Sie ruft nach "den anderen Kandidaten", wie sie sich ausdrückt.

Übliche Rede

Und kurz darauf tritt Joe Lieberman aus einem der Hinterzimmer in den Saal, schreitet zwischen den Tischen der Frühstücksgäste zum Mikrofon, um seine übliche Rede zur Bildungsreform und Wirtschaftspolitik zu halten. Als er fast schon am Ende ist, steht ein Kirchenmann auf, um ihm eine Frage zu stellen und Lieberman ruft: "Pater, in diesen Tagen bitte ich sie, mich in ihre Gebete aufzunehmen."

Es steht schlecht um Joe Lieberman, genauer gesagt, um die Wahlchancen eines Mannes, der sich als Erbe der Clintonomics profilierte - jener erfolgreichen Wirtschaftspolitik der neunziger Jahre, die nach dem damaligen Präsidenten Bill Clinton benannt ist. Seine Botschaft kommt diesmal nicht an, seine Umfragewerte sind katastrophal - so schlecht, dass sie wohl nicht einmal mehr für einen zweistelligen Prozentsatz bei den Wählerstimmen ausreichen.

Langgedienter Senator

Bestensfalls kommt Lieberman auf acht Prozent, im ungünstigsten Fall gar nur auf vier Prozent, womit er weit hinter unbekannteren Kandidaten wie dem früheren Gouverneur von Vermont, Howard Dean, oder John Edwards, dem Senator aus North Carolina, zurückfällt.

Und das, obwohl Joe Lieberman nicht nur ein langgedienter Senator im US-Kongress ist, sondern auch der Kandidat für die Vizepräsidentschaft im Team von Al Gore war, als der damalige Vizepräsident im Wahlkampf 2000 gegen George W. Bush antrat. Als die Vorwahlen im vergangenen Jahr ihren Schatten voraus warfen, war er mit Abstand der prominenteste Kandidat.

Am kommenden Dienstag nun muss er im kleinen Neuengland-Staat New Hamphsire, im Nordosten der USA, gegen sechs andere Kandidaten antreten - in einem der wichtigsten Wettbewerbe um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten. Und möglicherweise ist New Hampshire, die erste Station des Joe Lieberman, bereits seine letzte , nachdem er in der vergangenen Woche ein Antreten in Iowa aus taktischen Gründen ausgelassen hatte.

Halber Punkt

Zwar spielen die 27 Delegierten New Hampshires, des fünftkleinsten Bundesstaates der Vereinigten Staaten, bei der offiziellen Wahl des Kandidaten auf dem Parteitag der Demokraten im Herbst nur eine untergeordnete Rolle. New Hampshire stellt nicht einmal einen halben Prozentpunkt der US-Bevölkerung.

Aber wer in New Hampshire die Erwartungen nicht wenigstens annähernd erfüllt, bekommt danach gewöhnlich kein Geld mehr von seinen Sponsoren. Und weil ein Wahlkampf in der Regel mehrere Millionen Dollar pro Woche verschlingt - für Wahlkampfmaterial, Werbespots und Beraterstäbe -, dauert es üblicherweise nicht lange, bis unterlegene Kandidaten ihren Rückzug erklären. Die New Hampshire Political Library schätzt, dass Kandidaten und Medien allein in New Hampshire 350 Millionen Dollar pro Wahlkampf ausgeben, eine Summe, mit der dort vorübergehend mehr als 1500 Vollzeit-Arbeitsplätze geschaffen werden.

Kleines Quartier

Nicht alle Kandidaten haben das nötige Geld, und der Kampagne Liebermans sieht man zumindest an, dass sie nicht zu den teuersten dieses Wahlkampfs gehört. Das Hauptquartier in New Hampshire hat Lieberman in einem leer stehenden Verkaufsraum in der Elm Street eingerichtet, der schmucklosen Hauptstraße Manchesters. Es ist kleiner als das der meisten anderen Kandidaten, beispielsweise der eher favorisierten Howard Dean und John Kerry.

Ihnen waren die Büros in der Hauptstraße wohl zu klein: Sie sind über den Fluss Merrimack ausgewichen, wo sie in einem umfunktionierten Fabrikgebäude ganze Etagen angemietet haben. Allein für Kerry sollen hier gut 1800 Freiwillige arbeiten. Bei Lieberman gibt es, so weiß sein Berater Bob Quinn zu berichten, nur "einige hundert Freiwillige".

Sparsamer Kandidat

Ende der vergangenen Woche lag Lieberman bei den Werbeausgaben mit 1,58 Millionen Dollar lediglich an sechster Position unter den damals noch acht Bewerbern, was nur zum Teil daran lag, dass er sich die Urwahl in Iowa sparte. Howard Dean, der damals noch einsam an der Spitze lag, hatte zu diesem Zeitpunkt schon mehr als das Vierfache für Werbespots ausgegeben.

Neuengland ist Joe Liebermans Heimat, und eigentlich sollte der kleine Mikrokosmos am Rande Amerikas das ideale Wahlkampfterritorium für einen Konservativen wie ihn sein.

New Hampshire ist grundsätzlich konservativ, lebt mit weniger Staat, verlangt keine Mehrwert- oder Einkommensteuer und lässt den Satz "Live free or die" ("Lebe in Freiheit oder stirb") auf seine Nummernschilder drucken. Die Probleme der Globalisierung sind hier weniger ausgeprägt als anderswo: Die Arbeitslosenquote liegt mit knapp über vier Prozent deutlich unter dem Durchschnitt der Vereinigten Staaten, die Kriminalitätsrate ist geringer und die Universitäten besser.

Die führende konservative Zeitung The Union Leader erklärte Lieberman in der vergangenen Woche zum Wunschkandidaten, der geringere Steuern für alle fordert, der Staatsausgaben begrenzen will und Wettbewerb im Bildungswesen fordert. Lieberman betont: "Ich habe meiner Partei immer wieder gesagt, dass wir für Arbeitsplätze und für die Wirtschaft sein müssen."

Wachsende Arbeitslosigkeit

Doch inzwischen klagen die Menschen in New Hampshire ebenso wie der Rest der Republik über wachsende Arbeitslosigkeit, über steigende Gesundheitskosten, über die wachsende Rate von Unversicherten und den dramatischen Anstieg von Studiengebühren. 20000 Arbeitsplätze, vor allem in der Industrie, sind in den letzten drei Jahren gestrichen worden.

Das Land, das bisher mit Äpfeln, Eiern, Gummiprodukten und ein paar Skipisten ein überdurchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen erwirtschaftete, teilt plötzlich die Sorgen des Rests der Republik. Robin Comstock, die Präsidentin der Handelskammer Manchesters, die an diesem Morgen Joe Lieberman so freundlich im Holiday Inn begrüßte, sagt, sie sei noch immer unentschlossen, für wen sie am Dienstag wählen solle.

Das habe es noch nie gegeben. Liebermans Wirtschaftsprogramm hat offenbar nicht verfangen. "Meine Kollegen haben geklagt, man müsste eigentlich ein bisschen von allen Kandidaten haben." Einer alleine habe sie bisher nicht überzeugt.

Rekorddefizit

Die Botschaft vom Segen eines ausgeglichenen Staatshaushalts, mit der Präsident Bill Clinton jahrelang die eigene Partei disziplinierte, verfängt offenbar plötzlich nicht mehr, und das trotz des neuen Rekorddefizits, das Präsident George Bush in Washington angehäuft hat. "Das Haushaltsdefizit ist eher ein abstraktes Problem", sagt Frau Comstock, die Präsidentin der Handelskammer.

Es betreffe die Bürger nicht unmittelbar und sei nur schwer in politisches Kapital umzumünzen. Das Wall Street Journal hat Lieberman zwar jüngst zum fiskalpolitisch verantwortlichsten Kandidaten gekürt, aber wenn man Frau Comstock nach den wichtigsten Problemen der Bürger von New Hampshire fragt, dann kommt die Fiskalpolitik nicht vor.

Wichtig, sagt sie, sei die Gesundheitspolitik, die steigende Zahl der Unversicherten, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt, der Anstieg der Studiengebühren und die zunehmenden Umweltprobleme. Die Kandidaten reagieren darauf mit neuen Versprechen für teure Ausgabenprogramme.

Kerry überrascht

Die Lobbygruppe National Taxpayers Union Foundation hat errechnet, dass Al Sharpton, der schwarze Kandidat der Demokraten, mit seinen Programmen das Staatsdefizit um jährlich 1,3 Billionen Dollar vergrößern würde, der Freihandelsgegner Dennis Kucinich 1,1 Billionen Dollar.

Im Wahlkampfbüro von Senator John Kerry steht Steve Morgan und gibt sich siegessicher. Sein Kandidat hat in Iowa überraschend die Vorwahlen gewonnen, und über Nacht ist er so zum Favoriten der Vorwahlen in New Hampshire geworden. Die Sponsoren haben sofort Geld nachgeschossen. Alleine in den ersten 36 Stunden nach dem Sieg in Iowa hat Kerry via Internet Zusagen über eine halbe Million Dollar an Spenden erhalten.

Meister Clinton

Wenn Morgan seinen Chef wirtschaftspolitisch definieren will, dann scheut er den Begriff New Democrat - jene Kategorie von Demokraten, der Lieberman angehört und die unter Clinton für Fortschritt und Wirtschaftsfreundlichkeit stand.

Kerry stehe für eine bessere Gesundheitsversorgung, für Programme gegen die Arbeitslosigkeit, für eine bessere Umweltpolitik. "Kerry ist eher links von Clinton", sagt Morgan. Über die Wirtschaft verliert er kein Wort. Und Dean erklärt: "Clinton war ein Meister der Politik, aber das war zu einer anderen Zeit."

© SZ v. 24.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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