Vorgehen der Justiz:Auf höchste Weisung

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Die Ermittlungen gegen den Ölkonzern Yukos sind offenbar politisch gesteuert.

Von Tomas Avenarius

(SZ vom 03.11.03) - Business as usual", sagt der Yukos-Sprecher, "das Unternehmen arbeitet normal weiter." Der professionell zur Schau gestellte Optimismus passt allerdings nicht zur Atmosphäre am Moskauer Firmensitz des Ölkonzerns Yukos und noch weniger zu den Ereignissen: Die Führung des Unternehmens sitzt im Gefängnis, der Kurs der Aktie ist angeschlagen.

Unten in der Eingangshalle hängen plakatgroße Fotos von Konzern-Chef Michail Chodorkowskij. Sie zeigen den Ölbaron mit Arbeitern vor einer Raffinerie, mit UN-Generalsekretär Kofi Annan, mit Familie, als Fan des Moskauer Fußballklubs Spartak. Die Stimmung auf den Gängen ist gedrückt.

Während Chodorkowskij zusammen mit zwei Managern wegen angeblichen Betrugs und Steuerhinterziehung seit Samstag voriger Woche in Haft ist, wird gegen mindestens einen weiteren leitenden Angestellten auf Hochtouren ermittelt. Gut 40 Prozent der Aktien des viertgrößten Ölkonzerns der Welt werden zudem von der russischen Staatsanwaltschaft unter Verschluss gehalten.

Sensationelle Entwicklung

Das alles widerfährt einem Unternehmen, das sich bis zur Verhaftung Chodorkowskijs sensationell entwickelt hatte: Der Netto-Profit war im Vergleich zum Vorjahr um 26 Prozent gestiegen, die US-Unternehmen Exxon und Chevron wollten bei dem Ölriesen einsteigen.

Auch wenn der Yukos-Sprecher betont, dass das "Management arbeitet und das operative Geschäft von den Vorgängen nicht betroffen" sei: Bildlich gesprochen ist es so, als ob ein riesiges Vorhängeschloss, auf welchem Russlands Staatswappen mit dem grimmigen doppelköpfigen Adler prangt, den Eingang des Konzern-Hochhauses blockierte.

Zwar hat die Staatsanwaltschaft 4,5 Prozent der am Donnerstag beschlagnahmten Aktien wieder freigegeben. Es handele sich "um den Besitz von Personen, die nicht im Zusammenhang mit den Ermittlungen" stünden. Der Rest des Aktienpaketes im Wert von zwölf Milliarden Dollar gehöre aber Chodorkowskij, behaupten die Ermittler.

Einem weiteren Manager wird jetzt ebenfalls Steuerhinterziehung vorgehalten: Wassilij Schachnowskij soll rund 820.000 Euro hinterzogen haben. Seine politische Immunität wird dem Manager kaum helfen. Zwar hatte das Regionalparlament der Öl-Region Ewenken, wo Yukos aktiv ist, ihn jüngst zum Vertreter im russischen Oberhaus gewählt - dieses Amt ist mit Immunität verbunden.

Aber die Justiz spricht von Manipulationen bei der Wahl. Anzunehmen ist, dass Schachnowskijs politischer Posten nicht von Dauer sein wird.

Neue "VIP-Zone" Russlands

Möglich also, dass auch dieser Manager bald in die "Matrosenruhe" gebracht wird, jenes Moskauer Untersuchungsgefängnis, das eine Zeitung ironisch als neue "VIP-Zone" Russlands bezeichnet hat.

Dort sitzen schon Chodorkowskij und Platon Lebedew ein, der Chef der Firmengruppe Menatep, die auch Muttergesellschaft von Yukos ist. Lebedew ist Chodorkowskijs engster Mitarbeiter und der Kopf hinter der raffinierten Konstruktion des Konzerns. Diesen beiden "Oligarchen" werden "Steuerhinterziehung und schwerer Betrug zum Nachteil des russischen Staates in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar" vorgehalten.

Die Ölunternehmer haben nichts Gutes zu erwarten. Die Justiz in Russland handelt nach Meinung russischer und internationaler Beobachter auf Anordnung der Politik. Nicht ohne Grund hat die Yukos-Affäre längst auf die oberste Ebene der politischen Macht übergegriffen - zum Nachteil eben jener Geschäftsleute, die die Rohstoffwirtschaft des Landes kontrollieren.

Fürsprecher im Machtapparat verloren

Nachdem Alexander Woloschin, der oligarchenfreundliche Stabschef von Präsident Wladimir Putin, vergangene Woche im Zuge der Yukos-Krise zurückgetreten ist, haben die Ölbarone ihren wichtigsten Fürsprecher im Machtapparat verloren.

Zwar ist Woloschins Nachfolger Dmitrij Medwedew kein echter Vertreter des Geheimdienstflügels, welcher den Öl- und Aluminiumbaronen den Krieg angesagt hat. Ein Oligarchenfreund aber ist er auch nicht. Zweifelsfrei also hat die Geheimdienstfraktion in der vergangenen Wochen viel Boden gewonnen im Kreml.

Zudem rückt der Termin der Parlamentswahl am 7. Dezember näher. Da die superreichen Unternehmer bei der breiten Masse verhasst sind, wird Putin vor der Wahl kaum nachlassen im "Kampf gegen die Oligarchen".

Eines der wenigen politischen Schwergewichte, die sich noch kritisch über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft äußerten, war Putins Premierminister Michail Kasjanow.

Maulkorb

Obwohl der Kremlchef seinem Kabinett einen Maulkorb umgehängt und sich jede Äußerung zum Thema Yukos verbeten hatte, trat der "sehr besorgte" Kasjanow an die Öffentlichkeit. "Die Arrestierung von Wertpapieren einer Aktiengesellschaft ist ein Vorgehen, dessen Konsequenzen kaum abzusehen sind."

Die Medien kommentierten, die Äußerungen kämen Kasjanows Rücktrittsgesuch gleich. Damit hätten die Oligarchen den letzten gewichtigen Fürsprecher in Putins Mannschaft verloren.

Gewichtiger sind aber die langfristigen Folgen der Affäre. Die Staatsanwaltschaft wirft Chodorkowskij und Lebedew die "Bildung einer organisierten Gruppe" vor, die Steuern hinterzogen und unsaubere Geschäfte beim Erwerb ehemaliger Staatsbetriebe gemacht habe. "Für uns entscheidet sich alles am Vorwurf der Organisierten Kriminalität. Sollte das Gericht dies akzeptieren, steht die Frage der Konfiskation von Yukos an. Damit wäre die Privatisierung in Russland in Frage gestellt", sagt ein Yukos-Manager.

Dauerhafte Konfiskation der Aktien - das käme der Re-Nationalisierung des russischen Ölreichtums gleich, der unter Putins Vorgänger Boris Jelzin in die Hände von Privatunternehmern gelangte. Dieses Szenario erklärt auch die scharfen internationalen Reaktionen. Das Außenministerium in Washington konstatierte, man sorge sich um die Rechtsstaatlichkeit in Russland; aus Berlin kamen mahnende Worte von Kanzler Gerhard Schröder.

Bei Yukos setzt man aber nicht nur auf solche internationale Hilfe. Das vom Staatsanwalt unter Verschluss genommene Aktienpaket gehöre nicht Chodorkowskij, sondern internationalen Investoren, heißt es. "Und wer sagt, dass diese Aktien nicht von einer Investorengruppe an eine nächste weitergegangen sind?" fragt ein Yukos-Manager. "Damit riskiert Moskau, von Investoren, die nichts mit den Vorwürfen gegen Chodorkowskij zu tun haben, verklagt zu werden. Dann könnte im Gegenzug der Auslandsbesitz des russischen Staates von Gerichten anderer Staaten beschlagnahmt werden."

Hoffen auf internationalen Beistand

Dazu passend berichtete die Londoner Zeitung Sunday Times an diesem Wochenende, Chodorkowskij habe für den Fall seiner Verhaftung Vorsorge getragen. Er habe dem britischen Bankier Baron Jacob Rothschild vor längerer Zeit das Stimm- und Verfügungsrecht über sein Zwölf-Milliarden-Dollar-Aktienpaket übertragen. Die Yukos-Anteile befänden sich damit bereits in der Hand des Bankiers.

Sollte dies stimmen, hätten die Yukos-Leute doch Grund zu Optimismus: Der Konflikt wäre internationalisiert, der ausländische Druck auf den Kreml würde massiv steigen. Putin müsste sein Vorgehen gegen den Oligarchen Chodorkowskij wohl überdenken.

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