Volkswagen:Puffs waren gestern

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Lange gab es bei Volkswagen nur ein Thema: Lustreisen und Bordellbesuche. Jetzt wird wieder über Autos geredet - und darüber, wann VW so profitabel sein kann wie Toyota.

Michael Kuntz

Der flache Backsteinbau mit Friseur, Kiosk und Kneipe ist sozusagen das seismologische Zentrum von Volkswagen. Hier zwischen Mittellandkanal, Bahngleisen und dem großen Parkplatz kehren VW-Arbeiter nach Schichtende gern ein, bevor sie mit dem Auto, dem Motorrad oder dem Fahrrad ihren Heimweg fortsetzen.

Beim Friseur ist nichts los in der Mittagshitze an diesem Sommertag kurz vor den Werksferien. In der Schänke hängt hinter dem Tresen ein Schild "Zickenzone'' neben der Bundesliga-Tabelle, ein faustgroßer Quietsche-Käfer aus gelbem Gummi erinnert an die Zeit des Wirtschaftswunders im größten Autowerk. Die Atmosphäre ist familiär.

Ein Gast bringt sein Fahrrad ins Lokal und stellt es vor die Großbildleinwand. Die Stimmung ist heute nicht schlecht an der Theke in der "Tunnel-Schänke bei Bruno'', jedenfalls nicht mehr so mies wie noch vor einem Jahr. Es gibt wieder etwas zu tun für die VW-Arbeiter.

Die Golf-Produktion aus Brüssel ist hier angekommen. Der Golf ist sehr gefragt, obwohl das aktuelle Modell schon in die Jahre gekommen ist und 2008 durch ein neues abgelöst wird. Es wird Sonderschichten während der Ferien geben, damit die Kunden nicht so lange warten müssen.

Seit der neue Konzernchef Martin Winterkorn das Steuer bei Volkswagen übernommen hat, geht es in Wolfsburg aufwärts. Das Unternehmen kommt langsam aus seiner Krise heraus, doch noch ist sie nicht überwunden:

Winterkorns Erfolge bei Audi lassen sich im siebenfach größeren Maßstab nicht ohne weiteres wiederholen. Und der neue Chef hat sich viel vorgenommen - Volkswagen soll so profitabel wie der japanische Konkurrent Toyota werden.

Der Flachbau mit Friseur, Kiosk und Kneipe verbindet das Werk mit der Welt. Er steht neben dem Ausgang eines Tunnels, der unter den Mittellandkanal führt und am Tor 17 von VW endet.

Mit weißen Wandfliesen und rotem Klinkerboden wirkt der Tunnel wie das Tiefgeschoss einer U-Bahn. Mit 15 Metern ist er ziemlich breit. Unter den Kanal laufen auf jeder Seite drei Rolltreppen, von denen je zwei in die Richtung geschaltet werden, in die der Pulk der Arbeiter drängt.

"Ja, es hat sich einiges geändert. Wir haben dafür aber auch Zugeständnisse gemacht'', sagt Jan Janssen. Der 38-Jährige im blauen T-Shirt und Bermudahosen kommt gerade von der Frühschicht.

"Hoffentlich nützt das alles etwas'', fährt er fort. "Vielleicht sehe ich das aber auch schon wieder zu schwarz.'' Der Arbeiter aus der Golf-Montage will seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Da wirken sie nach, die negativen Schlagzeilen über die jetzt zwei Jahre alte VW-Affäre der Betriebsräte, bei der es um Tarnfirmen, Lustreisen und Bordellbesuche ging. "Das Thema VW war doch auf Puff und Nutten reduziert, da hat keiner mehr über die Fahrzeuge gesprochen'', blickt ein Manager zurück.

"In zwei Jahren Bernhard war hier in Wolfsburg alles Mist"

Und da wirken auch noch die Interviews des früheren VW-Markenvorstandes Wolfgang Bernhard nach, dessen öffentlich geäußerte Zweifel, ob sich in Wolfsburg überhaupt noch auf wirtschaftliche Weise Autos produzieren ließen, hier mehr verunsicherten als begeisterten. "In zwei Jahren Bernhard war hier in Wolfsburg alles Mist im übertragenen Sinne'', formuliert es ein Insider.

Doch der Sanierer Bernhard, den sie wegen seiner schneidigen Art und seiner Vergangenheit bei Daimler "James Benz'' nannten, arbeitet nicht mehr bei Volkswagen.

Er ist für den Finanzinvestor Cerberus zurückgekehrt zu Chrysler nach Detroit, wo er sich um die Spätfolgen jener nur vorübergehend erfolgreichen Restrukturierung kümmern darf, die Dieter Zetsche an die Konzernspitze von Daimler-Chrysler brachte und durch die Bernhard sich nach seinem Abgang in Stuttgart für VW empfahl.

Bernhard handelte bei Volkswagen wie ein Unternehmensberater. Er legte seine Finger in jede Wunde. Jetzt ist er weg, doch ein neues Bewusstsein blieb. Seine Kostenklausuren wurden legendär, weil sie mittags begannen und abends erst endeten, wenn klare Entscheidungen getroffen worden waren. "Dafür haben sie früher bei Volkswagen ein halbes Jahr gebraucht'', sagt eine VW-Führungskraft. Doch schnell zu entscheiden, ist nicht alles.

Bernhard hat nie begriffen, dass das System Volkswagen den Wolfsburger Konzern zum Marktführer in Europa nicht nur mit betriebswirtschaftlichen Methoden machte, sondern auch ein gewisses Ehrgefühl für alle Beteiligten dazu gehört. "Bernhard hat die Seele der Mitarbeiter zu sehr strapaziert'', erzählt einer, der lange dabei ist. "Die Leute hier haben sich regelrecht geprügelt gefühlt.''

Das ist nun anders, seit der frühere Audi-Chef Martin Winterkorn zum Jahresbeginn an die Spitze des Konzerns aufgestiegen ist. Der brachte aus Ingolstadt seinen Kommunikationschef Stephan Grühsem mit.

Der war dort dadurch aufgefallen, dass er die Bilanzpräsentationen der VW-Tochter ähnlich aufwendig inszenierte wie der ungleich größere Konzern Daimler-Chrysler dies tat - sowohl was die Zahl der simultan übersetzten Sprachen anging wie auch die der teilnehmenden Journalisten aus aller Welt.

Über einschlägige Erfahrungen mit bedeutenden Ereignissen außerhalb der Autoindustrie verfügte das Audi-Team Winterkorn und Grühsem zudem als Sponsor beim FC Bayern.

Folgerichtig kümmerten sie sich gleich nach der Ankunft in Wolfsburg um den jahrelang in der Nichtigkeit dümpelnden lokalen Fußballverein, der es trotz seines vielen Geldes lediglich schaffte, in der Bundesliga unten mitzuspielen. Ein Sportjournalist schrieb über den VfL bissig vom "solitären Gegenentwurf zum turbokapitalisierten Fußball des 21. Jahrhunderts, in dem das Geld den Erfolg determiniert''.

Winterkorn entsandte Grühsem in den Aufsichtsrat der VfL Fußball GmbH und VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch übernahm dort den Vorsitz. Erste Erfolge sind bereits zu sehen:

Spätestens nach der Verpflichtung des früheren Bayern-Trainers Felix Magath berichteten die Medien ausführlicher über die VW-Kicker als über die Absatzzahlen bei den Autos, obwohl die besser ausfielen als die Ergebnisse des Vereins.

Der Seele der Mitarbeiter ebenfalls gut tat ein großes Werksfest an einem Sonntag Anfang Juni. Offiziell ging es um die Produktion von 25 Millionen Golf, von denen 15 Millionen im Stammwerk Wolfsburg gebaut wurden. Inoffiziell galt die Jubelfeier für das seit 1974 hergestellte Auto jedoch als zentrales Signal für die neue Aufbruchstimmung, die von Winterkorn ausgeht.

Der überreichte abends beim Konzert in der Wolfsburg-Arena einen Scheck an den Sänger Peter Maffay und den Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh für eine Hilfsaktion zugunsten von Straßenkindern in aller Welt. Ein Fest für alle.

Groß gefeiert wird zur Zeit viel in Wolfsburg. Was Osterloh für ein wichtiger Mann ist, kann man an den 40 000 Besuchern beim Sommerfest der IG Metall sehen.

Die Gewerkschaft hat mit 70 000 Mitgliedern mehr Angehörige allein in Wolfsburg als die Freie Demokratische Partei oder die Grünen bundesweit. Immerhin 26 000 Besucher beobachteten auch das Drachenboot-Rennen auf dem Mittellandkanal, wo die Mannschaft der rudernden "Crashtest-Dummies'' den Vitalitätspokal abräumte.

Gute Laune überall, das lockt Investoren in die Stadt. Wer als Tourist den Bahnhof verlässt, dem fällt es nicht schwer, sich zu entscheiden, wohin er geht: Am neuen Wissenschaftsmuseum Phaeno vorbei über eine Brücke in die zur Weltausstellung 2000 eröffnete Autostadt, inzwischen eine der größten Attraktionen Deutschlands. Da gibt es in den "Lagune Foodhalls'' Spanferkelkeule vom schwäbisch-hällischen Schwein.

Die örtlichen Hoteliers sind nervös

Die Innenstadt mit ihrer Siebziger-Jahre-Fußgängerzone, Döner-Buden und Asia-Billigrestaurants kann da nicht mithalten. Immerhin sollen ein Zentrum mit Fabrikläden und ein Drei-Sterne-Hotel entstehen.

Die örtlichen Hoteliers sind schon nervös. Irgendwann soll dann auch die Porschestraße sich von einer schäbig wirkenden Discountmeile zu einer Einkaufsstraße wandeln, die ihren edel klingenden Namen verdient. Spektakulärstes Projekt in der Planung ist eine Seilbahn quer über den Kanal vom Bahnhof zur Wolfsburg-Arena.

"Hier hat eine neue Zeitrechnung begonnen'', stellt ein VW-Manager fest. Das Schicksal der Stadt wird auch künftig vom wirtschaftlichen Erfolg von Volkswagen abhängen.

Das Stammwerk ist mit mehr als sechs Quadratkilometern die größte Automobilfabrik der Welt. Allein auf der bebauten Hallenfläche von 1,6 Quadratkilometern ließe sich Monaco unterbringen. 47800 Menschen bauen am Tag 4000 Fahrzeuge der Modellreihen Golf und Touran.

Als Ausgleich für die Umstellung von der Vier- auf die Fünf-Tage-Woche ohne Lohnausgleich haben die Arbeitnehmer ein Programm ausgehandelt, das die Zukunft der VW-eigenen Zulieferer sichert und Wolfsburg ein drittes Modell beschert, möglicherweise den Rechtslenker-Golf, der zur Zeit in Südafrika hergestellt wird.

Angesichts der von 2004 bis 2006 um 23 Prozent gestiegenen Produktivität ist nur durch Wachstum die Beschäftigung zu sichern. Die Produktivität werde auch künftig zunehmen müssen, sagt selbst Betriebsrats-Boss Osterloh, angesichts eines "gezielten Angriffs von Toyota auf alle Märkte der Welt''.

Winterkorn hat als Ziel ausgegeben, VW müsse so profitabel werden wie Toyota heute. Die größten Baustellen auf dem Weg dahin sind das Nordamerika-Geschäft mit hohen Verlusten und die spanische Tochter Seat in der Dauersanierung.

Einen weiteren Abbau von Stellen an den deutschen Standorten soll es über die laufende Abfindungsaktion für 20000 Beschäftigte hinaus nicht geben. Entscheidend für seinen Erfolg sind bezahlbare, attraktive Autos - allen voran der Golf, dessen nächste Generation im Jahr 2008 auf den Markt kommen soll.

Für manchen VW-Mitarbeiter geht das Leben auch weiter ohne Volkswagen, zum Beispiel für Burkhard Roozinski. Nach fast 26 Jahren bei VW akzeptierte der Einkäufer das Abfindungsangebot und beendete sein Berufsleben bei VW, das mit einer Lehre zum Werkzeugmacher begonnen hatte.

Mit Anfang fünfzig machte er sich selbständig. Dreißig Kilometer westlich von Wolfsburg eröffnete er in der Hauptstraße von Meinersen an der Oker das "La Rosa'', ein Geschäft für Blumen und mediterrane Spezialitäten. In Meinersen ist es wie bei VW in Wolfsburg: Der Laden läuft.

© SZ vom 04.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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