Volkswagen:Ideenlos durch die Flaute

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Bei VW ist der teure Haustarifvertrag nicht das Schlimmste - vielmehr werden Probleme reihenweise verschleppt und beschönigt.

Von Meite Thiede

In diesen Tagen sieht es mal wieder so aus, als seien die fürstlich bezahlten Volkswagen-Beschäftigten allein Schuld an der Krise des Konzerns.

(Foto: N/A)

Aber diese Betrachtung ist ebenso unfair wie falsch. Der Wolfsburger Konzern gleicht - wieder einmal - einer Großbaustelle erreicht. Bald möchte man sagen, Volkswagen ist eine Dauerbaustelle.

Gemütlichkeit und Samthandschuhe

Der Haustarif ist dabei allerdings das geringste Problem. Viel schwerer wiegen zwei andere Faktoren: Das VW-Management unter Vorstandschef Bernd Pischetsrieder hechelt ständig irgendwelchen Entwicklungen hinterher und hat Angst vor klaren Worten. Mit Gemütlichkeit und Samthandschuhen aber ist der behäbige Wolfsburger Konzern kaum zu dirigieren.

Im Moment durchfährt die gesamte Autoindustrie eine ungewöhnlich lange Flaute. Im vierten Jahr schon schrumpfen die Absatzzahlen. Aber Zyklik liegt nun mal in der Natur des Geschäfts; das Tal ist diesmal eben ziemlich lang.

Eine Herausforderung für jeden Manager, sollte man meinen. Doch VW verharrte im Traumland. Als der neue Golf im vergangenen Jahr nicht so richtig gut bei den Kunden ankam, dauerte es Monate, bis VW mit einem verschämt als "Jubiläumsgeschenk" getarnten Rabatt herausrückte.

Das Management hatte allen Ernstes geglaubt, sich beim Kunden einen Sonderbonus für solide deutsche Wertarbeit bewahren zu können.

Hoffnung auf China verpufft

Im August hat VW in Deutschland, in Europa und in Amerika viel mehr Absatz verloren als die Gesamtbranche im Schnitt. Wenigstens in China, dem attraktiven Wachstumsmarkt, habe man ja dank eines frühzeitigen Engagements eine starke Position, hieß es noch 2003 in Wolfsburg.

Doch auch diese Hoffnung ist verpufft. Das Land sollte erst einmal mit dem Polo erobert werden, aber die Chinesen kaufen lieber großräumige Wagen. Solche Operationen am Markt vorbei gibt es eben gelegentlich bei VW.

Die Hierarchien sind dort so wuchtig und die Verwaltungswege so lang, das der Kunde manchmal ganz fern ist. Mit Appellen an mehr Kundenorientierung lässt sich das kaum verbessern.

Sprudelnde Verlustquellen

Irgendein Pferd bricht immer aus, hatte Pischetsrieders Vorgänger, der jetzige Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, einmal VW beschrieben. Verlustquellen sprudeln ständig irgendwo. 2003 hatten Brasilien und die Nutzfahrzeuge rote Zahlen geschrieben, in diesem Jahr sind es die Nutzfahrzeuge und Nordamerika.

Das ist auch so eine Spezialität der Wolfsburger: Zwar kann sich die Lastwagen-Branche vor Aufträgen kaum retten, aber leider nicht das Segment der Transporter, und VW ist nur dort stark vertreten.

Der Konzern operiert mit gewaltigen Überkapazitäten. Sechs Millionen Fahrzeuge könnte er bauen, aber nur fünf Millionen lassen sich verkaufen. Das Problem ist nicht neu, aber jetzt drückt es so richtig.

Das Stammwerk Wolfsburg ist derzeit nur zu 70 Prozent ausgelastet. Zulieferer machen es vor und schließen, wenn die Nachfrage fehlt, jeweils das teuerste Werk. Aber solch konsequentes Handeln kann man von dem Wolfsburger Konzern mit seinen starken Gewerkschaften kaum erwarten.

In den am vergangenen Mittwoch gestarteten Tarifverhandlungen versucht VW jetzt unter großem Getöse, jahrzehntelang gehegte Traditionen über Bord zu werfen: Nullrunden und massive Personalkostensenkungen fordert der Vorstand.

Leben über die Verhältnisse

Übersetzt heißt das, der Haustarif muss weg, und darüber soll es auch - ganz undiplomatisch - überhaupt keine Diskussionen geben. Pischetsrieder versuchte sich flankierend sogar einmal in klaren Worten: VW lebe über seine Verhältnisse und habe nun keinen Spielraum mehr.

Es ist jedoch nur wenige Wochen her, da meinte er noch mit Blick auf den Haustarif: "Jeder hat ein Recht darauf, dass es ihm aus Sicht anderer zu gut geht." Das klang noch nach Bestandsschutz.

Offenbar weiß Pischetsrieder selbst nicht immer so genau, was er will. So wollte er ja im Frühjahr ein drastische Sparprogramm namens ForMotion, das Milliarden bringen soll, auch nicht als solches verkaufen, sondern als "Effizienzsteigerungsprogramm".

Motivation der Mitarbeiter ist ja ein edles Ziel, aber irgendwie klingt die Tonlage in Wolfsburg inzwischen ziemlich schönrednerisch. Wenn es dem Vorstand nicht bald gelingt, Volkswagen aus der Krise zu steuern, heißt die nächste Stufe Sanierung. Aber dann gibt es keinen Zweifel mehr über Tempo und Tonlage.

VW als Finanzdienstleister

Dass die Scheichs aus Abu Dhabi nun doch nicht Großaktionär werden, ist wohl kein Drama. Dumm daran ist nur, dass der klamme Konzern jetzt den Erwerb der Papiere von der Gesellschaft Leaseplan nicht mehr über den Verkauf eigener Aktien finanzieren kann.

Die fehlende Milliarde soll nun VW Financial Services bereitstellen. Das ist symptomatisch: Mit dem Bauen und Verkaufen von Autos verdient der größte europäische Autokonzern kaum noch Geld. VW ist mittlerweile ein Finanzdienstleister.

© SZ vom 17.9.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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