Virtueller Arbeitsmarkt:Korruptionsvorwurf als Vorwärtsverteidigung

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Gerade drei Wochen im Amt muss sich Frank-Jürgen Weise als neuer Chef der Bundesagentur für Arbeit mit der neuesten Berateraffäre herumschlagen. Den Verdacht der Korruption setzte dieses Mal aber der Chef selbst in die Welt.

Die Kostenexplosion beim "Virtuellen Arbeitsmarkt", einem vernetzten Internet-Angebot mit der Stellenvermittlung der Arbeitsämter, macht bereits seit dem Start im vergangenen Dezember Schlagzeilen.

Dass sich der Fall jetzt zuspitzte, lag an Weise selbst: "Im äußersten Fall war es Korruption", sagte der Agentur-Chef der Süddeutschen Zeitung und ähnlich der Frankfurter Allgemeinen über neue Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben an die IT-Beratungsfirma Accenture und fügte hinzu, "es kann aber auch gar nichts dran sein".

Falls letzteres zutreffen sollte, dürfte der ehemalige Bundeswehr-Offizier bei seiner Vorwärtsverteidigung kräftig über das Ziel hinaus geschossen haben: Bis in führende Mitarbeiterkreise herrsche Kopfschütteln bis zum Schock, war am Freitag über Weises Korruptions-Äußerungen aus der Bundesagentur zu vernehmen.

"Klare Erkenntnisse"

Für den Aufbau der Online-Stellenvermittlung sollen Aufträge in Höhe von 15 Millionen Euro ohne Genehmigung der Vergabestelle vergeben worden sein. Darüber gebe "es klare Erkenntnisse", sagte Weise.

Bei der Pressestelle der Nürnberger Behörde war man tags darauf etwas vorsichtiger: Derzeit gebe es lediglich einen Verdacht, betonte ein Sprecher: "Das ist noch nicht bestätigt, das wird noch geprüft." Die Innenrevision der Bundesagentur werde erst in rund zwei Monaten ihren Bericht vorlegen.

Weise hatte bereits am Montag nach Hinweisen auf neue Unregelmäßigkeiten die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Innerhalb der Bundesagentur wurden in anonymen Schreiben Vorwürfe gegen die zuständigen Projektgruppe erhoben, bestätigte der Sprecher.

Am Mittwoch enthob der Vorstand den zuständigen Projektleiter Jürgen Koch von seiner Funktion und stoppte und den weiteren Ausbau des virtuellen Arbeitsmarkts. Weise warf Koch vor, die Kosten für das Online-Projekt gegenüber dem Vorstand wesentlich geringer angegeben zu haben, als sich nun ergeben habe.

"Ich muss jetzt feststellen, dass die Informationen, die wir als Vorstand bekommen haben, nicht stimmen", sagte Weise am Freitag im WDR-2-Mittagsmagazin.

165 statt 65 Millionen Euro

Würde das Projekt mit der Accenture so weitergeführt wie bisher, würde der virtuelle Arbeitsmarkt - statt wie ursprünglich geplant 65 Millionen - bis 2008 rund 165 Millionen Euro kosten.

In Mitarbeiterkreisen der Bundesagentur hieß es jedoch, Koch müsse möglicherweise als Bauernopfer und Sündenbock dafür herhalten, dass der virtuelle Arbeitsmarkt von allen Beteiligten mit immer neuen Sonderwünschen ausgestattet worden sei.

Man habe sich bei Accenture einen Mercedes bestellt und erst hinterher begonnen, über Extras und Sonderausstattung Gedanken zu machen, sagte ein Kenner des Projekts.

Zudem erlebe die Stellenbörse im Internet eine wesentlich stärkere Nachfrage als angenommen wurde, weshalb externen Dienstleistern für den Datenfluss wesentlich mehr Geld gezahlt werden müsse.

Ausführliche Erklärung

Noch vor gut einer Woche stellte die Bundesagentur "aus Anlass entsprechender Medienberichte" in einer ausführlichen Erklärung "noch einmal klar, dass es bei der Umsetzung des virtuellen Arbeitsmarktes keine Kostenexplosion gibt" und verteidigte zugleich einen Kostenanstieg von 65 auf 100 Millionen Euro.

Bei der Nürnberger Staatsanwaltschaft will man von möglicher Bestechung bei der Bundesagentur nicht sprechen: "Es geht um den Verdacht der Untreue", sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Träg, "Korruption wäre ein anderer Tatvorwurf".

Ohnehin handele es sich zunächst nur um Vorermittlungen, die von Amts wegen eingeleitet werden müssten, nachdem die BA selbst auf die Staatsanwaltschaft zugekommen sei. "Es gibt derzeit keine konkreten Beschuldigten oder Verdächtigen", sagte Träg.

Auch ein BA-Sprecher sagte: "Es besteht auf keine bestimmte Person bezogen ein Verdacht auf individuelles Fehlverhalten, auch nicht gegen Herrn Koch."

Gerüchte auf den Behördenfluren

Wie es in Mitarbeiterkreisen hieß, gehen die von Weise ins Spiel gebrachten Korruptionsvorwürfe möglicherweise auf Gerüchte auf den Behördenfluren zurück, wonach sich bei der Zusammenarbeit von Behörden- und Accenture-Mitarbeitern auch private Verbindungen ergeben hätten, was von den ins Gerede gekommenen Personen aber dementiert würde.

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