Virtuelle Großgrundbesitzerin:Goldrausch im zweiten Leben

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Eine hessische Lehrerin hat im Internet-Spiel Second Life mehr als eine Million Dollar gemacht - damit will sie jetzt ihr Unternehmen in der wirklichen Welt vorantreiben.

Thorsten Riedl

Das Treffen mit Anshe Chung, der ehemaligen Lehrerin, die nun eine erfolgreiche Unternehmerin ist, findet nicht in einem realen Cafe, Hotel oder Unternehmen statt. ,,Einen Moment'', schreibt sie und schickt kurz darauf eine Nachricht mit ihrer Adresse: Plush City - 111,99,22.

Anshe Chung vor einem künstlichen See: Die Chinesin besitzt bereits ein Zehntel der virtuellen Fläche innerhalb von Second Life. (Foto: Foto: Press Kit)

Hinter dieser Kombination verbirgt sich ihre virtuelle Hausnummer. Per Klick mit der Computermaus schaltet der Rechner Chung und den Reporter zusammen.

Expansion in der Realität

Das Interview findet einer virtuellen Welt namens Second Life statt, einem Computerspiel im Netz, das die Realität nachstellt. Dort hat es Chung als erste zu einem Vermögen von mehr als einer Million Dollar gebracht, in echter Währung, und so einen wahren Goldrausch im Internet ausgelöst. Mit dem Geld will sie jetzt die Expansion ihres Unternehmens in der Realität voranbringen.

Das Spiel Second Life ist das jüngste Modethema im Internet und Teil eines Phänomens namens Web 2.0.

In dieser zweiten Version des weltumspannenden Computernetzes gestalten die Nutzer die Inhalte - und nicht mehr die Firmen hinter den Web-Seiten. Videoplattformen wie Youtube.com, das Online-Poesiealbum Myspace.com oder die Fotobörse Flickr.com leben vom Mitmachen der Internet-Surfer.

Eine Simulation der Wirklichkeit

Bei Second Life können die vier Millionen Nutzer gleich eine ganze Welt gestalten. Die Simulation, die auf fast jedem Computer mit schnellem Netz-Anschluss laufen kann, bildet die Wirklichkeit nach.

Alles ist möglich, was im ersten Leben geht - und noch ein wenig mehr. Die Spielfiguren in der Welt von Second Life heißen Avatare und verkörpern ihren Spieler in der Virtualität. Sie können männlich sein oder weiblich, eine Tierform annehmen und sich mit wenigen Mausklicks verwandeln, wenn es sein muss, auch vom einen in das andere Geschlecht.

Die Avatare laufen durch verschiedene Landschaften - oder durchfliegen sie der Einfachheit halber, bauen Häuser, reden miteinander oder treiben Handel.

Das Besondere an Second Life: Auch das Wirtschaftssystem ist der Realität nachgeahmt, man kann in der virtuellen Welt Waren kaufen und verkaufen, und das Spielgeld namens Linden Dollars lässt sich jederzeit in echte Währung tauschen.

Ein Mensch aus Fleisch und Blut

Anshe Chung hat schon Platz genommen, als sie den Reporter empfängt. Wie hinter jedem der Avatare in Second Life steckt auch hinter Anshe Chung ein Mensch aus Fleisch und Blut.

Im ersten, realen Leben hört sie auf den Namen Ailin Gräf, eine gebürtige Chinesin, Jahrgang 1973, seit zehn Jahren mit einem Deutschen verheiratet. Bis vor kurzem unterrichtete sie deutsch, englisch und chinesisch an einer Volkshochschule in Hessen, in der Nähe von ihrem Wohnort.

Mittlerweile hat sie sich von Berufs wegen der virtuellen Realität verschrieben. Sie widmet sich ausschließlich ihrem Unternehmen, den Anshe Chung Studios, einem Internetdienstleister, der vom Kleidungsstück über Möbel hin zu Gebäuden alles Erdenkliche für digitale Welten erstellt.

Ein Atavar namens Soeren Susa

,,Wir erschaffen so Gebiete und gründen Gemeinschaften von Landbesitzern'', erklärt sie dem Reporter, der im Spiel für seinen Avatar den Namen Soeren Susa gewählt hat.

Alles und jeder besteht in Second Life aus Computercode. Sich selbst hat Chung zierlich entworfen, mit schwarzem Haar, das zum Pferdeschwanz gebunden ist. Einige Strähnen fallen in ihr Gesicht mit asiatischen Zügen.

Sie ähnelt ein wenig der realen Person hinter Chung, von der nur wenige Bilder existieren. ,,Ich habe aber auch ein Fell, einen Katzenschwanz und Katzenohren, wenn ich in der Laune bin'', erklärt sie, und wenn sie erzählt, tut ihr Avatar so, als würde er die Worte auf einer unsichtbaren Tastatur eintippen.

Ihre Antwort erscheint dann in heller Schrift in einem Programmfenster auf dem Computermonitor. So laufen Unterhaltungen in der zweiten Wirklichkeit ab. Die Avatare haben noch keine Stimme im Netz.

Alchimistin der Fantasiewelt

,,Anshe Chung in Second Life existiert im März seit drei Jahren'', schreibt die Asiatin in das kleine Programmfenster. Weit vorher probierte sie Computerspiele im Internet aus, ,,eingeführt und angesteckt'' durch ihren Mann Guntram Gräf. ,,Schon 1999 hat alles angefangen als Alchemistin in einer Fantasiewelt.''

Der besondere Reiz an Second Life habe zu Beginn darin gelegen, die Welt im Rechner selbst mitzugestalten. Die Entwickler von Linden Lab, dem nordamerikanischen Unternehmen hinter Second Life, geben den Avataren nur das Nötigste mit in die neue Welt: neben der eigentlichen Figur, die sich bewegen kann, ein paar Kleidungsstücke und einige Gesten wie das Pfeifen auf Fingern oder das Zucken mit den Schultern.

Bei allem anderen ist die eigene Kreativität und Programmierfähigkeit gefragt. Selbst wenn die Haare von Chung sich leicht bewegen bei einem Nicken ihres Kopfs, stecken dahinter einige Zeilen Softwarecode.

Während die Gründerin ihre Geschichte mit Hilfe der virtuellen Tastatur eintippt, sitzen sich der Reporter und sie gegenüber in einem Gebäude aus Glas und Stahl, wie es derzeit als schick gilt.

Angenehme Kulisse

Im Hintergrund rauschen Wasserfontänen und sorgen für eine angenehme Kulisse. ,,Alles selbst entworfen'', erklärt Chung. Nur einige Merkwürdigkeiten lassen vermuten, dass es sich um keinen realen Ort handelt:

So wachsen Palmen und allerlei exotische Pflanzen im Inneren des Gebäudes, Vögel fliegen ebenso wie Fische durch den Raum. Und obschon nur ein Glastisch Anshe Chung und Soeren Susa trennt, liegen in Wirklichkeit Tausende von Kilometern zwischen beiden. Chung hält sich nämlich gerade in China auf, Susa in München.

Chung alias Gräf hat schnell erkannt, dass nicht alle Nutzer, die Spaß an Second Life haben, auch Freude am Programmieren finden.

Im Sommer 2004 entdeckte Chung alias Gräf dann, dass sich viele Linden-Dollar mit dem Entwerfen von Posen und Kleidern machen lassen. Noch immer finden sich im Netz Fotos, auf denen ihr Avatar Yoga-Übungen zeigt.

Entspannungsübungen und andere Verrenkungen

Mitspielern waren diese fernöstlichen Entspannungsübungen und andere Verrenkungen im digitalen Universum einiges Wert. Damit ging das Geschäft los.

,,Mit meinem Mann und zwei Freunden aus Second Life haben wir uns damals zusammengesetzt und einfach mal diskutiert über dieses plötzliche Geldverdienen'', sagt sie im virutellen Interview.

Dabei entstand die Idee, ins Immobiliengeschäft einzusteigen. ,,Nur wenige boten zu der Zeit einen Maklerservice an und viele eben nicht besonders gut.''Die Diskussionen von damals legten den Grundstein für die erste Million, die jemals ein Spieler in einer virtuellen Welt gemacht hat - und die einen digitalen Goldrausch auslöste, der die Nutzerzahlen von Second Life in die Höhe treibt.

Verkauf virtueller Landstücke

Zu Beginn kaufte Chung lediglich Land vom Spielebetreiber Linden Lab. Sie teilte es in Parzellen auf und verkaufte diese virtuellen Landstücke weiter.

,,Dann haben wir Dreamland erfunden, sehr zur Überraschung von Linden Lab'', erklärt sie weiter. Dreamland ist ein eigener Kontinent innerhalb von Second Life. Dort gelten klare Regeln. Beispielsweise darf es in einem Wohngebiet keine Läden geben.

Zudem teilte sie die Ländereien auf Dreamland nach sozialen Gruppen auf. Deutsche können sich jetzt ein Grundstücke in der Nähe von Landsleuten kaufen. Einen schwul-lesbischen Bezirk gibt es ebenso wie einen für die Avatare, die im Spiel nur in Form eines Pelztieres in Erscheinung treten.

Großgrundbesitzerin der virtuellen Welt

Die städtebaulichen Richtlinien in der virtuellen Welt fanden bei der Kundschaft Anklang: Ein Zehntel der virtuellen Fläche innerhalb von Second Life gehört inzwischen Anshe Chung - das entspricht in etwa der Größe von Baden-Württemberg im Vergleich zur gesamten Bundesrepublik. Im vergangenen Herbst konnte die Großgrundbesitzerin Chung vermelden, das sie eine Million Dollar auf diesem Weg verdient hat.

Inzwischen ist aus dem Spiel mehr geworden: Es geht nicht mehr nur um den Handel mit Immobilien. Chung besitzt Einkaufszentren in Second Life und Anteile an anderen virtuellen Firmen, wo die Nutzer der Internetwelt Waren einkaufen können.

Sie pflegt Landschaften, indem sie Bäume pflanzt oder Seen anlegt, und bietet ihre Dienste in weiteren virtuellen Realitäten, so auf IMVU.com und There.com. ,,Angebote für drei weiteren Online-Welten bereiten wir im Moment vor'', sagt sie.

Firmenniederlassung in der echten Welt

Das Geschäft im Netz brummt - so sehr, dass Chung die Arbeit nicht mehr alleine schafft. Im vergangenen Jahr hat sie eine Firmenniederlassung gegründet, in der echten Welt im chinesischen Wuhan.

Seit November hat das Unternehmen Anshe Chung Studios die Belegschaft von 25 auf 50 Mitarbeiter aufgestockt. ,,Bis Sommer wollen wir die Mannschaft noch einmal verdoppeln, weil die Nachfrage überwältigend ist'', erklärt sie.

Die Online-Welt will gestaltet werden: Nicht nur Privatleute entdecken Second Life, seit sie gehört haben, dass sich dort Geld machen lässt.

Auch Unternehmen nutzen die Simulation für Kundengespräche, Produktpräsentationen und als Absatzkanal. So gibt es Filialen von Vodafone, IBM oder BMW in der Parallelwelt. Adidas verkauft Avataren, die modisch sein wollen, Turnschuhe mit den drei Streifen - rein virtuell, komplett aus Computercode - und rechnet mit einem positiven Effekt auf das reale Geschäft. ,,Ein Firmenkunde kann von uns die Komplettlösung haben - sogar mit den Verkäufern für sein Geschäft'', sagt Chung.

Sozialversicherte Chinesen versus deutsche Schwarzarbeiter

Gegen den Vorwurf, die jungen Angestellten in China zu Billiglöhnen zu beschäftigen, wehrt sich die Firmenchefin. ,,Natürlich spielen Lohnkosten eine wichtige Rolle. Aber die Realität ist momentan auch, dass sozialversicherte Steuerzahler in China mit Schwarzarbeitern in Deutschland konkurrieren'', sagt sie.

Außerdem habe sie Familie an beiden Orten, sowohl in Wuhan, als auch in Frankfurt am Main. Die chinesischen Behörden seien ihrem Anliegen, ein Unternehmen zu gründen, offener gegenüber gewesen.

,,Irgendwann, so hoffen wir, haben wir auch in Deutschland einen Ableger.'' Gespräche mit Wagniskapitalgebern, um das Wachstum zu finanzieren, laufen derzeit.

© SZ vom 22.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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