Berufsunfähigkeit:Absichern ohne Papierkram

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Wer mit Schweißgeräten arbeitet, muss viel verstehen vom Handwerk. Doch immer wenige junge Menschen beginnen mit einer entsprechenden Ausbildung. (Foto: Oliver Berg/picture alliance / dpa)

Ein Start-up will eine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit anbieten, die für Kunden individueller und billiger sein soll.

Von Friederike Krieger, Köln

Der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung macht wenig Freude: Der Kunde muss sich in der Regel mehrmals mit einem Versicherungsvermittler treffen, sich durch lange Antragsformulare lesen und detaillierte Fragen zu seinem Gesundheitszustand beantworten, auf die er meist ohne Rücksprache mit seinem Arzt keine Auskunft geben kann. Am Ende folgt die große Ernüchterung: Der Versicherer lehnt den Antrag im schlimmsten Fall ab. Oft schließt er Risiken aus oder verlangt hohe Prämienzuschläge, weil der Kunde Vorerkrankungen hat oder den "falschen" Beruf ausübt. Vor allem für die Absicherung von Handwerkern, die körperlich tätig sind, verlangen Versicherer viel höhere Preise als für Menschen in kaufmännischen Berufen. Als Konsequenz haben viele Erwerbstätige keine Berufsunfähigkeitspolice - obwohl auch Verbraucherschützer die Absicherung der Arbeitskraft dringend empfehlen.

Das Start-up Getsurance will das jetzt ändern. Zusammen mit dem Analyseunternehmen Franke und Bornberg hat die Firma ein neues Konzept entwickelt. Es soll besser zu den Bedürfnissen der Kunden passen - und online abschließbar sein.

Bisher war die Branche überzeugt, dass Versicherungen wie Berufsunfähigkeitspolicen zu komplex für einen Online-Abschluss sind. Doch dieser Grundsatz scheint immer mehr aufzuweichen. Ende 2014 ist bereits das Start-up Community Life an den Start gegangen, das sich auf den Verkauf von Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen spezialisiert hat. Die Versicherungsrisiken trägt der Rückversicherer Swiss Re über seine Luxemburger Tochter Iptiq.

Auch die Versicherer selbst ziehen nach. So bietet die Allianz jetzt eine Risikolebensversicherung an, die Kunden per Smartphone abschließen können. Statt komplizierte Gesundheitsfragen zu beantworten, müssen Versicherungswillige auf einem sogenannten Körperatlas die Bereiche anklicken, mit denen sie Probleme haben. Mit solchen Entwicklungen wollen die Versicherer vor allem junge Kunden ansprechen, die mit einer App weit mehr anfangen können als mit einem Versicherungsvertreter.

Getsurance will noch einen Schritt weiter gehen: Statt mit einem fertigen Produkt zu starten, soll sich der Kunde anhand seiner individuellen Risiken aus vielen einzelnen Bausteinen die für ihn passende Deckung zusammenstellen können. Traditionelle Berufsunfähigkeitsversicherungen seien für den Online-Abschluss ungeeignet, glaubt Viktor Becher. Er hat zusammen mit seinem Bruder Johannes Becher - einem ehemaligen Rocket Internet-Manager - im Februar 2016 die Young Finance GmbH gegründet, der Getsurance gehört. Die als Makler registrierte Firma verkauft schon seit März 2016 online Berufsunfähigkeitsversicherungen, ist mit den althergebrachten Policen aber sehr unzufrieden. "Sie sind starr, unflexibel und papierlastig."

Künftig will Getsurance erst die Risiken des Kunden erfragen, also seine berufliche Situation und seinen Gesundheitszustand klären - und ihm anhand der Ergebnisse geeignete Deckungsbausteine vorschlagen. "Gibt der Kunde zum Beispiel an, dass er handwerklich tätig ist, liegen seine Risiken vor allem in der Beeinträchtigung des Bewegungsapparats", sagt Michael Franke von Franke und Bornberg. Das Analysehaus, das sich im Mai 2016 mit 20 Prozent an Getsurance beteiligt hat, hilft dem Unternehmen bei der Konzeption der Deckungsmodule.

Bausteine, die für den Kunden nicht infrage kommen, schlägt das Programm gar nicht erst vor. Ein Beispiel: Wenn jemand bereits wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen ist, lehnen die meisten Anbieter es ab, den Kunden gegen das Risiko zu versichern, dass er später wegen mentaler Leiden wie Burnout berufsunfähig wird. "Traditionelle Berufsunfähigkeitspolicen sehen dann einen Ausschluss für psychische Leiden vor", sagt Franke. Trotzdem kostet die Police genauso viel wie eine Deckung, die solche Krankheiten absichert. Getsurance will die Deckung in ihre Einzelteile zerlegen, sodass der Kunde eine Absicherung abschließen kann, in der bestimmte Deckungskomponenten gar nicht enthalten sind. "Dadurch wird die Police für den Kunden billiger", sagt Franke. Umgekehrt könnte ein Büroarbeiter, der sich nicht gegen körperliche Probleme absichern will, auch nur eine Deckung für psychische Probleme kaufen. Der Kunde soll zudem je nach Lebenssituation Bausteine hinzu- und wieder abwählen können.

Bis die Versicherung online abschließbar ist, wird es aber noch etwa ein Jahr dauern. Die Brüder Becher stehen momentan in Verhandlungen mit Versicherern, die die einzelnen Deckungsbausteine zur Verfügung stellen sollen. Alle Probleme der Berufsunfähigkeitsversicherung wird aber auch das neue Konzept nicht lösen können. Etwa, dass Handwerker mehr bezahlen müssen. "Es wird weiter so sein, dass es unterschiedliche Preise für Handwerker und Akademiker für den gleichen Schutz geben wird", sagt Franke.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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