Vermittlungsausschuss: Noch zehn Tage:Umstrittene Fahrt an den Arbeitsplatz

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Die Entfernungspauschale wird gekürzt - aber sollte sie nicht ganz abgeschafft werden?

Von Marc Beise

(SZ vom 9.12.03) — Den Mitgliedern des Vermittlungsausschusses in Berlin sind Subventionen von allen Themen, über die sie derzeit zu beraten haben, die liebsten: Sie laden zur Kompromissfindung im orientalischen Stil geradezu ein. Rot-Grün will die Eigenheimzulage halbieren, die Union sie nur um zwölf Prozent kürzen? Bietet Ihr 20, dann bieten wir 30, und bei 25 geht der Sack zu - so könnten die Dinge laufen.

Auch die Entfernungspauschale, im Volksmund Pendlerpauschale geheißen, bietet sich fürs Feilschen an. Bei seinen Sparbemühungen hat Rot-Grün die Kürzung auf 15 Cent pro Kilometer beschlossen, die Union ist nicht bereit unter 35 Cent zu gehen. Heute können Pendler 36 Cent für die ersten zehn Kilometer absetzen, ab dem elften Kilometer 40 Cent.

Gruseln im Süden

Über kaum eine Steuervergünstigung lässt sich so schön streiten wie über diese. Viele (nicht alle) Steuerexperten halten die Pauschale für eine glatte Fehlkonstruktion und fordern ihre Abschaffung. Eine Vorstellung, bei der es die Ministerpräsidenten von südlichen Flächenstaaten wie Bayern und Baden-Württemberg regelrecht gruselt.

Die Unionspolitiker sind noch ganz dem Geist der Adenauer-Zeit verhaftet, als die Politik mit einer Kilometerpauschale die Mobilität der Menschen ebenso unterstützen wollte wie die heimische Autoindustrie. Seitdem erhalten Arbeitnehmer, die ins (häufig) günstigere Umland ziehen, vom Finanzamt einen Bonus - und wer ihn damals nicht hätte erhalten dürfen, weil er mit der Bahn und nicht mit dem Auto einpendelte, beantragte ihn dennoch, und machte den Weg auf dem Papier noch ein bisschen länger.

Folgerichtiger Ansatz

Die Kilometerpauschale war unstreitig das klassische Einfallstor für den Steuerbetrug des Durchschnittsverdieners. Deshalb war es ein folgerichtiger Ansatz, als ausgerechnet unter dem Autokanzler Gerhard Schröder (SPD) zum 1.1.2001 die Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale umgewandelt wurde, die also verkehrsmittelunabhängig gewährt wird. Diese Zugabe will Rot-Grün nun kräftig kürzen und führt neben fiskalischen auch ökologische Gründe an: Das Umland ist zersiedelt genug.

Die Gegner einer Kürzung kann das nicht überzeugen. Sie sehen in jedem Einschnitt eine versteckte Steuererhöhung. Laut Bund der Steuerzahler würde die rot-grüne Halbierung eine Entlastung etwa durch das gleichfalls geplante Vorziehen der Steuerreform zum guten Teil aufzehren. So würden Verheiratete mit einem zu versteuernden Einkommen von 52000 Euro und einem Anfahrtweg zur Arbeit von 40 Kilometern jährlich rund 500 Euro verlieren; je höher das Einkommen, desto höher der Verlust.

Angeführt werden ferner die Stichworte Mobilität und Soziales (Familien können sich teure Stadtwohnungen nicht leisten). Vor allem wird der Subventionscharakter bestritten: Als Ausgabe für "Erwerb, Sicherung und Erhalt" der Arbeit handele es sich um Werbungskosten im Sinne des Einkommensteuerrechts, auch Selbstständige können schließlich ihre Dienstfahrten als Betriebsausgabe absetzen.

Frage der Perspektive

Die Gegner der Pauschale widersprechen jedem dieser Argumente: Wenn die Streichung von Subventionen von einer Steuersenkung auf breiter Front gebildet würde, gäbe es keine Mehrbelastung. Mobilität wiederum hängt nicht an 36 Cent je Kilometer, und auch das verteilungspolitische Argument ist zweifelhaft: Es profitieren in erster Linie Gutverdienende ohne Kinder.

Und was das Einkommensteuerrecht angeht, so ist es ja gerade die Frage, ob es sich um Werbungskosten handelt. Alles eine Frage der Perspektive: In Deutschland fährt der Arbeitnehmer mit seinem Wagen ins Büro und empfindet den Weg als Dienst. In den USA fährt der Arbeitnehmer laut Steuergesetz vom Büro nach Hause. Also ist die Fahrt Privatsache.

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