Verkehrsministerium:"Die Bahn hat sich übernommen"

Lesezeit: 3 min

Die Bahn spart nach Ansicht des Verkehrsministeriums zu Lasten der Fahrgäste, der Sicherheit und der Bauindustrie. Staatliche Mittel für Strecken, Stellwerke und Bahnübergänge blieben in vielen Fällen ungenutzt.

Von Klaus Ott

Der Sparkurs der Deutschen Bahn (DB), mit dem Vorstandschef Hartmut Mehdorn das Staatsunternehmen nach zum Teil hohen Verlusten wieder profitabel machen will, hat offenbar weit gravierende Folgen als bislang bekannt.

Negative Auswirkungen des Sparkurses auf Gleis-und Weichenanlagen beklagt das Verkehrsministerium. (Foto: Foto: dpa)

Das Bundesverkehrsministerium zählt in einem internen Vermerk vom September 2004 anhand von mehreren konkreten Beispielen zahlreiche Versäumnisse der Bahn bei der Modernisierung des Schienennetzes auf.

Ein Sprecher des Ministeriums sagte, diese Bestandsaufnahme dokumentiere, dass die Regierung nicht für die verzögerte Nutzung von staatlichen Schienenmitteln verantwortlich sei.

Beseitigung von Bahnübergängen blockiert

Die DB erklärte auf Anfrage, sie kenne den Vermerk nicht und wolle ihn daher auch nicht kommentieren. Nach Angaben des Ministeriums blockiert die DB die Beseitigung von Bahnübergängen.

"Trotz gesicherter Finanzierung" weigere sich das Unternehmen, mit Bund, Ländern und Kommunen den Bau von Unter- oder Überführungen zu vereinbaren.

Die DB sei nicht gewillt, jene Planungskosten zu begleichen, für die sie laut geltendem Recht selbst aufkommen müsse. Dem Ministerium seien zehn aktuelle Fälle aus ganz Deutschland bekannt.

"Wichtige Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit an Kreuzungen von Schiene und Straße können vorerst nicht verwirklicht werden", schreibt das Verkehrsressort.

Das Ministerium bemängelt, der Bauwirtschaft entgingen "beschäftigungswirksame Aufträge". Auch in anderen Fällen wird nach Einschätzung des Ressorts auf diese Weise versäumt, Arbeitsplätze zu sichern.

Ein weiterer Vorwurf lautet, die Bahn habe das vereinbarte und finanziell gesicherte "Oberbauprogramm" für die Sanierung von Gleisen in erheblichem Umfang geändert.

Etwa 1450 fest geplante Vorhaben, die 200 Millionen Euro kosteten, sollten nicht mehr in diesem Jahr ausgeführt werden. Zum Teil seien jetzt andere Maßnahmen vorgesehen.

"Folgen: negative Auswirkungen auf den Zustand der Gleis- und Weichenanlagen, erhöhter Instandhaltungsaufwand, Langsamfahrstellen." Ähnliche Konsequenzen für die Fahrgäste beschreibt das Ministerium am Beispiel der Berliner S-Bahn.

Zusätzliche Instandhaltungskosten

Auch hier sei mit "kundenunfreundlichen Langsamfahrstellen" und zusätzlichen Instandhaltungskosten zu rechnen, da die DB die "Grunderneuerung" verzögere.

Der Bund habe genügend Geld bereitgestellt, nun müsse die Bahn ihren Teil dazu beitragen. Das Unternehmen stelle allerdings "wegen fehlender Eigenmittel" die Sanierung von vier Strecken (S 1, 5, 6 und 8) bis 2008 zurück.

Die S-Bahn in Berlin könne die Vorteile moderner Züge (höhere Geschwindigkeiten, kürzere Fahrzeiten) nicht nutzen und müsse Mehrkosten verkraften.

Erhebliche Mängel sieht das Ministerium beim Bau von elektronischen Stellwerken, mit denen die Bahn ihren Betrieb "entscheidend" modernisieren und rationalisieren wolle.

Im Jahr 2000 habe der Bund die Finanzierung von 74 Anlagen zugesagt. Davon seien 26 in Betrieb und erst 36 weitere im Bau. Für zehn Vorhaben seien noch nicht einmal die Aufträge vergeben worden, zwei Projekte habe die Bahn sogar storniert.

In einem Fall müsse der Bund 3,4 Millionen Euro zurückfordern, weil das Unternehmen den Bau des Stellwerkes Elsenztal bei Heilbronn um drei Jahre verschoben habe. Zuvor habe die Bahn der beauftragten Signalfirma aber mit diesen Mitteln die branchenübliche Anzahlung gewährt.

Bei den Stellwerken würden die erhofften "Rationalisierungserfolge" nunmehr erst sehr viel später eintreten. "Letztlich hat sich die DB übernommen", lautet die Kritik des Verkehrsressorts.

Erhebliche Versäumnisse

Am Beispiel von mehreren Strecken beschreibt das Ministerium außerdem erhebliche Versäumnisse bei der Modernisierung des Schienennetzes. Mittel des Bundes und der Europäischen Union (EU) würden nicht oder verspätet genutzt.

Der mehrere Jahre dauernde Ausbau der Linie Berlin-Rostock auf 160 Stundenkilometer, für den Bund und EU 675 Millionen Euro zahlten wollte, solle statt bis 2009 nunmehr erst bis 2012 oder 2013 erfolgen. Bei einer Regionalstrecke (Uelzen-Landwedel) entfalle der 1999 vereinbarte Ausbau sogar ganz.

Bahnchef Mehdorn hatte am 9. September in einem Brief an Verkehrsminister Manfred Stolpe beteuert, "niemals werden wir die Instandsetzung des Schienennetzes vernachlässigen".

Außerdem könnten wegen fehlender Vereinbarungen mit dem Bund wichtige Ausbau-Vorhaben "auf unbestimmte Zeit nicht begonnen werden". Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Eduard Oswald (CSU), pocht nun auf "baldige Aufklärung, wer für welche Versäumnisse verantwortlich ist".

Der Abgeordnete Albert Schmidt von den Grünen fordert eine "Sonderprüfung" der DB durch das dem Verkehrsressort unterstellte Eisenbahn-Bundesamt. Das Ministerium will den Bundestag auf Anfrage über die Vorwürfe gegen die Bahn informieren.

© SZ vom 5.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: