Verhandlungen im Baugewerbe:"Die bei Siemens sitzen im Trockenen"

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Im Baugewerbe haben die Tarifverhandlungen begonnen. Arbeitgeber und IG Bau geben sich ungewöhnlich kompromissbereit — nur dann nicht, wenn es um die Verlängerung der Arbeitszeit geht. Das Siemens-Modell könne kein Vorbild sein.

Von Joachim Käppner

Die Bau-Gewerkschaft lehnt eine generelle Arbeitszeitverlängerung grundsätzlich ab. Schon vor Beginn der Tarifverhandlungen der Baubranche sagte IG Bau-Chef Klaus Wiesehügel, das "Modell Siemens" könne kein Vorbild für seine Branche sein.

Siemens hatte mit der IG Metall eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich vereinbart und im Gegenzug den Erhalt von Arbeitsplätzen versprochen.

Siemens nicht mit Baugewerbe vergleichbar

Vertreter der IG Bau sagten, diese — von der Wirtschaft als Vorbild für den Standort Deutschland betrachtete — Arbeitszeitverlängerung stehe nicht zur Debatte.

"Die Menschen bei Siemens werden zwölf Monate im Jahr ununterbrochen beschäftigt, sie haben eine Kantine und sitzen im Trockenen", sagte Wiesehügel vor Beginn der Verhandlungen dem Fernsehsender NDR: "Das alles gilt nicht für Bauarbeiter."

Parallelen zum Fall Siemens sind dennoch leicht zu erkennen. In der krisengeschüttelten Baubranche geht es weniger ums Geld als um die Arbeitsplatzsicherung, weshalb beide Seiten bereits am ersten Tag Annäherungen erzielten.

Ganzjährige Arbeitszeitkonten

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt hatte zum ersten Mal vor solchen Verhandlungen davon abgesehen, die laufenden Tarifverträge zu kündigen und mehr Lohn für die 800.000 Beschäftigten auf den Baustellen des Landes zu fordern.

Stattdessen hatte Wiesehügel schon Ende April ein Modell vorgestellt, das selbst bei den Betriebsräten der eigenen Gewerkschaft durchaus umstritten war:

Statt auf Lohnerhöhungen setzt die Gewerkschaft auf "ganzjährige Arbeitszeitkonten". Mit Hilfe eines Fonds sollen diejenigen Betriebe künftig eine Prämie erhalten, die ihre Mitarbeiter nachweislich das ganze Jahr beschäftigen.

Bonus in die Sozialkasse

Dieser Bonus soll durch eine Lohnerhöhung um zwei Prozent finanziert werden, die aber nicht den Arbeitnehmern ausgezahlt wird, sondern als Umlage an die Sozialkasse des Baugewerbes gehen soll.

Bisher werden Bauarbeiter häufig zu Beginn der kalten Jahreszeit gekündigt, wenn der Betrieb auf den Baustellen ruht, und im Frühjahr wieder eingestellt. Nach Angaben der IG Bau arbeiten deshalb mehr als 200.000 Beschäftigte weniger als acht Monate im Jahr.

Die Arbeitgeber präsentierten bei dieser ersten Verhandlungsrunde ihr Gegenkonzept, ließen aber Konzilianz in der Frage der Arbeitszeitkonten erkennen. Die Unternehmer fordern eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 39 auf 42 Stunden, und zwar auch ohne Lohnausgleich.

Kürzung der Urlaubskosten

Die Betriebe sollten selbst darüber entscheiden dürfen. Zur Sicherung der Arbeitsplätze seien "drei Stunden Mehrarbeit zumutbar", sagte der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB), Karl Robl.

Zudem verlangt der ZDB eine Kürzung der Urlaubskosten und ein neues Leistungslohnsystem für bestimmte Bauvorhaben.

Die deutsche Bauindustrie ist von der Wirtschaftskrise besonders hart betroffen. Der Mangel an Aufträgen, auch an solchen der öffentlichen Hand, die Konkurrenz durch Billig-Lohnanbieter und nicht zuletzt die am Bau besonders grassierende Schwarzarbeit haben dazu geführt, dass über 350.000 Bauarbeiter arbeitslos gemeldet sind.

Gegen Schattenwirtschaft vorgehen

Innerhalb von nur zehn Jahren, also seit dem kurzlebigen Bauboom nach der Wiedervereinigung, ist die Zahl der Beschäftigten von 1,5 Millionen auf jene 800.000 gesunken, welche die IG Bau durch ihr ungewöhnliches Verhandlungsangebot nun sichern will. Außerdem möchte sie bei den Verhandlungen ein schärferes gemeinsames Vorgehen gegen die Schattenwirtschaft erreichen.

© SZ vom 29. Juni 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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