Verfahren eingestellt:Massen-Pensionierung bleibt straffrei

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Die Staatsanwaltschaft kann kein Exempel statuieren: Der Telekom-Manager, dem Betrug zu Lasten der Bundeskasse vorgeworfen worden war, ist straffrei geblieben. In den 90-er Jahren hatten die Telekom und die Post über 70.000 Beamte aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert. Beobachter vermuten, dass sich die beiden Konzerne so für den Börsengang schick machen wollten.

Von Martin Reim

Der Prozess im ostfriesischen Leer erregte bundesweit Aufsehen, weil erstmals die umstrittenen Frühpensionierungen bei den Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost Thema vor Gericht waren.

Dunkle Wolken über der Telekom-Zentrale in Bonn: Das Verfahren vor dem (Foto: Foto: dpa)

Zwischen 1995 und 2001 hatten Deutsche Telekom und Deutsche Post über 70.000 Beamte aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Beobachter vermuten, dass dies im Zusammenhang mit Privatisierung und Börsengang der beiden Konzerne stand.

"Zu Lasten des Bundes"

Laut Anklage hatte der stellvertretende Niederlassungsleiter 1995 und 1996 in 64 Fällen Beamte "mittels unrichtiger und nicht überprüfter Gesundheitszeugnisse" für dauernd dienstunfähig erklärt. Dabei habe er Betrug zu Lasten des Bundes begangen.

Hintergrund: Die Telekom muss die Gehälter von Beamten voll bezahlen, deren Pensionen jedoch nur zu einem Drittel. Die Staatsanwaltschaft Aurich ging von einem jährlichen Schaden für den Bund von knapp einer halben Million Euro aus.

Der Angeklagte muss allerdings 9000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung spenden.

Zweifel

Der Vorsitzende Richter Jans Rolf Leemhuis begründete die Einstellung des Verfahrens unter anderem mit Zweifeln, ob dem Angeklagten tatsächlich solch schuldhaftes Verhalten nachweisbar sei. Außerdem hätten die Ermittlungen überlange gedauert, ohne dass der Manager dafür Verantwortung trage.

Die Staatsanwaltschaft hatte bereits im Jahr 1999 Anklage erhoben, die allerdings vom Landgericht Aurich zurückgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht Oldenburg hatte diese Entscheidung aufgehoben. Dann starb ein Gutachter, sodass ein neuer gefunden werden musste.

Unfähigkeit nicht zu klären

Gutachter Eberhard Virtus Grosch sagte vor Gericht, in 28 der von ihm untersuchten 86 Fälle könne er das Urteil "dauernde Dienstunfähigkeit" nicht nachvollziehen. Bei 40 Akten sei er hingegen zum Eindruck gekommen, dass die Entscheidung aus ärztlicher Sicht richtig gewesen sei. Der Rest sei nicht eindeutig zu klären - teilweise, weil keine Atteste vorgelegen hätten.

Staatsanwalt Hermann Reuter las zu Beginn des Prozesses Details der inkriminierten Fälle vor. Die Diagnosen, wie sie aus beiliegenden ärztlichen Zeugnissen hervorgehen, reichten von bloßen "gesundheitlichen Gründen" bis hin zu schweren körperlichen und geistigen Gebrechen.

Im Vorfeld des Prozesses hatte die Staatsanwaltschaft erklärt, der Angeklagte hätte prüfen müssen, ob zusätzliche Gutachten nötig oder Rehabilitationsmaßnahmen angebracht seien, ob die Dienstunfähigkeit möglicherweise nur vorübergehend ist und ob die Beamten an anderen Arbeitsplätzen - eventuell mit verkürzter Arbeitszeit - doch noch eingesetzt werden können.

Laut Anklage wollte der Manager durch die Frühpensionierungen das vom Konzern vorgegebene Ziel erreichen, "Personalstellen abzubauen und Personalkosten zu senken".

"Gesetzeskonform"

Der Angeklagte selbst schwieg zu den Vorwürfen. Verteidiger Tim Bandisch verlas allerdings eine Erklärung. Demnach habe sich der Telekom-Manager "gesetzeskonform" verhalten.

Der Anwalt betonte, die Argumentation der Staatsanwaltschaft werde durch Nachuntersuchungen der Telekom erschüttert. Das Unternehmen habe in den betreffenden Fällen die pensionierten Beamten nochmals untersucht und daraufhin lediglich zwei von ihnen reaktiviert.

Der Anwalt äußerte sich nicht zur Ansicht der Staatsanwaltschaft, aus höheren Ebenen des Telekom-Konzerns sei Druck auf Niederlassungsleiter ausgeübt worden, Vorgaben zum Personalabbau zu erfüllen. Die Ankläger hatten unter anderem ein Sitzungsprotokoll der Telekom-Direktion Hannover von Oktober 1996 angeführt.

"Mit sehr viel Nachdruck"

Dort heißt es im Zusammenhang mit Pensionierungen, im Jahre 1995 sei "mit sehr viel Nachdruck" knapp die Hälfte des "Potenzials" ausgeschöpft worden. Nach Ansicht der Telekom bezog sich dieses Protokoll allerdings auf den - vom Bund offiziell geförderten - vorgezogenen Ruhestand aus Altersgründen, nicht auf die umstrittenen Frühpensionierungen.

Weitere Dokumente aus höheren Telekom-Ebenen legte die Staatsanwaltschaft nicht vor. Sie hatte bereits im Vorfeld erklärt, dass ihre Ermittlungen über mögliche Schuldige in dieser Richtung keine Ergebnisse gebracht hätten, die vor Gericht verwertbar seien.

© SZ vom 02.12.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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