Verbraucherrechte:Eine für alle

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Gerichtssaal in Dresden: Auch nach einer gewonnenen Musterklage gibt es nicht automatisch Geld. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Im November geht es mit VW los: Eine neue Verbandsklage soll Kunden im Streit mit Unternehmen helfen. Recht zu bekommen, kann trotzdem lange dauern.

Von Catrin Gesellensetter

Wenn es um Gesetze und deren Änderungen geht, entstehen unter Druck manchmal Diamanten - und manchmal großer Mist. Groß war auch der Zeitdruck für die Einführung der sogenannten Musterfeststellungsklage. Gerade einmal zwei Wochen gab sich die große Koalition im vergangenen Sommer, um die Novelle auf den Weg zu bringen, die vom 1. November an das Prozessrecht entscheidend verändern wird. Der Zeitdruck war deshalb so immens, weil die Ansprüche vieler von VW geprellten Dieselfahrer zum Jahresende verjähren. Um das zu verhindern, musste das Gesetz vorher in Kraft treten. Das ist gelungen.

Doch ist die neue Klageform wirklich der von Verbraucherschützern gepriesene "Meilenstein" in Sachen Verbraucherschutz? Werden Kunden, die sich betrogen fühlen, im Streit mit großen Konzernen tatsächlich "einfacher und kostengünstiger zu ihrem Recht kommen", wie Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) glaubt? Was Verbraucher wirklich von den neuen Regeln erwarten dürfen, und warum es im Rechtsstreit mit Großkonzernen noch immer einen langen Atem braucht - die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was bringt das neue Klageverfahren?

Normalerweise kann vor deutschen Zivilgerichten nur klagen, wer sich in seinen ureigenen Rechten verletzt sieht. Verbraucher mussten deshalb stets individuell prozessieren, wenn bei ihnen durch das (behauptete) Fehlverhalten eines Unternehmens ein Schaden entstanden ist. Das ändert sich nun. Die Musterfeststellungsklage erlaubt es ausgewählten Verbraucherverbänden, stellvertretend für eine Vielzahl von Privatpersonen vor Gericht zu ziehen und wichtige Rechtsfragen für alle Beteiligten verbindlich zu klären. Der Gesetzgeber rechnet damit, dass die Gerichte sich pro Jahr mit etwa 450 solcher Verfahren beschäftigen müssen. Zugeschnitten ist die neue Klageform einerseits auf Masseschäden wie im Fall VW, aber auch auf sogenannte Streuschäden. Darunter fallen etwa unerlaubte Bearbeitungsgebühren bei Verbraucherkrediten oder rechtswidrige Preiserhöhungen bei Telefon-, Strom- und Gasanbietern. In solchen Konstellationen sind die Schäden für den Einzelnen so gering, dass sich eine Einzelklage nicht lohnt. Die Musterfeststellungsklage soll auch hier mehr Waffengleichheit zwischen Verbrauchern und Unternehmen schaffen.

Wer darf klagen?

Um zu verhindern, dass die Musterfeststellungsklage eine Klageindustrie nach amerikanischem Vorbild schafft, dürfen nur sogenannte qualifizierte Einrichtungen ein solches Verfahren anstrengen. "Unter diesen Begriff fallen im Wesentlichen große Interessenverbände wie etwa der ADAC oder die Verbraucherzentralen", sagt Claus Thiery, Rechtsanwalt, Partner und Leiter des Geschäftsbereichs Dispute Resolution bei CMS Deutschland. Das erste Verfahren dieser Art dürfte die Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands gegen VW sein. Ihr Ziel ist die Feststellung, dass der Konzern Käufer vorsätzlich geschädigt hat und ihnen daher Schadenersatz schuldet. Der Verband hat angekündigt, die Klage direkt am 1. November einreichen zu wollen.

Wer kann sich an einer Musterfeststellungsklage beteiligen?

Verbraucher, die sich einem solchen Verfahren anschließen wollen, müssen sich in ein Klageregister eintragen, das das Bundesamt für Justiz eröffnet: Kommen innerhalb von zwei Monaten 50 oder mehr Meldungen zusammen, ist die Klage zulässig.

Welche Vorteile hat die Registrierung?

Verbraucher verhindern damit, dass ihre Ansprüche verjähren, ohne selbst vor Gericht ziehen zu müssen. Außerdem können sie davon profitieren, wenn das Verfahren in ihrem Sinne ausgeht.

Bedeutet ein Erfolg vor Gericht, dass Geschädigte automatisch Geld bekommen?

Nein. "Um individuelle Ansprüche durchzusetzen, muss jeder Verbraucher, der sich an dem Verfahren beteiligt hat, noch einen weiteren, individuellen Prozess führen", sagt Rechtsanwalt Thiery. Für diese Folgeprozesse sind die Aussagen des Musterurteils zwar grundsätzlich bindend. Ein Restrisiko bleibt aber. Der Grund: Gegenstand der Musterfeststellung können nur Fragen sein, die alle Beteiligten gemeinsam betreffen. Wie hoch der individuelle Schaden jedes Einzelnen ist, lässt sich auf diese Weise nicht klären. "Wer im Folgeprozess also eine zu hohe Summe einklagt, läuft nach wie vor Gefahr, trotz des positiven Feststellungsurteils auf einem Teil der Kosten sitzen zu bleiben", warnt Astrid Stadler, Jura-Professorin aus Konstanz. "Dieses Risiko werden längst nicht alle Geschädigten eingehen." Ebenso wenig sei zu erwarten, dass Verbraucher, die - etwa wegen zu hoher Bankgebühren - einen Bagatellschaden erlitten haben, massenweise vor Gericht ziehen werden, nur weil es ein positives Feststellungsurteil gibt. "Damit", so Stadler, "ist das Gesetz in weiten Teilen nutzlos." Immerhin: Einigen sich die Parteien des Verfahrens auf einen Vergleich, erhalten die Geschädigten ausnahmsweise doch einen direkten Ersatzanspruch. Das dürfte in der Praxis aber selten vorkommen. "Für Unternehmen ist es deutlich attraktiver, das Musterurteil und etwaige Folgeprozesse abzuwarten, als ohne Not direkte Zahlungen an alle Geschädigten anzubieten", glaubt Stadler.

Drohen Teilnehmern einer Musterfeststellungsklage auch Nachteile?

Ja. Wer sich ins Klageregister eingetragen hat, für den gilt der Richterspruch - im Guten wie im Schlechten. "Geht der Prozess verloren, können die registrierten Verbraucher ihre individuellen Schadenersatzansprüche also nicht mehr gesondert geltend machen", warnt Juristin Stadler. In jedem Fall brauchen Rechtsuchende einen langen Atem. Für die Musterfeststellungsklage selbst sind zwar nur zwei Instanzen vorgesehen, sie geht direkt zu einem Oberlandesgericht. "Da Verbraucher im Nachgang an die Sammelklage aber noch individuell prozessieren (und im schlimmsten Fall drei Instanzen durchlaufen müssen), kann es Jahre dauern, bis über ihre Ansprüche endgültig entschieden ist", sagt Rechtsanwalt Thiery. "Effektiver Rechtsschutz sieht anders aus."

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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