USA:Der Boom der Heimatschützer

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Eine der bemerkenswerten Meldungen dieser Tage war die von der Genehmigung des reiskorngroßen "VeriChip". Dieser Chip darf von nun an Menschen in den Oberarm gespritzt werden, damit ihre Ärzte sie besser beobachten können.

Von Marc Hujer

Doch das ist nur der erste Teil der Meldung. Das Unternehmen Applied Digital, das den neuen Orwell-Chip produziert, spricht von ganz anderen, viel größeren Absatzmärkten.

Von der Chance etwa, den "VeriChip" Mitarbeitern von Kernkraftwerken für die Zugangskontrolle einzuspritzen oder Prominenten, um sie bei einer Entführung schnell zu finden.

Kontrollen — überall

Die New York Times erkennt eine neue, kraftvolle Branche, die sich nach dem 11. September 2001 mit mehrstelligen Wachstumsraten bemerkbar machte, und die nun auch für den "VeriChip" die große Chance ist: Der neue "Heimatschutz-Industriekomplex", die "Terrorbusters Inc".

Sicherheit war in den neunziger Jahren ein Nischenprodukt, denn es passte nicht in die Zeit der Globalisierung, in die Welt des zunehmend freien Handels und der sich auflösenden Grenzen.

Doch nun gibt es überall neue Kontrollen, an den Flughäfen, Grenzstationen und öffentlichen Gebäuden. Und die Unternehmen kommen kaum mehr nach mit den Bestellungen für neue Erkennungscomputer und Sprengsatzentschärferhilfen.

Der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry hat es zu einem der Hauptvorwürfe gegen den Präsidenten gemacht, dass es noch kein adäquates Kontrollsystem für Frachtcontainer aus dem Ausland gebe. Und das, obwohl Präsident George Bush die Ausgaben für Heimatschutzsicherheit seit 2001 auf 41 Milliarden Dollar nahezu verdoppelt hat; im laufenden Etat legte er noch einmal 15 Prozent nach.

Elektronische Nasen

Die Ansprüche an die Branche sind höher geworden. Früher beschränkte sich die Sicherheitsbranche weitgehend darauf, Schließsysteme zu stellen und Bodyguards und Sicherheitskräfte einzustellen. Heute ist daraus eine High-Tech-Branche geworden.

Bo Dietl, der New Yorker Ex-Cop, der die größte Bodyguard-Firma in der Stadt aufgebaut hat, sagt, dass auch er nicht mehr ohne Computerexperten auskommt, die in der Lage sind, Personendaten zu überprüfen und die Echtheit von E-Mails.

Unternehmen wie Cyrano entwickeln heute "elektronische Nasen" und vermarkten wie die US-Firma ImageWareSystems eine Produktlinie für "Biometrik und sichere Ausweiskontrolle".

3M Corporation, Erfinder der gelben Post-it-Sticker, hat den "Scotchshield Ultra Safety and Security Window Film" auf den Markt gebracht, der das Splittern von Fenstern verhindern soll, wenn ein Terrorist eine Bombe zundet.

Trotzdem ist die Heimatschutzwirtschaft noch immer eine kleine Branche. Derzeit macht das Geschäft des Wirtschaftszweigs acht Zehntel am Bruttoinlandsprodukt aus, und erst wenn die Branche mehr als ein Prozent erreicht, sagt Mark Zandi, Chefökonom von Economy.com, wird es für die Konjunktur relevant.

Dieser Punkt dürfte jedoch schnell erreicht sein, denn die Wachstumsrate ist nach Schätzungen des Internet-Newsletters CQ Homeland Security drei bis viermal so hoch wie vor den Anschlägen des 11. September 2001.

Chip unter die Haut in der Disco

James Smith, Sicherheitsexperte des US-Beratungsunternehmens Frost & Sullivan, glaubt, dass aufwendige Sicherheitskontrollen bald nicht nur in Flughäfen, Kraftwerken oder Regierungsgebäuden üblich sein werden, sondern auch in U-Bahnen und Einkaufszentren.

Die New York Times zieht angesichts der guten Geschäftsaussichten schon den Vergleich mit dem Boom der Rüstungsindustrie im Kalten Krieg. Zwischen 1948 und 1953 war der Anteil der Rüstungsausgaben an der gesamten Wirtschaftsleistung von 3,5 Prozent auf 14,2 Prozent gestiegen, und die gesamte Wirtschaft profitierte davon durch mehr Folgeaufträge und eine höhere Produktivität.

Auch diesmal dürfte es Spin-offs geben, Unternehmen und neue Techniken, die auch nach dem Ende des Sicherheitsbooms für die Wirtschaft nutzbar bleiben. So wie das Internet ein Nebenprodukt des Verteidigungsbooms war oder die heute erfolgreichen High-Tech-Unternehmen Sun Microsystems und Silicon Graphics.

Was jedenfalls den "VeriChip" der Firma Applied Digital betrifft, so gibt es dafür schon jetzt Ideen für Geschäfte jenseits des Sicherheitsbooms.

In Barcelona bietet die Diskothek "Baja Beach Club" ihren Gästen an, sich den Chip einspritzen zu lassen und als Eintritts- und Verzehrkarte zu nutzen. Seitdem kann man dort mit einem einzigen Wink für Eintritt und Getränke bezahlen. Am Tag der Einführung war der Chip für VIPs frei, jetzt kostet er 125 Euro.

© SZ vom 28.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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