USA:Wenn 900 Milliarden Dollar nicht reichen

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Stundenlanges Warten auf Hilfe: Lange Autoschlangen bilden sich vor einer Verteilstation von Lebensmitteln in Metairie, einem Vorort von New Orleans. (Foto: Gerald Herbert/AP)

Der Anteil der Armen ist gestiegen, Firmen bangen um ihre Existenz: Für viele in den USA ist das Virus auch ein wirtschaftlicher Albtraum. Und es steht zu befürchten, dass das neue Hilfspaket der Regierung nicht viel daran ändert.

Von Claus Hulverscheidt und Hubert Wetzel, Washington

Nach allem, was man weiß, hat Donald Trump die letzte volle Woche vor Weihnachten unter anderem damit verbracht, über die Verhängung des Kriegsrechts in seinem Land zu sinnieren und die Frage zu erörtern, ob er die Verschwörungstheoretikerin Sidney Powell zur Sonderermittlerin für Wahlfälschung ernennen soll. In einem anderen Jahr hätte man das Verhalten des US-Präsidenten vielleicht ignorieren können, diesmal aber steckten sich in jenem Sieben-Tages-Zeitraum nicht weniger als 1,5 Millionen Amerikaner mit dem Coronavirus an - 18 500 starben sogar. Trump hätte also allen Grund gehabt, sich aktiv in die seit Wochen laufenden Gespräche des Kongresses über ein zweites staatliches Hilfspaket einzubringen, das zumindest die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie sowie die Kosten der Impfstoffverteilung abfedert. Stattdessen war er einmal mehr mit sich selbst beschäftigt.

Immerhin: Auch ohne die Hilfe des Präsidenten einigten sich Republikaner und Demokraten in Senat und Repräsentantenhaus in der Nacht zu Montag darauf, Unternehmen und Schulen, Arbeitnehmern und Selbständigen, Eltern und Mietern mit weiteren 900 Milliarden Dollar unter die Arme zu greifen. "Mehr Hilfe ist auf dem Weg", sagte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell. "Unsere Bürger kämpfen in dieser Weihnachtszeit mit der Pandemie, aber sie kämpfen nicht allein." Beide Kammern des Parlaments sollten im Laufe des Montags über das gesamte Gesetzespaket abstimmen.

Der Anteil der offiziell Armen in der Bevölkerung hat sich auf fast zwölf Prozent erhöht

Auch wenn der Betrag von 900 Milliarden Dollar gewaltig klingt, liegt er doch am unteren Ende dessen, was Experten für nötig halten. Auch hat das neue Programm ein deutlich kleineres Volumen als das erste vom März, dessen Maßnahmen sich auf 2,2 Billionen Dollar summiert hatten. Das ist umso gravierender, als sich viele Probleme im Zuge der zweiten Corona-Welle weiter verschlimmert oder zumindest verfestigt haben. Zwar war die Wirtschaft nach dem Einbruch im Frühjahr über den Sommer wieder stark gewachsen. Zuletzt verdichteten sich jedoch die Anzeichen, dass das Bruttoinlandsprodukt längst wieder stagniert oder sogar schrumpft. Auch liegt die Zahl der Beschäftigten immer noch um rund zehn Millionen unter der von vor dem Ausbruch der Pandemie. Viele Menschen haben ihre oft ohnehin bescheidenen Ersparnisse verloren, der Anteil der offiziell Armen in der Bevölkerung hat sich auf fast zwölf Prozent erhöht. Hunderttausende Firmen sind in ihrer Existenz bedroht.

Fachleuten zufolge dürften die Hilfen gerade einmal ausreichen, um die größten aktuellen Probleme, etwa eine Pleitewelle und weitere Massenentlassungen, abzufedern. Um einen kräftigen Konjunkturimpuls zu setzen, hätten sie aber deutlich größer dimensioniert sein müssen. Damit fallen die USA als globale Wachstumslokomotive weiter aus, die dämpfenden Effekte dürften auch in Deutschland und Europa spürbar werden. Chuck Schumer, der demokratische Minderheitsführer im Senat, kündigte bereits an, dass es unmittelbar nach der Vereidigung des neuen US-Präsidenten Joe Biden am 20. Januar ein weiteres Corona-Hilfspaket geben müsse.

Weniger gut Verdienende bekommen eine direkte Einmalzahlung vom Finanzamt

Das jetzige zweite Programm ähnelt in seiner Struktur dem ersten: Wie schon im Frühjahr sollen die Bürger bis zu einer bestimmten Einkommensobergrenze eine direkte Einmalzahlung vom Finanzamt erhalten. Vor neun Monaten betrug diese Zahlung höchstens 1200 Dollar pro Erwachsenem, jetzt sollen es 600 Dollar sein. Die Gesamtkosten allein für diese Maßnahme belaufen sich auf fast 170 Milliarden Dollar.

Zudem will die Bundesregierung die Arbeitslosenhilfe um bis zu 300 Dollar pro Woche aufstocken, die Bürger von den Bundesstaaten bekommen, wenn sie ihren Job wegen der Pandemie verloren haben. Diese Regelung war ebenfalls bereits im ersten Hilfspaket enthalten, mehrere Monate lang bekamen Arbeitslose sogar 600 Dollar pro Woche zusätzlich - 2400 Dollar im Monat. Diese Zahlungen waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass viele Menschen in der ersten Phase der Pandemie nicht ins soziale Elend abstürzten. Viele arbeitslose Niedrigverdiener hatten auf diese Weise sogar mehr Geld zur Verfügung als zu der Zeit, als sie noch arbeiteten. Für Unternehmen, die ihre Angestellten weiterhin bezahlen, statt sie, wie es in den USA die Regel ist, in der Krise einfach zu entlassen, werden weitere 280 Milliarden Dollar an Krediten und Zuschüssen bereitgestellt.

Ein Räumungsverbot soll verhindern, dass Menschen aus ihren Wohnungen fliegen

Ein weiterer wichtiger Baustein in dem Hilfspaket ist die Verlängerung eines nationalen Moratoriums für Zwangsräumungen. Millionen Amerikaner haben derzeit nicht genug Geld, um ihre Mieten zu bezahlen oder ihre Hauskredite zu bedienen. Um eine Welle an Rauswürfen zu verhindern, hat die US-Regierung ein Räumungsverbot verhängt, das nun offenbar zunächst bis Ende Januar verlängert werden soll.

Republikaner und Demokraten hatten wochenlang erbittert um das jetzt beschlossene Paket gerungen. Im republikanischen Lager hatte es Warnungen vor den Kosten und der steigenden Staatsverschuldung gegeben - ein beinahe zynisches Argument angesichts der Tatsache, dass die konservativen Parlamentarier Trump in den vergangenen vier Jahren tatkräftig dabei geholfen hatten, die Neuverschuldung auf Rekordhöhe zu treiben. Jetzt, da Trump abgewählt ist, entdecken offenbar viele Republikaner ihre vermeintliche Liebe zur Haushaltsdisziplin wieder. Parlamentarier vom linken Flügel der Demokraten wiederum hatten damit gedroht, nicht für das Hilfspaket zu stimmen, sollte es keine Direktzahlungen an die Bürger und keine Aufstockung der Arbeitslosenhilfe enthalten. Die jetzt vereinbarten Summen liegen immer noch deutlich unter denen, die dieser Teil der Demokraten gefordert hatte.

Die Demokraten hatten zudem Hilfe in Milliardenhöhe für Bundesstaaten, Städte und Gemeinden verlangt, denen die Steuereinnahmen wegbrechen, weil große Teile der örtlichen Wirtschaft pandemiebedingt stillstehen. Aus dem ganzen Land gibt es Berichte, dass Städte wegen schrumpfender Etats Lehrer, Polizisten und Feuerwehrleute entlassen oder Leistungen streichen müssen. Viele Republikaner leisteten allerdings erheblichen Widerstand gegen kommunale Hilfen. Man wolle nicht, so hieß es, "schlecht wirtschaftenden demokratischen Städten aus der Patsche helfen".

Trotz der Streitigkeiten dankte der künftige Präsident Biden beiden Parteien für das Gesetzespaket. Er betonte aber auch: "Das ist nur der Anfang. Unsere Arbeit ist noch lange nicht erledigt."

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