Urteilsbegründung:"Man muss Angeklagten nicht alles glauben"

"Zweifel werden im deutschen Strafrecht zu Gunsten der Angeklagten ausgelegt", begründet die Richterin die Freisprüche aller Angeklagten im Untreue-Prozess. Sie beklagt jedoch, dass massiv versucht wurde, Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen.

Die Vorsitzende Richterin im Mannesmann-Prozess, Brigitte Koppenhöfer, hat zu Beginn der Urteilsbegründung in einer persönlichen Erklärung eine massive Einflussnahme durch Politik und Wirtschaft auf den Prozess beklagt.

Brigitte Koppenhöfer, Vorsitzende Richterin im Mannesmann-Prozess. Foto: dpa (Foto: N/A)

Noch nie in ihren 25 Dienstjahren sei derart versucht worden, auf das Urteil Einfluss zu nehmen. "Das reichte von Telefonterror bis zu offenen Drohungen", sagte sie.

Stammtisch-Experten

Sie sei überrascht, wie viele Stammtische sich in Deutschland zu diesem Thema gebildet hätten. "Dass sich sämtliche Stammtische melden, war nicht überraschend. Überraschend war, wer an den Stammtischen Platz genommen hat. Zu den Stammtischrechtsexperten gehörten auch Politiker, die Straftatbestände wie Sauerei, Schweinerei und Perversion erfunden haben."

Politiker aller Parteien hätten den Prozess als eine Gefährdung für den Wirtschaftsstandort Deutschland gesehen.

Verteidigung und Angeklagte hätten versucht, die Presse zu instrumentalisieren. "Das mag ihr Recht sein. Ob es ein gutes Recht ist, sei dahingestellt. Dass das auch von Seiten der Staatsanwaltschaft geschieht, war mir neu. Das halte ich für unangebracht."

"Kein Scherbengericht"

Dann wies die Richterin darauf hin, dass das Gericht nur für die Bewertung der strafrechtlichen Relevanz zuständig gewesen sei. "Es hat keine Moral- und Werturteile zu fällen. Wir sind kein Scherbengericht für die Wirtschaft. Wir bewerten nicht die deutsche Unternehmenskultur, selbst wenn die Beweisaufnahme Anlass zu Verwunderung gab", sagte die Richterin.

Die Kammer hatte nach ihren Worten Zweifel. "Und Zweifel werden im deutschen Strafrecht zu Gunsten der Angeklagten ausgelegt. Man muss Angeklagten nicht alles glauben. Man darf ihnen aber auch nicht alles unterstellen."

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