Urteil in Bochum:Rückgabe ausgeschlossen

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Die VW-Händler trifft kein größeres Verschulden, urteilen die Richter.

Von varinia bernau und Thomas Harloff

Der Richter Ingo Streek sitzt vor einer holzgetäfelten Wand. Ein schmaler Mann in schwarzer Robe, ein Lächeln über einem grauen Spitzbart. "Die Klage ist abgewiesen, die Kosten werden dem Kläger auferlegt", sagt er. Damit ist der bundesweit erste Prozess um die Frage, ob VW-Händler die Diesel-Autos, in denen eine Software bessere Abgaswerte vortäuscht, zurücknehmen müssen, erst einmal zu Ende.

Ein paar Sätze zur Begründung fügt Richter Streek an diesem Mittwoch in Bochum dennoch an. Er sagt, dass der VW, um den es bei diesem Prozess ging, durchaus mit Mängeln behaftet sei; dass dieser Schaden aber unter der sogenannten Bagatellgrenze lag - also mit einer Summe, die nicht einmal ein Prozent des Kaufwertes beträgt, zu beheben sei; und dass sich die Klage nur gegen einen örtlichen Händler richtete, nicht gegen die Volkswagen AG. "Und die Händler trifft kein größeres Verschulden, denn sie waren sicherlich nicht eingeweiht."

Die Sache dauert keine zwei Minuten. Dann lächelt Streek und sagt: "So. Und nun wenden wir uns dem Alltagsgeschäft zu." Damit hat der Richter am Landgericht Bochum zumindest eine grobe Richtung vorgegeben. Ob dem aber auch die nächsthöhere Instanz folgen wird, ist offen. Klägeranwalt Dietrich Messler hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen, weil er die Argumentation des Richters für nicht haltbar, sogar "abwegig", hält. Eines Tages könnte der Streit sogar vor dem Bundesgerichtshof landen. Das, was an diesem Mittwoch in dem Gerichtssaal in Bochum passiert, zeigt, wie mühsam für Kunden der Kampf mit mächtigen Konzernen ist. In Deutschland sind Sammelklagen wie in den USA nicht möglich. Hier muss jeder seine Ansprüche selbst durchboxen und vor Gericht gehen.

Der 19 700 Kilometer gelaufene Tiguan sei faktisch unverkäuflich

Genau das kritisieren Verbraucherschützer: "Das führt zu vielen Parallelverfahren in derselben Sache. Da kann es passieren, dass eine Klage abgewiesen wird und an einem anderen Gericht geht die Sache anders aus - je nachdem, wie der Richter entscheidet oder welchen Anwalt der Kläger hat. Das kann nicht sein", sagt Dunja Richter von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Sie fordert deshalb eine generelle Lösung vom VW-Konzern.

Dabei sind VW-Kunden keinesfalls rechtlos. Sie können zunächst einmal darauf pochen, dass ein Schaden, wie er nun auch an den Autos von VW festgestellt wurde, behoben wird. Dazu bietet der Hersteller ein Update der Software an, die schließlich auch vom Bundeskraftfahrtamt genehmigt wurde. Erst wenn diese Nachbesserung nichts bringt, kann der Kunde vom Kaufvertrag zurücktreten. Genau das wollte ein Geschichtsprofessor aus Trier - und hatte deshalb ein Bochumer Autohaus verklagt, nachdem es seinen knapp ein Jahr alten, etwa 38 000 Euro teuren und per Software manipulierten VW Tiguan nicht zurücknehmen wollte. Das ist der Fall, mit dem sich Richter Streek beschäftigt hatte. Seiner Einschätzung nach ließen sich die Mängel nämlich mit geringem Aufwand beheben.

Viele fürchten, dass der Wagen nach der Umrüstung mehr verbraucht - und weniger leistet

Der Anwalt des Klägers hatte im Laufe des Prozesses jedoch darauf verwiesen, dass das bislang über etwa 19 700 Kilometer genutzte Fahrzeug faktisch unverkäuflich sei. "Das zeigt die Erheblichkeit", betonte er. Sein Mandant wolle sich von dem Wagen trennen und nicht warten, bis Volkswagen den Mangel durch eine Nachrüstung behoben habe. Auch Verbraucherschützerin Richter glaubt, dass die Bagatellgrenze durch den niedrigeren Wiederverkaufswert überschritten werden könnte. Gegenwärtig könne man zwar die Wertminderung noch nicht einschätzen, da sich diese erst beim Wiederverkauf zeige: "Ob sie dann tatsächlich nur ein Prozent betragen wird, ist aber natürlich sehr fraglich."

Die Ein-Prozent-Frage ist entscheidend. Nicht nur für den VW-Kunden, der in Bochum geklagt hat. Sondern auch für alle anderen 2,5 Millionen Kunden, die allein in Deutschland von der Abgas-Affäre betroffen sind. Interessant für viele dürfte dabei sein: Der Tiguan, um den es vor Gericht in Bochum ging, kostete 38 000 Euro. Doch der ebenfalls betroffene VW Golf ist für etwa die Hälfte zu haben. Und von Herbst an kommen jene Rückrufe an die Reihe, bei denen das Software-Update nicht ausreicht, sondern auch ein Bauteil eingesetzt wird - was den Aufenthalt in der Werkstatt womöglich teurer macht. Auch dann also könnte die magische Ein-Prozent-Marke geknackt werden.

In dem Fall, der in Bochum verhandelt wurde, sah es zwischenzeitlich so aus, als könne der Kunde auf Kulanz hoffen. Der Anwalt des Autohauses hatte noch vor zwei Wochen signalisiert, dass man sich mit dem Käufer einigen könne - schließlich sei dieser ein Stammkunde. Letztlich aber gab es keine Einigung.

Der Anwalt des Kunden, der in Bochum vor Gericht gezogen war, hatte zwischen 2500 und 4000 Euro Abzug für die Nutzung des ein Dreivierteljahr alten Wagens ausgerechnet. Um die 34 000 bis 35 500 Euro hätte das Autohaus also bei der Rücknahme des VW Tiguan bezahlen müssen. Schon wegen der enormen finanziellen Tragweite räumen Experten den Klägern in Europa wenig Chancen ein. Volkswagen könne gar nicht zurückweichen und werde in den vielen Verfahren bis zur letzten Instanz klagen. So können also Jahre vergehen, ehe Kunden von Volkswagen eine Entschädigung sehen. Und ob sie diese sehen, bleibt so lange ungewiss. Derweil sorgen sich viele Kunden nicht nur darum, den manipulierten Wagen nie mehr los zu werden. Sondern auch darum, dass die Autos selbst nach der Umrüstung mehr verbrauchen - und weniger leisten. Diese Skepsis nährte vor kurzem ein Test der Fachzeitschrift Auto, Motor und Sport zumindest bei Amarok-Modellen, mit denen der Rückruf begann. Sie schluckten nach dem Update so viel mehr Sprit, dass das nicht mehr mit einer Messtoleranz zu erklären war. VW-Konzernchef Matthias Müller hatte kürzlich betont, VW wolle "dafür Sorge tragen, dass die Autos in keinem Kennwert schlechter werden als vorher". Bisher gilt diese Zusage nur für Verbrauch, Leistung und Geräuschpegel. Zum Punkt Langlebigkeit gibt es kein Versprechen. Diesen Aspekt kann derzeit weder der Hersteller noch das Kraftfahrt-Bundesamt beurteilen, das den Rückruf technisch überwacht.

In den USA versucht VW, den Kunden solche Sorgen zu nehmen. Dort steht ein Rückkauf von 100 000 Autos im Raum und jeder betroffene Kunde bekommt 1000 Dollar Entschädigung. Eine Lösung, die Verbraucherschützer auch für andere Kunden fordern: "Jeder Betroffene sollte gleichgestellt werden", sagt Dunja Richter. "Was den Amerikanern zusteht, sollten auch die deutschen Kunden bekommen."

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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