Unternehmensnachfolge:Schwieriger Wechsel

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Hier ist noch ausreichend Zeit für die Unternehmensübergabe. Wer damit zu lange wartet, kann Probleme bekommen. (Foto: Ale Ventura/imago images/PhotoAlto)

Durch die Corona-Pandemie wird es noch schwieriger, einen Unternehmensnachfolger zu finden als ohnehin schon. Experten raten dazu, die Firmenübergabe frühzeitig zu planen. Viele Unternehmenschefs dürften diese nun verschieben.

Von Stefan Weber

Mit Mitte vierzig hatte sich Jens Rößler gefragt, ob er auch die nächsten 20 Jahre als Angestellter arbeiten möchte. Oder ob er lieber eine neue Herausforderung annehmen will. Der studierte Elektrotechniker stammte aus einer Unternehmerfamilie; da lag es nahe, sich auch selbständig zu machen. Ein Unternehmen gründen wollte Rößler jedoch nicht, er favorisierte den Erwerb eines bereits bestehenden Betriebs. Vor sechs Jahren übernahm er die WIR electronic GmbH, einen Spezialisten für Kabelkonfektion mit Sitz in Chemnitz.

Der Kontakt kam zustande über next-change, eine Internetplattform des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, der KfW Bankengruppe, der deutschen Industrie- und Handelskammern sowie weiterer Partner aus Handwerk und Kreditwirtschaft. "Vor meinem ersten Besuch bei WIR electronic hatte ich mir bereits 20 andere Unternehmen angeschaut", berichtet Rößler. Auch Alteigentümer Wilfried Ramakers, der damals bereits auf die 70 zuging, hatte zuvor schon einige Interessenten empfangen. Rößler war der 38., der bei ihm anklopfte.

Es gibt deutlich mehr Seniorunternehmer als ernsthafte Interessenten für die Nachfolge

So wie Rößler geht es vielen potenziellen Jungunternehmern, die lieber eine etablierte Firma kaufen wollen als eine Neugründung in Angriff zu nehmen: Sie können aus einem übergroßen Angebot wählen. Es gibt deutlich mehr Seniorunternehmer, die einen Nachfolger suchen als ernsthafte Interessenten. Die Plattform next-change beispielsweise verzeichnet aktuell lediglich 1464 Kaufgesuche. Dem stehen 5019 zum Verkauf stehende Unternehmen gegenüber.

Dieses Ungleichgewicht wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich noch verstärken. Denn im Mittelstand tritt die Generation der Babyboomer allmählich aus Altersgründen ab. Laut einer vom Verband Deutscher Bürgschaftsbanken, Creditreform Rating und der FOM Hochschule für Ökonomie & Management erstellten Untersuchung zum Nachfolgegeschehen in Deutschland ("Nachfolgeminitor 2019") sind mehr als ein Viertel der aktuell tätigen Unternehmer bereits 60 Jahre und älter. Bis 2023 stünden etwa 500 000 Unternehmen vor einem altersbedingten Eigentümerwechsel, prognostizieren die Autoren. Doch die Chancen für einen gelingenden Stabwechsel stehen schon aus Gründen der Demografie nicht gut. Denn die auf die Babyboomer folgende Generation ist deutlich kleiner als ihr Vorgänger. Somit gibt es vergleichsweise wenig potenzielle Kandidaten für eine Nachfolge.

Nun droht der ohnehin schleppend verlaufende Generationswechsel durch die Verwerfungen der Corona-Pandemie zusätzlich ins Stocken zu geraten. "Vor allem Seniorunternehmer, die einen Verkauf favorisieren, stehen vor neuen Hürden. Denn aufgrund der veränderten Risikosituation gibt es weniger Interessenten", beobachtet Volker Riedel, Partner der auf die Beratung von Familienunternehmen spezialisierte Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. Mancher potenzielle Käufer nehme Abstand, weil ihm insbesondere in kriselnden Branchen wie der Zulieferindustrie die Aussichten zu unsicher seien. Oder er bekomme die Finanzierung nicht gestemmt, weil Banken oder andere Geldgeber weniger stark ins Risiko gehen wollen. Die Zahl der Unternehmensverkäufe ist seit März deutlich zurückgegangen. In Branchenkreisen wird das Minus auf etwa 50 Prozent beziffert. Dieser starke Einbruch hängt jedoch auch damit zusammen, dass es aufgrund der Kontakteinschränkungen für viele Kaufinteressenten lange Zeit kaum möglich war, sich ein genaueres Bild von ihrem Zielobjekt zu machen. Seit August aber, so berichten Experten für Unternehmenskäufe und -verkäufe, gebe es wieder deutlich mehr Transaktionen. Riedel zufolge gibt es durchaus einige finanzstarke Mittelständler, die die aktuelle Situation für Übernahmen nutzen könnten.

Nach Einschätzung von Birgit Felden, die sich als Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin intensiv mit dem Thema Unternehmensnachfolge beschäftigt, werden Käufer und Verkäufer künftig auch deshalb seltener zusammenkommen, weil ihre Preisvorstellungen stärker auseinanderdriften: "Werte sind immer etwa Subjektives. Für einen Nachfolger sind das insbesondere die zukünftigen Gewinne des Unternehmens, die im Ertragswert abgebildet werden. Wenn er das Unternehmen nicht kennt, wird er naturgemäß die Risiken höher einschätzen als ein Verkäufer, der den Laden genau kennt. Die Corona-Krise hat Chancen und Risiken maßgeblich beeinflusst. Deshalb ist in der derzeitigen Situation eine valide Bewertung ausgesprochen schwierig." Gerda Gibsen ist Steuerberaterin und Expertin für Nachfolgefragen bei der Bethmann Bank. Nach ihrer Meinung werden abgabewillige Unternehmer größere Preisabschläge in den meisten Fällen nicht akzeptieren: "Der Verkauf des möglicherweise selbst gegründeten Betriebs ist für Senior-Unternehmer die Transaktion ihres Lebens. Damit sind viele Emotionen verbunden. Statt sich für einen, wie sie es empfinden, Schleuderpreis zu trennen, machen viele Firmeninhaber lieber weiter."

Auch in Familienunternehmen, die einen internen Stabwechsel anstreben, wird die Corona-Krise den Generationswechsel mit hoher Wahrscheinlichkeit bremsen. "Viele Unternehmer fühlen sich in einer Krise besonders herausgefordert. Dann ziehen sie die Zügel straffer, um ihr Lebenswerk vor Schaden zu bewahren. In einer solchen Situation Verantwortung an Söhne oder Töchter abzugeben, kommt für sie nicht in Frage. Viel lieber möchten sie das Unternehmen in einer Schön-Wetter-Phase weiterreichen", weiß Gustl F. Thum, ebenfalls Partner bei Dr. Wieselhuber und Partner.

Die Corona-Krise bremst den Generationswechsel

Die von den Autoren des Nachfolgemonitors gewonnenen Erkenntnisse über die Entwicklung von Unternehmen nach einem Generationswechsel, werden möglicherweise noch mehr Seniorchefs in der Überzeugung bestärken, die Stabübergabe hinauszuschieben. Denn danach schaffte es die Nachfolgegeneration in einem Drittel der mehr als 6400 untersuchten Fällen (2013 bis 2018) binnen zwei Jahren nicht, den Umsatz zu steigern. Noch düsterer ist die Bilanz mit Blick auf die Ertragsentwicklung. Bei mehr als jedem zweiten Betrieb war das operative Ergebnis zwei Jahre nach der Übernahme niedriger als zuvor.

Ein Grund dafür könnte sein, dass neue Firmenlenker häufig zunächst einen Investitionsstau abzuarbeiten haben. Denn in Erwartung des bevorstehenden Wechsels schrauben viele Senior-Chefs die Ausgaben bereits Jahre zuvor zurück. Laut Nachfolgemonitor war das Anlagevermögen bei 46 Prozent der Unternehmen im Jahr der Übernahme niedriger als drei Jahre zuvor.

Auch wenn die Folgen der Corona-Pandemie die Nachfolge im Mittelstand voraussichtlich verzögern werden, so ändert sich nach Einschätzung von Gustl F. Thum an der grundsätzlichen Gemengelage nichts: "Der Generationswechsel ist ein strategisches Thema, das Unternehmen von langer Hand und mit Begleitung von Experten angehen sollten. Wer jetzt unter dem Eindruck von Corona hektische Entscheidungen trifft, macht einen Fehler."

© SZ vom 01.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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