Unterhalt in der Pflege:Wann zahlen Kinder für ihre Eltern?

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Können Mutter oder Vater sich die Pflege nicht leisten, muss der Nachwuchs ran. Doch die Berechnung ist oft falsch. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Berrit Gräber, München

Hand in Hand: Wenn es um die eigenen Eltern geht, wird der arbeitende Nachwuchs zur Kasse gebeten, wenn die Pflege teuer wird. (Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)

Plötzlich kann alles anders sein: Werden Mutter und Vater schwer krank, stecken plötzlich die Kinder in der Verantwortung. Und es taucht die bange Frage auf: Wie viel muss man eigentlich finanziell schultern, wenn Rente, Vermögen der Eltern und die Leistungen der Pflegeversicherung nicht mehr ausreichen, um das Heim zu zahlen? Erst einmal springt das Sozialamt ein. Aber nicht ewig. Die Behörde versucht, Geld vom Nachwuchs zurückzuholen. Doch wo liegt die Grenze? "Niemand muss wegen des Elternunterhalts um seinen Lebensstandard bangen", sagt Jörn Hauß, Fachanwalt für Familienrecht aus Duisburg. Kinder dürfen mittlerweile mehr Geld für sich behalten, bevor sie ihre Eltern finanziell unterstützen müssen. Und es lohnt sich auch, genau hinzusehen: Die Forderungen des Sozialamts sind häufig zu hoch angesetzt. Betroffene sollten in jedem Fall nachrechnen lassen.

Wann müssen Kinder zahlen?

Verwandte in gerader Linie sind zum Unterhalt verpflichtet, also auch Kinder gegenüber ihren Eltern. So sieht es Paragraf 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Die Furcht vieler, mit Haus und Hof gerade stehen zu müssen, ist aber unbegründet. Erwachsene Kinder kommen erst dann ins Spiel, wenn ihre pflegebedürftigen Eltern die Kosten für Betreuung und Heim nicht mehr selbst aufbringen können. Lebt beispielsweise die Mutter im Pflegeheim, ist erst der Vater in der Pflicht. Ihr Eigenheim müssen sie nicht verkaufen, solange einer der beiden noch darin wohnt. Sind beide aus dem Haus, müssen sie die Immobilie allerdings für die Heimkosten einsetzen. Ist das Vermögen der Eltern bis auf einen Schonbetrag von 5000 Euro erschöpft, fordert der Sozialhilfeträger die Ausgaben dann von den Kindern zurück. Gibt es mehrere Geschwister, wird bei allen geprüft, inwieweit sie zum Unterhalt der Eltern beitragen können. Im Schnitt zahlen Sozialämter für mittellose Pflegebedürftige zwischen 500 und 1000 Euro im Monat. Kinder, die zahlen müssen, werden mit 200 bis 500 Euro im Monat zur Kasse gebeten. Ein zerrüttetes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ändert nichts an der Unterhaltsverpflichtung.

Was kommt auf Kinder zu?

Betroffene müssen nur so viel für den Unterhalt der Eltern zahlen, wie ihnen zuzumuten ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass ihr Lebensstandard geschützt ist (Az. XII ZR 266/99). Der Nachwuchs muss lediglich Mittel einsetzen, die er nicht für den Lebensunterhalt der eigenen Familie benötigt. Außerdem darf seine Altersvorsorge nicht angetastet werden (Az. BGH, XII ZR 98/04). Ein Durchschnittsverdiener habe nichts zu befürchten, sagt Michael Baczko, Fachanwalt für Sozialrecht in Erlangen: "Dazu zählen etwa Verheiratete ohne Kinder mit bis zu 4000 Euro Nettoverdienst im Monat oder Alleinverdiener mit bis zu 2500 Euro."

Wer muss mitzahlen?

Geschwister müssen anteilig nach ihrer Leistungsfähigkeit zahlen. Ist die Tochter beispielsweise ohne eigenen Verdienst und Vermögen, der Sohn hingegen berufstätig, wird nur er zur Kasse gebeten. Die Schwester nicht. Verlangt wird in jedem Fall, dass Geschwister ihre gesamten Finanzen bis ins Detail offenlegen - und die des Ehepartners gleich mit. Das Vermögen von Schwiegersöhnen und -töchtern bleibt erst mal außen vor. Trotzdem haften auch sie indirekt, weil das gesamte Familieneinkommen betrachtet wird. Beispiel: Eine Hausfrau ohne Verdienst hat einen gut verdienenden Mann. Da sie gegen ihn einen Taschengeldanspruch hat, kann das Sozialamt einen Teil davon für den Unterhalt einfordern.

Wie wird gerechnet?

Zum Einkommen zählen neben dem Nettolohn inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld sämtliche Einnahmen wie Arbeitslosengeld, Mieteinnahmen, Kapitalerträge oder Steuererstattungen. Bei Selbständigen wird der Verdienst der letzten drei Geschäftsjahre als Basis genommen. Kindergeld zählt nicht mit. Als Selbstbehalt muss Alleinstehenden mindestens 1800 Euro im Monat bleiben, Verheirateten 3240 Euro. Dieser Betrag erhöht sich um notwendige Ausgaben wie für den Unterhaltsanspruch der eigenen Kinder. Kredite, die schon vor der Pflegebedürftigkeit von Mutter oder Vater bestanden, werden oft anerkannt, aber nicht Autokredite, wie Baczko betont. Vorfahrt hat die Altersvorsorge. Arbeitnehmer und Beamte dürfen dafür monatlich fünf Prozent ihres Bruttolohns ausgeben. Wer nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, kann bis zu 25 Prozent einzahlen.

Was ist noch geschützt?

Wer ein Auto braucht, um zur Arbeit zu kommen, muss es nicht verkaufen. Tabu ist auch die selbst genutzte Immobilie, außerdem Rückstellungen für notwendige Reparaturen am Haus. Was nach den komplizierten Berechnungen bleibt, ist das bereinigte Einkommen. Danach wird beurteilt, ob das Kind zahlen muss. Je mehr Kosten ein Unterhaltspflichtiger für sich selbst und seine Familie hat, desto weniger Elternunterhalt muss er zahlen. Einem 55 Jahre alten Kind mit einem Jahreseinkommen von 60 000 Euro brutto stünde neben der selbst bewohnten Immobilie ein sogenanntes Schonvermögen von gut 250 000 Euro zusätzlich zu, wie Hauß erklärt. Orientierung kann ein Unterhaltsrechner bieten unter www.anwaelte-du.de (Elternunterhalt anklicken, dann Berechnungshilfe).

Rechnet das Sozialamt immer richtig?

Nein. "Es gibt kaum ein Sozialamt, das nicht zu viel verlangt", mahnt Bazco zur Vorsicht. Über 80 Prozent der Forderungen seien falsch. Meist werden Abzugspositionen schlicht übersehen, Sonder- und Mehrbedarf der Kinder fallen unter den Tisch. Das Schreiben der Behörde sollte am besten gleich von einem Sozialrechts- oder Familienrechtsanwalt geprüft werden. Häufig lassen sich die Forderungen drücken. Der Zahlungsaufforderung des Sozialamts muss erst einmal niemand nachkommen. Stellen sich die Kinder quer, muss die Behörde im Streitfall vors Familiengericht ziehen. Die Erstberatung beim Fachanwalt kostet etwa 250 Euro. Manche Rechtsschutzversicherer übernehmen diese Kosten.

Was ist noch ratsam?

Wer bereits seit längerem Elternunterhalt zahlt, sollte den Betrag vom Fachanwalt prüfen lassen. So mancher Bürger zahlt womöglich mehr als er müsste. In der aktuellen Koalitionsvereinbarung ist festgeschrieben, Kinder nur noch ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 100 000 Euro zum Elternunterhalt heranzuziehen. Sobald es Gesetz werde, sollten Kinder eine Neuberechnung verlangen, rät Hauß.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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