Unfallversicherungen:Im Dickicht der Verträge

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"Niedrige Krankenstände stehen nicht für mehr Gesundheit": Nicht immer sind die Grenzen zwischen Krankheit und Gesundheit auf den ersten Blick zu sehen. (Foto: imago)

Der Markt ist unübersichtlich. Um sich zurecht zu finden, sollte man einige Regeln und Begriffe kennen. Ein Überblick.

Von Anne-Christin Gröger, Köln

"Mitwirkungsanteil", "Progression" oder "Eigenbewegungsschaden" - wer eine private Unfallversicherung abschließen möchte, bekommt jede Menge Fachbegriffe zu hören. Das kann ganz schön verwirrend sein. Wer weiß schon, was eine "Gliedertaxe" oder eine "Grundinvaliditätssumme" sind?

Tatsächlich ist nicht einfach, die richtige Police zu finden - und das liegt nicht nur am Fachchinesisch der privaten Unfallversicherer. Auch das Angebot ist gewaltig. Weil für die Unternehmen Unfallversicherungen besonders margenträchtig sind, tummeln sich am Markt viele Anbieter mit ganz verschiedenen Tarifen. Mit Extras wie einem Unfalltagegeld, dem Unfallgenesungsgeld oder zusätzlichen Rentenzahlungen versuchen die Anbieter, sich voneinander zu unterscheiden. Genau das macht das Angebot nur noch unübersichtlicher.

Vor allem für Extremsportler oder Motorradfahrer kann eine Police sinnvoll sein

Die Folge des heftigen Wettbewerbs: Die Versicherer überarbeiten nach und nach ihre Tarife - auch zum Vorteil für die Kunden: "Die versicherten Leistungen werden immer umfangreicher und detaillierter", sagt Michael Franke, Geschäftsführer der Ratingagentur Franke und Bornberg aus Hannover. Das kann gut für Verbraucher sein, wenn sie genau hinschauen. Nicht alle Zusatzleistungen, die versichert werden können, sind aber tatsächlich auch notwendig.

Mit einer privaten Unfallversicherung können sich Kunden für den Fall absichern, dass sie nach einem Unfall einen dauerhaften körperlichen Schaden erleiden. Möglicherweise muss dann das Eigenheim umgebaut oder eine Haushaltshilfe angestellt werden - das kann viel Geld kosten. Eine Police kann helfen. Allerdings zahlt der Versicherer nur bei sogenannten dauerhaften Schäden. Bei vorrübergehenden Blessuren fließt kein Geld. Als einen dauerhaften Schaden sehen die Versicherer in der Regel Verletzungen an, die den Betroffenen voraussichtlich länger als drei Jahre beeinträchtigen.

Wichtig zu wissen: Für angestellte Arbeitnehmer ist der Weg von und zur Arbeit sowie die Arbeitszeit selbst über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. "Eine private Police ist eigentlich nur für Menschen mit erhöhtem Unfallrisiko sinnvoll", sagt Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur des Online-Portals Finanztip. Das giltzum Beispiel für Motorrad- und Rennradfahrer, Hobby-Reiter, Mountainbiker, Ski- und Snowboardfahrer und andere Extremsportler.

Grundsätzlich gilt: Verbraucher sollten bei einer privaten Unfallversicherung darauf achten, dass die Versicherungssumme, in den Verträgen oft Grundinvaliditätssumme genannt, ausreichend bemessen ist. Bianca Boss vom Bund der Versicherten (BdV) rät, diese Summe nicht zu niedrig anzusetzen. "Sie sollte mindestens bei 200 000 Euro liegen."

Auf Basis dieser Grundsumme wird dann auch berechnet, wie viel Geld ein Versicherter bekommt, wenn einzelne Körperteile nach einem Unfall versehrt sind. Das nennen die Versicherer bürokratisch "Gliedertaxe". Die Standardsätze, die in den Musterbedingungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft genannt sind, sehen zum Beispiel für den Verlust eines Arms 70 Prozent der Versicherungssumme vor, bleibt ein Ohr taub, sind es 30 Prozent und ist ein großer Zeh abgetrennt worden - werden fünf Prozent ausgezahlt. Das Geld gibt es aber nur, wenn der entsprechende Körperteil überhaupt nicht mehr einsatzfähig ist. Ist die Funktion nur teilweise eingeschränkt, kann der Versicherer Abzüge vornehmen.

Neben der Grundinvaliditätssumme muss der Kunde beim Vertragsabschluss auch den sogenannten Progressionssatz festlegen. "Die Progression sorgt dafür, dass Versicherte bei besonders hohen Invaliditätsgraden, also schweren Behinderungen, eine besonders hohe Leistung ausgezahlt bekommen", sagt Finanztip-Chef Tenhagen. Sein Portal empfiehlt einen Progressionssatz zwischen 225 und 350 Prozent. Darüber hinaus werden die Prämien sehr teuer. Ein Rechenbeispiel: Ein Kunde, der eine Versicherungssumme von 100 000 Euro vereinbart hat, bekommt mit einer Progression von 225 Prozent 225 000 Euro ausbezahlt, sollte er durch einen Unfall schwerbehindert werden.

Allerdings: Der Versicherer muss nur für ein Ereignis zahlen, das seiner Unfalldefinition entspricht. Laut Versicherungsvertragsgesetz ist ein Unfall ein "plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis". Ein Bänderriss beim Fußball ohne gegnerisches Foul oder ein durch Umknicken gebrochener Knöchel beim Bergsteigen zählen demnach nicht.

Extras wie Unfallgenesungsgeld oder Unfalltagegeld sind oft nicht nötig

Aufgrund des hohen Wettbewerbs im Markt schließen aber immer mehr Versicherer solche "Eigenbewegungsschäden" in ihre Leistungen ein. In guten Tarifen sind außerdem auch Unfälle durch sogenannte Bewusstseinsstörungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Borreliose-Infektionen nach einem Zeckenbiss versichert.

Verzichten sollten Versicherte hingegen auf Extras wie Unfallgenesungsgeld oder Unfalltagegeld. "Das macht den Vertrag unnötig teuer", sagt Verbraucherschützerin Boss. "Wer Wert auf solche Leistungen legt, schließt lieber eine private Krankenzusatzversicherung ab."

Obacht ist geboten beim sogenannten Mitwirkungsanteil. Hierbei geht es darum, welchen Einfluss frühere Krankheiten und Gebrechen auf die Unfallinvalidität gehabt haben. Regelmäßig kommt es deswegen zum Streit zwischen Versicherern und Versicherten. Ein Beispiel: Im Jahr 2011 rutschte ein Mann beim Entladen seines Autos auf dem vereisten Asphalt aus. Dabei fiel er so unglücklich auf die Schulter, dass er operiert werden musste. Die Operation ging jedoch schief. Trotz aller Behandlungen konnte der Mann seinen Arm nicht mehr uneingeschränkt bewegen. Deswegen forderte er von seinem privaten Unfallversicherer Krankentagegeld und eine Invaliditätssumme von knapp 45 000 Euro. Doch die Gesellschaft wollte nur einen Anteil zahlen und argumentierte, die Schulter habe schon vor dem Unfall unter "altersgerechtem Verschleiß" gelitten. Der Sturz sei nur Auslöser für die weiteren gesundheitlichen Beschwerden gewesen.

Das Oberlandesgericht Stuttgart sah das jedoch anders und gab dem Versicherungskunden im Jahr 2014 schließlich Recht. Der Versicherer muss demnach zweifelsfrei beweisen, dass der Kunde schon vor seinem Unfall behandlungsbedürftig gewesen wäre. (OLG Stuttgart Az. 7 U 35/14) Experten raten Kunden deswegen grundsätzlich zum Abschluss eines Vertrages, bei dem der Versicherer auf Anrechnung des Mitwirkungsanteils verzichtet.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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