Umsatzsteuer:Kriminelles Karussell

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Der Betrug mit der Umsatzsteuer wächst: Mit Hilfe von Scheinrechnungen kassieren kriminelle Banden die sogenannte Vorsteuer beim Finanzamt ab - Finanzminister Eichel ist hilflos. Der Schaden erreicht Milliardenhöhe.

Von Ulrich Schäfer

Hans Eichel könnte ein glücklicher Mann sein. Er müsste nicht den Nationalfeiertag verlegen. Er müsste nicht die Steuern erhöhen. Er müsste bloß jene Milliarden eintreiben, die Trickser und Betrüger dem Fiskus jedes Jahr bei der Umsatzsteuer entziehen.

Finanzminister Eichel setzt sich für eine Verschärfung der Vorschriften ein - doch noch sind die Betrüger meist einen Schritt schneller als die Finanzbehörden. (Foto: Foto: ddp)

Nirgends wird derart massiv getäuscht, nirgends ist die kriminelle Energie so groß. "Es ist schon unglaublich, was in der Welt geschieht", sagt Eichels Steuerstaatssekretärin Barbara Hendricks.

"Die von den Tatbeteiligten eingesetzte Kreativität und Gestaltungsvielfalt ist nahezu unerschöpflich", urteilt auch der Bundesrechnungshof.

Schaden erreicht bis zu 20 Milliarden Euro

Nach Berechnungen des Münchener Ifo-Instituts gehen dem Fiskus allein in diesem Jahr rund 17 Milliarden Euro verloren. Die Prüfer vom Rechnungshof gehen gar von bis zu 20 Milliarden Euro aus, und europaweit sind es sogar rund 100 Milliarden Euro.

Alle Versuche, den Betrügern mit härteren Gesetzen oder schärferen Kontrollen das Handwerk zu legen, sind bislang gescheitert. Zweimal hat der Finanzminister die Vorschriften im Umsatzsteuer-Gesetz verschärft, zweimal hat er deswegen Mehreinnahmen in Milliardenhöhe in seinen Haushalt eingestellt - doch die werde es nicht geben, räumt Hendricks ein.

Denn das Problem sind nicht nur Handwerker, die - wenn es der Kunde wünscht - auf eine Rechnung und damit auf die Mehrwertsteuer verzichten.

Stärker noch macht den Finanzämtern und ihren Fahndern seit Jahren der organisierte Betrug zu schaffen. Banden reichen zuhauf Scheinrechnungen beim Fiskus ein und bekommen, weil für Unternehmen die Mehrwertsteuer ja nur ein durchlaufender Posten ist, die auf die vermeintlich eingekaufte Ware bezahlte Abgabe - die so genannte Vorsteuer - zurück.

Europaweite Firmennetze

Immer häufiger werden dazu europaweite Firmennetze etabliert, über die wieder und wieder dieselbe Ware - etwa Handys - zum Schein weiterverkauft wird.

Jedesmal, wenn der Händler die angebliche Ware erwirbt, reicht er die Rechnung beim Finanzamt ein; dieses erstattet - so steht es im Gesetz - die darauf angeblich entrichtete Umsatzsteuer sofort und wartet dann vergeblich auf die Zahlung desselben Unternehmers, wenn dieser die Handys weiterverkauft.

Die Steuerfahnder sprechen von "Karusselgeschäften" und sind dagegen zumeist machtlos. Denn meist betrieben die Drahtzieher ihre "Karusselle" nur für wenige Wochen und sind längst verschwunden, wenn die Fahnder Verdacht schöpfen und die Firmenräume überprüfen.

Die Täter, stellt der Bundesrechnungshof in einem Gutachten für den Bundestags-Finanzausschuss fest, der am Mittwoch über das Thema berät, seien oftmals im Bereich der organisierten Kriminalität zu suchen.

Ihr Vergehen sei "häufig gepaart mit anderen Delikten" - mit Anlagebetrug, Geldwäsche, Insidergeschäften an der Börse oder gar mit der Terrorismusfinanzierung.

Sie nutzen dabei auch gezielt aus, dass die deutschen Steuerbehörden nur unzureichend kooperieren und der Austausch von Daten zwischen den Bundesländern oft nicht klappt. Die Fahnder seien, urteilt Hendricks, den internationalen Betrügerringen "oftmals einfach unterlegen".

"Nur unzureichend aufgestellt"

Noch deutlicher wird der Bundesrechnungshof: Die Finanzverwaltung sei trotz der bekannten Probleme "immer noch organisatorisch, personell sowie auch methodisch nur unzureichend aufgestellt".

Die Prüfer monieren zudem, "dass es der Finanzverwaltung längst noch nicht gelingt, die ihr zustehenden (Umsatz-)Steuern rechtzeitig, konsequent und vollständig zu erheben".

Wenn es nach Eichel ginge, müsste die deutsche Finanzverwaltung deshalb völlig neu geordnet und der Bund künftig weitaus mehr Macht bekommen.

Traum von einer zentralen Bundesfinanzverwaltung

Am liebsten würde der Bundeskassenwart den Ländern die Kontrolle über die Umsatzsteuer wie auch über die Lohn- und Einkommensteuer komplett entziehen und alle zuständigen Landesbeamten direkt einer zentralen Bundesfinanzverwaltung unterstellen - ein Vorhaben, das jedoch in der Föderalismus-Reformkommission auf keine Gegenliebe stößt.

Deshalb will Eichel nun die, wie er es sieht, zweitbeste Lösung verfolgen. Er will die Computerprogramme über Ländergrenzen hinweg vereinheitlichen und so den Datenaustausch über verdächtige Firmen erleichtern.

Er will zudem die Regeln für Fahnder standardisieren und pocht darauf, dass die Länder ihr Personal beim Fiskus nicht abbauen, sondern insbesondere in den Fahndungsabteilungen mehr Stellen schaffen.

Ähnlich sieht es auch der Bundesrechnungshof. "Da muss ein Umdenken statt finden", forderte seine Staatssekretärin Hendricks, "ansonsten entkleiden wir uns unsere eigenen Einnahmen".

© SZ vom 09.11.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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