Tui-Chef Frenzel im Interview:"Die Reisebranche ist krisengestählt"

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Der Chef des weltweit größten Touristikkonzerns Tui, Michael Frenzel, über seinen Job, seine Firma - und das Verhalten der Deutschen in der Krise.

M. Beise u. S. Detjen

Morgens erst hatte die MS Europa am Chicagokai im Hamburger Hafen angelegt, das kleine, aber feine Kreuzfahrtschiff der Tui. Während die Reisenden von Bord gingen und die neuen Gäste begrüßt wurden, sprach Vorstandschef Michael Frenzel im großen Salon über Schiffe, Urlauber und den Konzernumbau. Das Interview erscheint in der Reihe "Spitzengespräche", die gemeinsam von Süddeutscher Zeitung und dem Deutschlandfunk geführt werden.

"Es ist ein Anachronismus, dass die internationale Weltgemeinschaft nicht in der Lage ist, das Thema Piraten zu regeln." (Foto: Foto: AP)

Frage: Herr Frenzel, wir sind in einer ziemlichen Finanz- und Wirtschaftskrise. Alle sagen, es ist die größte Krise seit den dreißiger Jahren. Da könnte man ja vermuten, dass niemand mehr reist. Wie läuft denn das Kreuzfahrtgeschäft?

Michael Frenzel: Das Kreuzfahrtgeschäft läuft gut. Die Reisebranche ist inzwischen krisengestählt. Wenn ich die aktuelle Situation mit den Entwicklungen nach 2001 oder dem Irak-Krieg vergleiche, wo es wochenlang kaum Buchungen gab, ist das, was wir im Moment verspüren, beherrschbar und kontrollierbar. Natürlich gibt es Dämpfer in den Auslastungen, aber die Reiselust ist ungebrochen.

Frage: Haben Sie selbst schon mal eine Kreuzfahrt gemacht?

Frenzel: Ja, aber leider nie von ganz vorn bis hinten, weil es zeitlich nicht passte. Gegen Kreuzfahrten bestanden ja immer Vorurteile, Gott sei Dank sind diese inzwischen abgebaut. Früher galt die Kreuzfahrt als Urlaubsform für ältere Leute, die gerne Smoking tragen. Heute sind Kreuzfahrten die bequemste, luxuriöseste und einfachste Art, die Welt kennenzulernen.

Frage: Wenn ein Schiff durch den Golf von Aden nach Dubai fährt, muss es um das Horn von Afrika herum an der somalischen Küste. Da schrillen die Alarmglocken wegen der Piratengefahr. Ist das ein Problem für Tui?

Frenzel: Es ist ein Anachronismus, dass die internationale Weltgemeinschaft nicht in der Lage ist, dieses Thema zu regeln. Für uns steht Sicherheit obenan. Wir haben, als wir dort zuletzt eine Passage hatten, das Schiff evakuiert. Wir haben den Passagieren angeboten, dass sie vorher aussteigen können und haben sie nach Dubai geflogen. Das hat Geld gekostet und geht zu Lasten der Rentabilität, aber Sicherheit und Qualität sind vorrangig. Da dies natürlich keine Dauerlösung ist, müsste die Sicherheit der Seefahrtswege wieder hergestellt werden.

Frage: Ein anderes großes Problem der Reisebranche sind Seuchen. Mit der Schweinegrippe ist zum ersten Mal seit vielen Jahren die höchste Seuchengefährdungsstufe ausgerufen worden.

Frenzel: Seitdem wir 1997 begonnen haben, den Konzern Richtung Tourismus auszubauen, haben wir unterschiedlichste Krisen und dabei auch Epidemien erlebt. Die Schweinegrippe hat bislang keine neue Qualität. Wir mussten in Mexiko zum Teil Hotels schließen, die zum großen Teil jedoch wieder in Betrieb sind. 80 oder 90 Prozent der Gäste, die ursprünglich nach Mexiko wollten, fliegen jetzt nach Jamaika oder in die Dominikanische Republik.

Frage: Als Unternehmenschef der Tui ist Ihr Job wahrlich keine Lustreise. Dem Unternehmen geht es nicht wirklich gut, im operativen Geschäft schreiben Sie Verluste. Der Kurs Ihrer Aktie hat sich in den letzten Jahren halbiert. Haben Sie nicht manchmal Lust, einfach 150 Tage auf Weltreise zu gehen?

Frenzel: Operative Verluste schreiben wir nicht. Im letzten Jahr konnten wir sogar unser Betriebsergebnis, also den operativen Gewinn, auf 700 Millionen Euro steigern. Wir haben aber eine Reihe von Maßnahmen wie Abschreibungen vorgenommen, um den Konzern für die Krise wetterfest zu machen. Deswegen war 2008 das Gesamtkonzernergebnis negativ.

Frage: Das hat auch zu tun mit dem Verkauf der Containerschifffahrt Hapag-Lloyd, ohne diesen wären Sie in den roten Zahlen.

Frenzel: Nein, der Verkaufserlös ist ja nicht ins letzte Jahr geflossen, sondern wird erst 2009 in der Konzernbilanz wirksam. Gleichwohl, ich will es deutlich sagen, haben wir Herausforderungen, denen wir uns stellen. Wenn ich uns jedoch vergleiche mit anderen deutschen Unternehmen, die noch vor zwei Jahren glänzten und plötzlich am Rande der Existenznot stehen, muss ich sagen, halten wir unser Schiff trotz Gegenwind auf Kurs.

Frage: Aber die Finanzkrise macht der Tui schon zu schaffen?

Frenzel: Die große Herausforderung ist die Frage, wie es insgesamt in der Wirtschaft weitergeht. Das Problem sind die Prognosen und deren Zuverlässigkeit. Den Glauben daran habe ich so langsam verloren. Kein Mensch hat vorausgesehen, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist. Das heißt für einen Unternehmenslenker, man muss in Szenarien denken. Das gängige Bild ist im Moment, dass es irgendwann Mitte 2010 in Deutschland und weltweit anzieht. Das ist aber genauso wenig begründet wie umgekehrte Horrorszenarien, die sagen, die Krise dauert bis 2013 oder 2014.

Frage: Fast alle Unternehmen leiden im Moment unter der Ungewissheit. Bei Tui kommt jetzt dazu, dass es Kämpfe innerhalb des Unternehmens mit den Anteilseignern gibt. Ihre Hauptversammlungen sind mittlerweile hochinteressante Veranstaltungen geworden durch den norwegischen Großaktionär Fredriksen, mit dem Sie zu kämpfen haben.

Frenzel: Vorweg: Ein Investor, der sich die Tui als Ziel aussucht, ob er nun feindlich oder freundlich gesonnen ist, findet das Unternehmen zuerst einmal attraktiv. Die Tui gehört nicht mir, sondern ich bin der erste Angestellte dieses Unternehmens. Wie positioniere ich mich also gegenüber Forderungen von Aktionärsgruppen? Für mich ist entscheidend, wie die Mehrheit der Aktionäre die Themen betrachtet. Wenn Sie unsere letzte Hauptversammlung nehmen, so hatte das Management eine Unterstützung von zwei Dritteln der Aktionäre bekommen - gegen Herrn Fredriksen. Gleichwohl ist das keine Situation, die auf Dauer vernünftig ist.

Frage: Über Sie ist zuletzt viel Schlechtes gesagt worden, etwa, Sie seien der Dax-Manager mit den meisten Dienstjahren und dem wenigsten Erfolg. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger nennt Ihnen Konzernumbau eine der größten Wertvernichtungsaktionen der deutschen Unternehmensgeschichte. Was für ein dickes Fell muss man haben, um das auszuhalten?

Frenzel: Ich glaube, es gibt immer unterschiedliche Wahrnehmungen. Am Ende ist aber entscheidend, ob die Eigentümer, also die Mehrheit der Aktionäre, und der Aufsichtsrat dem Kurs folgen. Das Management muss in der Kommunikation zu diesen Gruppen seine strategischen Zielvorstellungen rüberbringen. Wenn ein Aufsichtsrat oder eine Mehrheitsgruppe von Anteilseignern den Kurs nicht mehr trägt, dann hat sie jederzeit die Macht zu sagen, dem Vorstandsvorsitzenden auf Wiedersehen zu sagen.

Frage: Sie haben die Reederei Hapag-Lloyd verkauft und dafür sehr viel Geld eingenommen, eine Milliarde Euro. Was machen Sie mit dem Geld?

Frenzel: Die Zeit ist nicht gut für Akquisitionen. Vielmehr sollte man sein Geld zusammenhalten und sehen, welche Herausforderungen noch kommen. Es ist nicht die Zeit, irrsinnige Prämien für Übernahmen zu zahlen. Man sollte über Wachstum und kleinere Akquisitionen nach vorn gehen.

Frage: Lassen Sie uns über die Aussichten in diesem Sommer sprechen. Am Ende des ersten Quartals hat die Branche über Einbrüche im Reisegeschäft geklagt. Die Hoffnungen lagen auf den Spätbuchern, die sich im letzten Moment entscheiden, doch noch in die Sommerferien zu fahren. Wie sieht es aus?

Frenzel: Wir haben Buchungsrückgänge. Denn der eine oder andere ist verunsichert, was mit seinem Arbeitsplatz passiert. Das Konsumklima ist zuletzt runtergekommen, es ist aber nicht in den Tiefpunkten von Krisen vorher, sondern es hält sich.

Frage: In den letzten Wochen wurde viel über die Schieflage von Arcandor berichtet und darüber, dass der Konzern Staatshilfe beantragt hat. Zu Arcandor gehört auch Thomas Cook, das zweitgrößte Reise-Unternehmen Europas. Wie haben Sie diese Diskussion eigentlich verfolgt?

Frenzel: Lassen Sie mich das Thema Staatshilfe loslösen von einzelnen Unternehmen. Die Frage ist generell: Welche Funktion hat Staatshilfe? Unser Bankensystem funktioniert im Moment nur sehr begrenzt. Bei Staatshilfe geht es konkret darum, einen ausgefallenen Bankenmarkt temporär zu ersetzen. Wenn ich das so betrachte, kann Staatshilfe durchaus legitim sein. Wichtig ist aber, dass Unternehmen, die so was beantragen, wirtschaftliche Perspektiven haben. Also, wir denken nicht über Staatshilfe nach.

Frage: Früher war es ja so, dass Manager gern gesagt haben, der Staat möge sich bitte um seine Dinge kümmern, aber nicht um die Wirtschaft. Heute ist es anders, heute bittet man zum Teil um Hilfe oder hat Verständnis dafür, wenn um Hilfe gebeten wird. Es gibt aber einen großen Zorn in der Politik über die unfähige Wirtschaftselite dieses Landes, die diese Probleme überhaupt erst hervorgerufen hat. Fühlen Sie sich unwohl?

Frenzel: Ich verfolge mit Sorge so gewisse Ausschläge in der Diskussion. Ausgelöst worden ist die Krise durch Fehlverhalten des einen oder anderen. Aber man muss sich gegen eine pauschale Vorverurteilung der Manager wehren.

Frage: Sie haben selbst mal eine politische Karriere versucht. Sie saßen für die SPD im Stadtrat Ihrer Heimatstadt Duisburg. Sind Sie noch SPD-Mitglied?

Frenzel: Ja, das bin ich. Wegen meiner Historie in der Partei habe ich auch nie ein Distanzproblem oder ein gefühlsmäßiges Problem zur Politik gehabt, sondern ich habe verstanden, wie Politiker ticken und warum sie was tun.

Frage: Könnten Sie sich vorstellen, wieder aktiv in der Politik zu werden?

Frenzel: Ich fühle mich in meiner Rolle sehr wohl im Moment. Gleichwohl war ein Politikerleben auch immer vorstellbar für mich. Auf der anderen Seite muss man sagen, Politik ist auch ein grausames Geschäft. Heute wäre das nichts mehr für mich.

Diese Version ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung. Die komplette Audio-Fassung ist im Internet-Angebot der Süddeutschen Zeitung abrufbar unter www.sz-audio.de/wirtschaft.

© SZ vom 18.06.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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