Türkeikrise:Vorsicht, ansteckend

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Dimitrov)

Greift die Türkeikrise auf andere Länder über? Die Märkte sind zwar gewappnet, dennoch ist die Unsicherheit bei der Planung unter Firmen groß.

Von Norbert Hofmann

Abstürzende Währungen, explodierende Schulden und ein heftiger Börsenkrach: Es war ein regelrechtes Debakel, mit dem die Schwellenländerkrise vor rund 20 Jahren die Märkte erschütterte. Internationale Investoren zogen abrupt Kapital aus den zuvor noch euphorisch gefeierten asiatischen Tigerstaaten wie Thailand, Südkorea oder Indonesien ab. Spekulanten traten auf den Plan, bis die Kettenreaktion im Sommer 1999 Russland erreichte. Die Rubelkrise wurde zur Bedrohung für das globale Finanzsystem, und der deutsche Aktienindex Dax verlor ein Drittel seines Werts. Erst mit der Rettung des in eine gefährliche Schieflage geratenen US-Hedgefonds LTCM beruhigten sich die Märkte wieder.

Seitdem hat sich viel verändert. Doch jetzt wecken die Turbulenzen in der Türkei Sorgen über eine neue Schwellenländerkrise. Die Symptome erinnern an 1998. Die türkische Währung ist in den Keller gerauscht und war am 31. August gegenüber dem US-Dollar nur noch halb so viel wert wie ein Jahr zuvor. Verluste gleichen Ausmaßes hat der Aktienindex der Istanbuler Börse erlitten. Gleichzeitig sind die Renditen türkischer Staatsanleihen nach oben geschossen. Jetzt machen hohe Zinsen und die Lira-Abwertung die vielen in Hartwährungen wie Dollar und Euro aufgenommen Schulden zu einer erdrückenden Last für das Land am Bosporus. Schon werden die Folgen eines Staatsbankrotts diskutiert und die Gefahr einer Ansteckung anderer Schwellenländer. Droht, befeuert durch internationale Handelskonflikte, eine neue Schuldenkrise und Rezession in den Emerging Markets weltweit? Müssen deshalb auch deutsche Unternehmen ihre Planungen für diese so wichtigen Märkte überdenken?

Bei näherem Hinsehen relativieren sich die Gefahren. "Die meisten Schwellenländer finanzieren sich heute deutlich weniger mit ausländischem Kapital als in früheren Jahren", sagt Elke Speidel-Walz, Chefvolkswirtin Emerging Markets des Fondshauses DWS. Länder mit einem ungesunden Leistungsbilanzdefizit von mehr als 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts seien eher die Ausnahme. Ein hohes Defizit bedeutet, dass ein Land mehr importiert als exportiert und stärker von externen Finanzierungen abhängig ist. In einer solch misslichen Lage aber ist derzeit unter den Schwellenländern neben der Türkei lediglich Argentinien. Dort schießen die Zinsen trotz eines 50-Milliarden-Dollar-Kredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) angesichts einer Inflationsrate von 28 Prozent weiter nach oben. Die meisten anderen Schwellenländer, so Speidel-Walz, haben die Preissteigerung unter Kontrolle - in Asien sogar trotz starken Wirtschaftswachstums. Für den deutschen Mittelstand sind das gute Nachrichten. Denn Potenzial sehen Exporteure in Ländern, in denen sie neben stabilen politischen Verhältnissen mit gesunden Wachstumsraten mit moderaten Preis- und Zinsentwicklungen rechnen können. Auch die Haushaltsdefizite der meisten Emerging Markets halten sich im Rahmen von bis zu drei Prozent. "Mit Ausnahme von Argentinien und Brasilien würden die wichtigsten Schwellenländer sogar die Maastricht-Vorgaben der EU erfüllen", sagt Speidel-Walz.

Wahr ist aber auch, dass die Währungen in Bewegung geraten sind. Ob brasilianische Real oder russische Rubel, ob chinesische Renminbi oder indische Rupien: Sie alle verlieren seit Monaten schon an Wert gegenüber dem US-Dollar, der im Zuge steigender US-Zinsen und der Politik des US-Präsidenten Donald Trump erstarkt ist.

Die Turbulenzen in der Türkei haben nun auch noch einmal für Druck auf die Währungen Mexikos, Indiens, Brasiliens und Indonesiens gesorgt. Überbewerten würden viele Experten das noch nicht. "Wir beobachten an den Devisenmärkten keinen generellen Rückzug aus den Schwellenländern, aber mittlerweile erhöhte Kursschwankungen gegenüber US-Dollar und Euro", sagt Sven Jürgensen, Währungsexperte bei HSBC Deutschland.

Allen voran China hätte zudem genügend Werkzeuge, um den Renminbi zu stützen. Mit über 3000 Milliarden US-Dollar hält das Land, das größter Gläubiger der USA ist, rund ein Drittel aller von den Zentralbanken weltweit gehaltenen Währungsreserven. Noch sehen die Verantwortlichen im Reich der Mitte keinen Grund für Stützungsmaßnahmen. Sie sind derzeit eher daran interessiert, mit einer lockeren Geldpolitik und Erleichterungen bei der Kreditvergabe die Binnenkonjunktur zu stärken. Und dass eine schwächere eigene Währung die Exportchancen stärkt, dürfte auch gelegen kommen. "Derzeit bewegt sich der Wechselkurs US-Dollar / Renminbi immer noch am oberen Rand der von China gewünschten Bandbreite", sagt Jürgensen.

Dennoch bleiben Risiken. Die Erwartung steigender Zinsen in den USA etwa könnte immer mehr Anleger bewegen, ihr Geld lieber wieder dort als in den Schwellenländern anzulegen. Die wären dann gezwungen, mit noch höheren Zinsen zu locken, was wiederum höhere Schulden mit sich brächte und die Konjunktur abwürgen würde. Derzeit allerdings liegen die Renditen sicherer US-amerikanischer Anleihen immer noch erst bei etwa drei Prozent. Indien und Mexiko dagegen bieten mehr als sieben Prozent, in Brasilien sind es sogar elf Prozent. Für risikofreudige Investoren ist das immer noch attraktiv. Erst wenn die Renditen von US-Anleihen deutlicher ansteigen, könnte das höhere Zinsen und damit größere Konjunkturrisiken für diese stärker in Dollar verschuldeten Länder mit sich bringen.

Allerdings sind die Märkte derzeit weniger von Zinsängsten, sondern eher von politischen Risiken geprägt. Vor allem die von Trump angezettelten Handelskonflikte sorgen für Unsicherheit.

"Wenn ab Oktober noch höhere Zollbarrieren Wirkung zeigen, könnte das im schlimmsten Fall mittelfristig bis zu einen Prozentpunkt des Wachstums in den betroffenen Ländern kosten", sagt die DWS-Volkswirtin Speidel-Walz. Davon würden diese Volkswirtschaften zwar nicht zusammenbrechen. Die dort agierenden Unternehmen müssten je nach Land aber mit mehr Unsicherheiten bei ihren Planungen rechnen.

Absatzpotenzial in den Schwellenländern wird deutschen Exporteuren damit weiterhin winken. Sie können sich zudem gegen Währungs- und Zinsschwankungen durch Devisenmarktgeschäfte ebenso wie durch das Kaufen von Optionen absichern. "Die Kosten dafür sind vom Markt- und Zinsumfeld abhängig", erläutert Alexander Mutter, Experte für Mittelstandsfinanzierung bei HSBC Deutschland. Die Preise für Devisentermingeschäfte steigen bei höheren Zinsen. Und Optionen, die quasi wie eine Versicherung funktionieren, werden bei höheren Risiken - signalisiert etwa durch stärkere Marktschwankungen - teurer. Noch aber ist es nicht so weit. "Die Risikoeinschätzung deutscher Exporteure hat sich nicht wesentlich verändert, die Absicherungsinstrumente sind nach wie vor sehr preisattraktiv", sagt Mutter.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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