Trendwende im Frühjahr:Einbruch des Ölpreises erwartet

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In einem halben Jahr wird der Ölpreis purzeln. Diese Prognose machen unabhängig voneinander zwei der weltweit angesehensten Forschungsinstitute.

Von Gerd Zitzelsberger

(SZ vom 20.10.03) — Glaubt man den Experten, könnte der Ölpreis bald drastisch einbrechen. "Wir rechnen für das laufende Quartal noch mit durchschnittlich 29 Dollar für ein Barrel Öl der Nordsee-Leitsorte Brent; für das Gesamtjahr 2004 dagegen erwarten wir einen Durchschnittspreis von 24 Dollar", sagte Vera de Ladoucette im SZ-Gespräch.

Ladoucette leitet die Abteilung Nahost-Analyse bei dem Forschungsinstitut Cambridge Energy Research Associates (Cera). Cera gilt zusammen mit dem Centre for Global Energy Studies (CGES) in London als die weltweit angesehenste private Forschungseinrichtung im Öl-Sektor.

Probleme im Irak

Der kräftige Preisrutsch wird Ladoucettes Ansicht nach im Frühjahr erfolgen, wenn die Nachfrage saisonbedingt am niedrigsten ist. Laut der Expertin könnte der Preis während des zweiten Quartals 2004 unter 24 Dollar pro Barrel (159 Liter) fallen.

Gegenüber dem derzeitigen Preisniveau wäre das ein Rutsch um 20 bis 25 Prozent. Das CGES zeigt sich zwar etwas vorsichtiger, prognostiziert aber ebenfalls, dass der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) "harte Zeiten bevorstehen". Der weltweite Bedarf an Öl aus den Opec-Ländern werde im nächsten Mai auf 24,8 Millionen Barrel pro Tag fallen.

Wendepunkt erstes Quartal 2004

Gegenüber der Nachfrage-Spitze vom vergangenen Februar wäre das ein Minus von 13 Prozent. Das erste Quartal des Jahres 2004 "könnte sich als der Wendepunkt für die Öl-Preise erweisen." In seinem mittleren Szenario prognostiziert das CGES für den Jahresdurchschnitt 2004 einen Preis von 26,60 und das zweite Quartal 25,20 Dollar je Barrel.

Bislang sind seit dem Ende des Irak-Krieges die Öl-Preise im Trend gestiegen. Nachdem die Opec am 24. September überraschend eine Produktionskürzung um 3,5 Prozent beschlossen hatte, kletterte die Notierung sogar auf über 30 Dollar. Nach Einschätzung von Ladoucette wollten die Opec-Staaten mit der Kürzung aber nur einem Preis-Kollaps im Frühjahr vorbeugen.

Gefahr durch Terroristen

Ihre Erwartung sinkender Preise begründet Ladoucette zum einen mit der steigenden Förderung in Russland und anderen Staaten, die nicht der Opec angehören.

Außerdem nähmen langsam die Exporte aus dem Irak wieder zu. Bislang haben Terroristen die wichtige Pipeline von den nordirakischen Öl-Feldern zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan nach jeder Reparatur wieder gesprengt und damit den irakischen Öl-Export massiv geschmälert.

Die Pipeline führt durch unwegsames Gelände und ist schwer zu bewachen. Die Folge der Sabotage ist, dass Öl wieder in die Lagerstätten zurückgepumpt werden muss, weil Transportmöglichkeiten fehlen. Inzwischen wird zumindest ein Teil dieses Öls durch eine andere Pipeline zum südirakischen Hafen Mina al-Bakr geleitet; er hat allerdings nur eine Kapazität von 1,3 Millionen Barrel pro Tag.

Irakische Produktion soll verdoppelt werden

Washington will die irakische Öl-Produktion bis Jahresende 2004 auf drei Millionen Barrel pro Tag hochfahren und damit verdoppeln. Ladoucette rechnet mit 2,4 Millionen Barrel im Jahresdurchschnitt.

Wie viel davon auf den Weltmarkt kommt, wollen aber weder Cera noch CGES voraussagen. Dies hänge auch davon ab, ob die USA dem Irak erlauben, die Pipeline nach Syrien wieder zu eröffnen, die etwa 0,3 Millionen Barrel pro Tag durchleiten könnte.

Russland fördert deutlich mehr Öl

In Russland und anderen Nicht-Opec-Ländern werden künftig 1,2 Millionen Barrel mehr pro Tag gefördert, schätzt Ladoucette. Damit steige die Förderung im Jahresdurchschnitt 2004 um etwa 2,5 Millionen Barrel pro Tag. Dem stehe aber nur ein weltweiter Nachfrage-Zuwachs von einer Million Barrel gegenüber.

Eine Garantie für niedrigere Ölpreise haben die Verbraucher freilich nicht: Auch in Nigeria oder Venezuela seien politische Unruhen derzeit nicht auszuschließen. Dies, so Ladoucette, könnte letztlich jede Prognose über den Haufen werfen.

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