Thyssenkrupp:Tradition verpflichtet

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In Andernach protestieren Tausende gegen die geplante Stahlfusion mit Tata. Doch der Konzern hält an der Abspaltung seiner Stammsparte fest - und will jetzt verhandeln.

Von Benedikt Müller, Essen

Wer Krupp hört, denkt an Stahl. Das mag gar umgekehrt gelten: Wer Stahl hört, denkt an Krupp. Der Essener Traditionskonzern, seit 20 Jahren fusioniert zu Thyssenkrupp, stellt den Werkstoff bis heute her, verarbeitet ihn zu Autoteilen, in Aufzügen, in U-Booten. Doch im nächsten Jahr will Thyssenkrupp sein Stammgeschäft der Stahlwerke abspalten - in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der britisch-indischen Firma Tata. Eine entsprechende Absichtserklärung haben die Konzerne im Herbst unterzeichnet. Thyssenkrupp sieht die Fusion als Befreiungsschlag; doch die Stahlwerker fürchten um ihre Arbeitsplätze. Beide Sichtweisen prallen an diesem Donnerstag aufeinander.

In der Konzernzentrale legt Vorstandschef Heinrich Hiesinger am Vormittag die Bilanz vor; ein Geschäftsjahr des Unternehmens endet stets am 30. September. "Wir wollen Thyssenkrupp zu einem starken Industriekonzern umbauen", beschwört der frühere Siemens-Manager seine Mission. Die Essener stellen im Foyer ihre Neuheiten zur Schau: Lenksysteme für das autonome Fahren, Aufzüge ohne Seil.

Doch in der Bilanz sticht ausgerechnet das Sorgenkind hervor: Die Stahlwerke erwirtschafteten im abgelaufenen Geschäftsjahr 17 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr; so viel Wachstum verzeichnet kein anderes Geschäftsfeld von Thyssenkrupp. Auch nach Abzug aller Verzinsungen blieb im Stahlgeschäft ein Gewinn. Gibt es sie etwa gar nicht, die viel beschworene Krise?

Hiesinger lobt seine Stahlwerker. Doch er betont, wie stark die Preise schwankten. In Europa gebe es immer noch zu viele Stahlwerke. Dabei wächst der Markt nicht mehr, und vor allem China hat in den vergangenen Jahren immer mehr Stahl in die Welt exportiert. "Deshalb sind wir überzeugt, dass eine Konsolidierung notwendig ist", sagt der 57-Jährige. Das geplante Gemeinschaftsunternehmen könne Synergien heben, die kein Konzern alleine erzeugen würde. "Es schafft für einige Zehntausend Mitarbeiter eine bessere und sicherere Zukunft", verspricht Hiesinger.

Zeitgleich in Andernach, 150 Kilometer südlich von Essen. Hier am Mittelrhein, im Werk Rasselstein, stellt Thyssenkrupp Weißblech her. Knapp 8000 Stahlwerker kommen um fünf vor zwölf zu einer Kundgebung zusammen. Sie fürchten die Fusion. Schon in einem ersten Schritt könnten Thyssenkrupp und Tata jeweils bis zu 2000 Arbeitsplätze bei ihren Stahltöchtern streichen. Und im Jahr 2020 sollen die Standorte abermals auf dem Prüfstand stehen.

Die Konzerne hätten in ihrer Absichtserklärung schon vieles vereinbart, sagt Detlef Wetzel. "Nur für die Menschen ist nichts, aber auch gar nichts geregelt", kritisiert der frühere Vorsitzende der IG Metall. "Das ist unfassbar, aber wahr." Und das müsse sich dringend ändern. Der stellvertretende Aufsichtsrats-Chef der Stahlsparte fordert, dass Essen zehn Jahre lang Arbeitsplätze, Standorte und Investitionen in dem geplanten Gemeinschaftsunternehmen garantieren sollte. "Darum wird es bei den folgenden Verhandlungen gehen."

Seit Mitte Oktober sondieren Thyssenkrupp und IG Metall, unter welchen Bedingungen die Arbeitnehmer-Vertreter der geplanten Fusion zustimmen könnten. Bislang drohen diese damit, im Aufsichtsrat gegen die Pläne zu stimmen. Zwar könnte der Vorstand den Zusammenschluss dennoch durchboxen, wenn alle Vertreter der Kapitalseite zustimmen würden; bei einem solchen Patt entschiede die Doppelstimme des Aufsichtsrat-Chefs Ulrich Lehner. Dies wäre aber ein Tabubruch in dem traditionell mitbestimmten Konzern.

Neben den Job-Garantien fordern die Arbeitnehmer, Thyssenkrupp sollte langfristig am geplanten Gemeinschaftsunternehmen beteiligt bleiben. Konzernchef Hiesinger betont in Essen, Stahl sei "eine der Wurzeln" von Thyssenkrupp; man bleibe Mit-Eigentümer. Bereit zu Zugeständnissen zeigt sich auch Oliver Burkhard. Der Personalvorstand des Konzerns will beim nächsten Treffen der Arbeitsgruppe am Freitag die Phase des Sondierens überwinden. "Morgen beginnen die Verhandlungen mit der Mitbestimmung", verkündet er am Donnerstagnachmittag auf Twitter.

Stahlhart zeigt sich Thyssenkrupp hingegen bei der Standort-Wahl: Das geplante Gemeinschaftsunternehmen soll seinen Sitz in der Region Amsterdam haben. Betriebsräte kritisieren dies als "Flucht aus der Mitbestimmung", weil Arbeitnehmer-Vertreter in den Niederlanden nicht im Aufsichtsrat sitzen dürften. Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei monierten, Thyssenkrupp ziehe mit seiner Stahltochter in ein Steuerparadies.

Hiesinger entgegnet am Donnerstag, man habe einen Standort gewählt, den Tata wie Thyssenkrupp gut erreichen könnten. "Es hat keinerlei steuerliche Vorteile", sagt der Vorstandschef. Steuern würden auch nach der Fusion jeweils in dem Staat entrichtet, in dem der Stahl produziert werde. Das neutrale Amsterdam lasse weder Thyssenkrupp noch Tata als Gewinnerin des Zusammenschlusses erscheinen. Beide Konzerne wollen sich zu je 50 Prozent an ihrer gemeinsamen Tochter beteiligen.

Thyssenkrupp verbucht 649 Millionen Euro Verlust. Schuld sind Altlasten aus Übersee

Noch macht die Stahlsparte ein Fünftel des Umsatzes von Thyssenkrupp aus. Insgesamt steigerte der Konzern im abgelaufenen Geschäftsjahr seinen Umsatz um neun Prozent. Trotz guter Ergebnisse der Stahlwerke und der Aufzugssparte verbucht Thyssenkrupp aber einen Jahresverlust von 649 Millionen Euro. Grund ist ein Sondereffekt: Der Konzern hat im Herbst sein defizitäres Stahlwerk in Brasilien endgültig verkauft und deshalb Hunderte Millionen Euro abgeschrieben. Für das nächste Geschäftsjahr kündigen die Essener wieder Gewinne an - sowie eine eher symbolische Dividende von 15 Cent pro Aktie.

Hiesinger will das Stammgeschäft auch deshalb abspalten, weil die Eigenkapital-Quote mit knapp zehn Prozent niedrig ist im Vergleich zu anderen Dax-Konzernen. Sobald die Stahlsparte mit ihren vielen Anlagen, Beschäftigten und Pensionszusagen nur noch als Finanzbeteiligung in der Konzernbilanz auftaucht, soll der Eigenkapital-Anteil auf etwa 20 Prozent steigen. Und wer dann Krupp hört, der denkt vielleicht eines Tages an Rolltreppen und Lenksysteme. Vielleicht aber auch nicht.

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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