Taxifahrer in Deutschland:Der tägliche Kampf auf der Straße

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Zu wenig Kunden, zu viele Autos - weil der Wettbewerb zwischen den Taxis so hart ist wie nie zuvor, weicht mancher Fuhr-Unternehmer in die Illegalität aus.

Von Nina Berendonk

München/Berlin -- Fredy Hummel bringt so schnell nichts aus der Ruhe: Als sich der jüngere Kollege mit seinem Taxi über den Bürgersteig an ihm vorbeidrängelt, bleibt er ganz gelassen.

"Viele fahren zehn oder zwölf Stunden, um über die Runden zu kommen". Taxifahrer am Frankfurter Flughafen. (Foto: Foto: dpa)

"Entschuldigen Sie mich einen Augenblick?" Hummel steigt aus seinem Wagen, beugt sich zum Fahrerfenster des anderen hinunter, wechselt ein paar Worte mit ihm und setzt sich dann wieder hinter das Steuer seines alten Volvos.

Der Zurechtgewiesene folgt ihm erbost, reißt die Autotür auf und redet erregt auf den Älteren ein: "Ich habe gedacht, du hättest einen Fahrgast, kann ich doch nicht riechen, dass du auch wartest!"

"Komm, ist gut", besänftigt Hummel, während er versucht, die Türe wieder zuzuziehen. Der andere stößt noch einen letzten Fluch aus und trollt sich dann zurück in sein Taxi.

Man merkt es Hummel an, dass es nicht das erste Mal ist, dass er so etwas erlebt. Seit 32 Jahren fährt der 53-Jährige in München Taxi. Eigentlich ist Hummel Papiertechniker. Nach seiner Ausbildung hatte er eine gute Stelle in einem großen Verlagshaus in Hamburg in Aussicht, "mit Krawatte und Sekretärin".

"Ein Job, in dem ich freier bin"

Aber als einer der 68er-Generation hat ihm diese Aussicht nicht gefallen. Stattdessen ging er in seine Heimatstadt zurück, als selbstständiger Taxifahrer. "Es gibt keinen Job, in dem ich freier bin", sagt Hummel. "Es ist mein Idealberuf." Das empfindet er bis heute so; auch wenn sich viel verändert hat in diesen drei Jahrzehnten.

"Die Zeiten sind schlecht", meint Hummel. Fast klingt es wie eine Entschuldigung für die Aggressivität des Kollegen. Gut die Hälfte weniger als zuvor hat Hummel in den vergangenen zwei Jahren verdient, was ihn aber wahrscheinlich weniger trifft als viele andere Fahrer.

Die Wohnung ist abbezahlt, Familie hat er nicht. Das gibt Hummel die Freiheit, täglich nur etwa vier Stunden arbeiten zu müssen -- allerdings sieben Nächte in der Woche. "Viele meiner Kollegen fahren inzwischen zehn bis zwölf Stunden am Tag, um ihr Geld zusammenzubekommen", sagt Hummel.

Die Branche steckt in der Krise. Nach Auskunft des Deutschen Taxiverbandes ist der Gesamtumsatz seit Frühjahr 2001 um rund 30 Prozent zurückgegangen.

Brutto-Stundenlohn von gerade einmal fünf Euro

Ungefähr 120 Euro Umsatz macht ein Taxifahrer nach Schätzungen des Verbandes inzwischen pro Tag. Davon behält er selbst etwa 45 Prozent -- verteilt auf einen zehn- bis elfstündigen Arbeitstag ergibt das einen Brutto-Stundenlohn von gerade einmal fünf Euro.

Schuld ist die Euro-Einführung im Januar 2002, glaubt Fredy Hummel. "Die Leute haben die arithmetische Relation verloren und fühlen sich ärmer!" Dazu kommen die Diskussionen um den Sozialabbau. "Die Leute geben auch aus Unsicherheit weniger aus -- keiner weiß, wie es ausgeht."

Besonders in Hummels Einsatzgebiet München trifft ein großes Angebot auf eine deutlich gesunkene Nachfrage: Etwa 2000 Taxi-Unternehmen buhlen um Gäste; mit 2,7 Taxis pro 1000 Einwohner hat München noch vor Frankfurt und Düsseldorf die höchste Taxidichte Deutschlands.

Hier wie in anderen deutschen Städten bestimmt die Kommune darüber, wie viele Betriebslizenzen sie vergibt, ob es ein Limit geben soll und wie viel die Fahrer pro Kilometer berechnen dürfen.

Weil Faktoren wie Nachfrage, Benzinpreis und Lebenshaltungskosten von Ort zu Ort unterschiedlich sind, variieren Fahrpreis und Taxidichte innerhalb Deutschlands: Während etwa Berlin und Hamburg so viele Konzessionen vergeben, wie nachgefragt werden, hat München die Zahl seiner Taxis auf knapp 3400 limitiert; die der Fahrerlizenzen ist dagegen überall unbegrenzt.

Die gestiegene Konkurrenz um die Gäste, das stundenlange Warten in der Schlange, der zum Teil lächerlich geringe Stundenlohn -- die Situation erzeugt viel Frust.

Schwarze Schafe

Gleichzeitig steigt die Zahl der schwarzen Schafe. Hummel weiß von vielen Kollegen, die Unterstützung vom Staat bekommen und trotzdem Geld mit dem Taxi verdienen - schwarz natürlich, manchmal auch mit dem Wissen der Unternehmer, die sich so den Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung sparen.

Zusammen mit Bau, Gastronomie, Gebäudereinigung, Spielhallen und Kurierdiensten gilt das Taxigewerbe als klassische Schwarzarbeitbranche.

Einer, der das bestätigen kann, ist Thorsten Staude. Der Zolloberamtsrat arbeitet bei der "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" (FKS) in Berlin. Im Schichtdienst durchkämmen Staude und seine 60 Außendienst-Kollegen die Stadt nach Schwarzarbeitern - allein im ersten Halbjahr 2004 haben sie über 7500 Arbeitnehmer aller Branchen überprüft und an die 4000 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

Mit modernen Fahrzeugen und geschulten Fahrern will das deutsche Taxi-Gewerbe mit der Taxi-Plus Plakette den kontinuierlichen Rückgang der Fahrgäste stoppen. (Foto: Foto: dpa)

"Ungefähr jeder Fünfte, den wir kontrollieren, bezieht Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Bafög und verschweigt das gegenüber dem Leistungsgeber", schätzt Staude.

Im Mai diesen Jahres haben sie bei einer Großrazzia am Flughafen Tegel in kurzer Zeit 42 Taxifahrer erwischt, die doppelt abkassierten. Viel öfter aber kontrollieren die Fahnder im Streifendienst "nadelstichmäßig", wie Staude es nennt.

Das seit August 2004 verschärfte Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz gibt den FKS-Zöllnern mehr Rechte: Sie dürfen zum Beispiel Taxen und Privatautos anhalten, unangemeldet Firmenräume durchsuchen und Bilanzen prüfen.

Nur noch wenige Büros sind erleuchtet, als sich Staude und seine elf Kollegen gegen 22.30 Uhr im Hof des Zollgebäudes auf die drei Streifenwagen und zwei Mannschaftswagen verteilen.

Die Nacht ist kühl, Nebel schluckt das Scheinwerferlicht. Bei der Einsatzbesprechung hat Staude den Fahrplan für die Nacht bekanntgegeben: Tempelhof, Herrmannplatz, Potsdamer Platz, Ostbahnhof -- bis 1 Uhr werden Taxis kontrolliert, den Rest der Schicht Imbissbuden und Kioske.

Die Taxifahrer an der Alten Potsdamer Straße können nur staunen, als sie kurz nach elf plötzlich umstellt sind. Ein Zollauto hält an der Spitze der Schlange, ein zweites hinter dem letzten Taxi.

Die anderen drei bleiben auf der anderen Straßenseite stehen. Die Zöllner verteilen sich auf die Taxen, die Klemmbretter mit den Erfassungsbögen in der Hand. In ein paar Minuten sind sie ausgefüllt; die Fahnder notieren Personalien, Autokennzeichen, Konzessionsnummer und fragen nach Aufenthaltsstatus, Arbeitsstunden, Entgelt und Sozialleistungen.

Die meisten Fahrer bleiben nach dem anfänglichen Erstaunen ruhig und freundlich, reichen eilfertig Papiere und Dokumente aus dem Auto. Nur der Fahrer des ersten Taxis, ein junger Mann in Lederjacke und mit einer selbstgedrehten Zigarette zwischen den Lippen, mosert.

Er müsse weg, behauptet er und kommt dann bei der Angabe seines Monatsverdienstes ins Straucheln. Rechnet lange hin und her und macht dann ungenaue Angaben. "Für uns immer ein Hinweis, da mal genauer nachzuschauen", sagt Staude später im Auto.

165 Euro dürfen Arbeitslosengeld-Empfänger im Monat dazuverdienen. Zusammen mit den anderen Bögen, die er heute Nacht ausfüllt, wird Staude die Angaben des jungen Mannes morgen der Tagschicht geben.

Die überprüft in Datenbanken, ob sie stimmen. Falls nicht, werden weitere Schritte eingeleitet: Betrüger müssen die zu Unrecht bezogenen Leistungen zurückzahlen; im schlimmsten Fall drohen sogar Haftstrafen auf Bewährung, die das Ende jeder Taxlerkarriere bedeuten. Ein vorbestrafter Taxifahrer bekommt keinen Personenbeförderungsschein mehr.

Keine moderne Legenden

Und dann sind da noch die Geschichten von den ahnungslos durch die Straßen kurvenden Fahrern, die von ihren Gästen ans Ziel gelotst werden müssen -- auch sie keine moderne Legende, sondern bittere Realität, die sich Hummel nur mit dem immensen Kostendruck erklären kann.

"Wenn die Autos stehen, kosten sie Geld", meint er. Deswegen fragten manche Unternehmer nicht lange nach der Lizenz, wenn sie gerade dringend jemanden brauchen. Nach Ansicht der Taxi-Verbände hängt die Misere des Berufsstandes auch damit zusammen, dass es keine bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards gibt.

"Wir sehen uns einem Wildwuchs an Verwaltungsvorschriften gegenüber", klagt etwa der Vorsitzende der Frankfurter Taxivereinigung, Walter Barth: "In Hamburg vergibt zum Beispiel die Baubehörde die Lizenzen; bei uns in Frankfurt ist es das Straßen- und Verkehrsamt." Das mache die ganze Sache unnötig kompliziert.

Beispiel Personenbeförderungsschein, kurz P-Schein: Während die dafür verlangte Ortskenntnisprüfung mancherorts mündlich abgefragt wird -- wobei man auch überprüfen kann, ob der Aspirant den örtlichen Dialekt versteht -- verlangen andere Kommunen nur einen einfachen schriftlichen Test.

Ein weiteres Problem sieht Thomas Grätz vom Deutschen Taxiverband darin, dass viele der örtlichen Genehmigungsbehörden sich nicht ausreichend um die Einhaltung der Vorgaben kümmert: "Die öffentliche Hand zieht sich mehr und mehr zurück."

Stattdessen macht sich inzwischen ein Teil der leidenden Branche selbst für höhere Standards stark: Während es beispielsweise in Frankfurt seit einiger Zeit "Taxi-Berater" gibt, die den Service an den Taxiständen überwachen, haben andere Städte Prüfsiegel eingeführt.

Wer zum Beispiel in Dortmund seinen Wagen mit dem Signet "Plus-Taxi" bekleben will, muss sich zuvor einer strengen Prüfung unterziehen.

Kontrolliert werden unter anderem Sauberkeit und Zustand des Autos sowie die Sprachkenntnisse des Fahrers. Es sind bislang nur Verbesserungen im Kleinen.

Aber inzwischen ist den meisten Taxlern klar, dass nur noch eines hilft: Qualität.

© SZ vom 6.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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