Tagelöhner in den USA:"Es hat keinen Sinn mehr hier"

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Die, die fast nichts haben, bekommen nun noch weniger: Die Tagelöhner in den Vereinigten Staaten trifft die Finanzkrise besonders hart.

Moritz Koch, New York

Acht hatten Glück. Ein Bauunternehmer sammelte sie vor einer Stunde auf. Sie fanden Arbeit, wenigstens für einen Tag. Die Zurückgebliebenen sitzen stumm um einen Wärmestrahler.

Victor Sanchez: "Ich habe meiner Familie pro Woche immer 200 Dollar geschickt, das war lange kein Problem." Aber dieses Jahr ist eine Katastrophe. (Foto: Foto: Moritz Koch)

Einer blättert in einem Englisch-Lehrbuch. Sie wollen weiter warten, auch wenn sie bereits ahnen, dass der Tag für sie gelaufen ist. Ihr Treffpunkt ist ein kleiner Bauwagen vor einem Einkaufzentrum am Rande Brooklyns. Hin und wieder tritt einer der Männer nach draußen und schaut sich um. Gleich hinter dem Parkplatz schwappt der Atlantik an einen vermüllten Strand. Möwen flattern im Tiefflug vorbei und lassen sich kreischend auf dem Asphalt nieder. Ein Job ist nicht in Sicht.

Die Männer kommen aus Mexiko und Guatemala. Sie sind Tagelöhner und illegal in den USA. Seit Jahren schlagen sie sich durch, irgendwie, aber nie zuvor hatten sie es so schwer wie jetzt. Tage vergehen, manchmal sogar Wochen, ohne dass Unternehmer vorfährt, der sie zu einer Baustelle bringt.

Erstarrte Bauwirtschaft

Oder wenigstens ein Familienvater, der Hilfe braucht beim Einbau einer neuen Küche. Es ist schon zehn Uhr, zwei Stunden noch, dann wollen die Männer nach Hause gehen. Morgen früh werden sie wieder kommen - mit der vagen Hoffnung, dann Glück zu haben.

Doch woher sollen die Jobs kommen, die die Tagelöhner so sehr brauchen? Die Bauwirtschaft in Amerika ist erstarrt. Im September wurden in den USA so wenige Eigenheime errichtet wie seit 17 Jahren nicht mehr. Viele Familien drückt eine gewaltige Schuldenlast, Einkommen stagnieren und Banken geizen mit Krediten.

An Renovierungen ist in vielen Haushalten kaum zu denken, selbst dringende Reparaturen werden verschoben. Amerika befindet sich in einer tiefen Krise und die Tagelöhner, die den Launen des Marktes unmittelbar ausgeliefert sind, trifft sie mit ihrer ganzen Wucht.

Im düsteren Innerem des Bauwagens bricht Victor Sanchez als Erster das Schweigen: "Meine Frau ruft mich jeden Tag an und fragt: Wo bleibt das Geld? Ich weiß ja, dass sie es braucht. Sieben Kinder haben wir. Aber ich habe kaum noch was, das ich ihr schicken kann." Sanchez ist Mitte 40, langsam ergraut sein schwarzes Haar. Er kommt aus Tlaxcala in Zentralmexico.

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200 Dollar pro Woche

Vor zehn Jahren überquerte er die Grenze in die USA und trampte hoch bis nach New York. "Ich habe meiner Familie pro Woche immer 200 Dollar geschickt", sagt er. "Das war lange kein Problem, jeden Tag habe ich Arbeit gefunden. Aber dieses Jahr ist eine Katastrophe. Ich muss schon zufrieden sein, wenn ich zweimal die Woche Geld verdiene. Für Miete und Verpflegung geht das Meiste gleich wieder drauf."

Sanchez Heimat bringt das Versiegen des Dollarstroms in arge Probleme. Die Heimatüberweisungen der Migranten sind nach Erdöl-Exporten die wichtigste Devisenquelle Mexikos. Kein anderes Land in Latinamerika bekommt mehr Geld aus dem Norden, mehr als 25 Millarden Dollar waren es im vergangenen Jahr. Doch für 2008 rechnet die mexikanische Zentralbank erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen damit, dass der Wert der Transfers zurückgeht - und dass, obwohl der Dollar wieder teurer ist und heute knapp 13 Pesos einbringt, statt zehn wie Ende 2007.

So reißt der mächtige Nachbar die Mexikaner mit in die Krise. Vor allem die Armen leiden darunter. In ländlichen Regionen, wo es kaum Arbeitsplätze gibt, sind Millionen Familien auf die Transfers angewiesen. Fast 80 Prozent des überwiesenen Geldes geben sie für Essen, Medizin und Mieten aus.

Nach offiziellen Schätzungen arbeiten acht Millionen Mexikaner illegal in den USA, ein Viertel davon in der Bauwirtschaft. Auch Victor Sanchez ist Bauarbeiter. Er repariert Bagger und Maschinen; wenn er denn Arbeit findet. Es ist nicht nur das geringe Jobsangebot, die ihm das Leben schwer macht.

Auch die Konkurrenz der Tagelöhner untereinander ist härter geworden. Viele festangestellte Bauarbeiter haben in den vergangenen Monaten ihre Arbeitsplätze verloren.

Jetzt kämpfen sie mit um die Gelegenheitsjobs. Genau wie die Latinos aus anderen amerikanischen Städten, die nach New York kommen in der Hoffnung, hier sei die Krise nicht so schlimm wie im Rest des Landes.

Zahl der Gelegenheitsjobs sinkt um 80 Prozent

"Sie täuschen sich", sagt Oscar Paredes. Seine Organisation Proyecto de los Trabajadores Latinoamericanos (PTLA) versucht, die Lage der Tagelöhner zu verbessern und setzt sich für ihre Rechte ein. "Die Situation in New York ist deprimierend. Nehmen wir Brooklyn als Beispiel. 2002, als der Bausektor boomte, kamen täglich 80 Männer zum Bauwagen und alle fanden innerhalb von einer Stunde einen Job. Heute hören wir von Leuten, die in drei Monaten nur sieben Stunden arbeiten konnten. Die Zahl der Gelegenheitsjobs ist um 80 Prozent gesunken."

In den Jahren des Aufschwungs hat die PTLA Regeln für die Schwarzarbeit durchsetzen können. So müssen Unternehmer, die die Arbeiter am Bauwagen aufsammeln, Sicherheitsvorschriften akzeptieren und Mindestlöhne zahlen. Ein Dachdecker etwa kostet 150 Dollar pro Tag, die Dienste eines Elektrikers sind für 100 Dollar zu haben. Die New Yorker Behörden lassen Paredes gewähren. Die Schwarzarbeit können sie ohnehin nicht besiegen. Viele Betriebe müssten ohne billige Arbeitskräfte schließen, und so begrüßt die Stadt, dass es wenigstens ein Grundgerüst an Selbstregulierung in der Schattenwirtschaft gibt.

Doch nun treibt die Not immer mehr Tagelöhner dazu, sich auf eigene Faust Jobs zu suchen, ohne den Schutz durch die PTLA. Der Winter steht an und die Arbeitsplätze am Bau werden bald noch seltener. "Die Männer nehmen jetzt so gut wie jedes Angebot an", klagt Paredes. "Einige schuften für 30 Dollar den ganzen Tag." Nicht nur, dass die Einzelkämpfer so die Löhne drücken. Sie laufen Gefahr, ausgebeutet zu werden. "Noch nie haben wir von so vielen Arbeitern gehört, die um ihren Lohn betrogen wurden", berichtet Paredes. Die Tagelöhner wehren sich nur selten. Einen Anwalt können sie sich nicht leisten und selbst wenn es zur Klage kommt, dauert es oft Jahre, bis der Fall entschieden ist.

Einige Latinos denken inzwischen daran, in ihre Heimat zurückzukehren. Sie hatten an die Verheißung geglaubt, dass man in den USA mit harter Arbeit zu etwas bringen kann, an den amerikanischen Traum, aber sie wurden enttäuscht.

"Wenn sich die Lage nächstes Jahr nicht bessert, wer weiß, vielleicht gehe ich zurück", sagt Sanchez. Sein Kumpel Jose Garcia hat sich schon entscheiden. "Ein, zwei Monate noch, dann bin ich zurück in Guatemala", sagt er. "Es hat keinen Sinn mehr hier."

Die Regierungen in Zentralamerika sind auf die Rückkehr der Wirtschaftsflüchtlinge nicht vorbereitet. Emigration diente in den instabilen Staaten jahrzehntelang als Ventil für sozialen Druck. Geringqualifizierte wanderten ab in die USA und entlasteten Arbeitsmarkt. Das begrenzte das Elend. Und so können sie Tagelöhner nicht damit rechnen, willkommen zu sein. Nicht einmal im eigenen Land.

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