SZ-Serie zur Gerechtigkeit, Folge 15:Gesundheit nach Kassenlage

Lesezeit: 3 min

Auf den ersten Blick klingt es logisch, was Friedrich Merz sagte. "Ein Pförtner hat das gleiche Krankheitsrisiko wie ein Firmenchef." Damit wollte der Finanzexperte und Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Kopfpauschale in der Krankenversicherung werben.

Von Andreas Hoffmann

(SZ vom 11.10.03) — Wenn Reiche ähnlich oft zum Arzt gehen wie Arme - dann sollen alle gleich viel zahlen: die Kopfpauschale. Leider ist das Argument von Friedrich Merz falsch. Reiche und Arme haben auch im Deutschland 2003 nicht das gleiche Krankheitsrisiko.

Wer arm ist, liegt häufiger in der Klinik; er ernährt sich schlechter, lebt nicht im Grünen, sondern in Stadtwohnungen mit schlechter Luft. Selbst Managerleiden wie Bluthochdruck sind bei ihnen dreimal so häufig wie bei Reichen. Arme, sagt der Medizinprofessor Gerhard Trabert, sterben im Schnitt sieben Jahre früher als Reiche. Wohlhabende leben zwölf Jahre länger ohne Beschwerden. Ist also die Kopfpauschale ungerecht?

Breite Schultern

In der Steuerpolitik gilt das Leistungsfähigkeitsprinzip, die Menschen mit den breiten Schultern sollen mehr beisteuern als die schwachen, wie es SPD-Fraktionschef Franz Müntefering ausdrückt. Wenn dieser Grundsatz auch für Sozialkassen gilt, müssen die Leistungsfähigen, die gesunden Besserverdiener, mehr in die Kassen zahlen.

Die Kopfpauschale wäre dann ungerecht, aber ist die Antwort so einfach? Über das Modell zu debattieren, ist schwer, da Kritiker schnell als Sozialromantiker gelten. In der Union ist das schön zu beobachten, weil die Ikonen der Kohl-Ära, Norbert Blüm und Horst Seehofer, Nein sagen.

Harte Einschnitte

Also heißt es: Seht, jene, die für die Malaise des Sozialstaats verantwortlich sind, verhindern seine Gesundung. Nun aber seien harte Einschnitte nötig. Nichts gegen Einschnitte, nur jeder Chirurg weiß: Man muss nicht tief schneiden, sondern das kranke Gewebe treffen. Und es ist schwer, soziale Gerechtigkeit zu definieren.

Was der Einzelne als gerecht empfindet, hängt von der Zeit, von der Geschichte und Kultur eines Landes ab. Der Bergarbeiter aus Emile Zolas Roman Germinal im 19. Jahrhundert hatte ein anderes Gerechtigkeitsverständnis als der Daimler-Facharbeiter des 21. Jahrhundert.

Gerechtigkeitskriterien

Für das Gesundheitswesen lassen sich aber einige Kriterien finden. Eine Krankenversicherung ist gerecht, wenn sie allen - egal ob reich oder arm - den Zugang zu den Ärzten ermöglicht. Sie ist auch gerecht, wenn die Menschen unabhängig vom Unbill des Lebens medizinisch versorgt werden, also Arbeitslose, Alte, Chroniker leicht zum Arzt gehen können.

Es ist zudem gerecht, wenn möglichst viele das System finanzieren, weil so die Last des Einzelnen sinkt. Die gesetzliche Krankenversicherung erfüllt bisher vieles davon, wenn die Solidarität auch eher auf die kleinen Leute begrenzt ist. Beamte, Minister oder Besserverdiener dürfen sich privat absichern.

Die Kopfpauschale würde dieses Problem vergrößern, denn die Herzog-Kommission will auch Risiko-Tarife einführen. Alte sollen mehr als Junge zahlen, weil sie leichter krank werden. Nur das Risiko alt zu werden, kann keiner vermeiden, ebenso wie sich das Krankheitsrisiko nur sehr begrenzt senken lässt.

Selbst Spitzensportler leiden unter Bluthochdruck, wenn sie die falschen Gene haben. Risiko-Tarife, wie sie die Privatassekuranz anbietet, sind für Versicherer gerecht - nicht für die Versicherten.

Kopfpauschale

Nun wollen die Vertreter der Kopfpauschale auch für einen sozialen Ausgleich sorgen, mit jährlich 27,3 Milliarden Euro Steuergeld. Dies sei gerechter, weil das Steuersystem besser umverteile, alle müssten zahlen. Jobs würden billiger, weil die Gesundheitskosten nicht mehr vom Arbeitsplatz abhingen.

Nur: Bisher erzielt der Staat mit dem Steuersystem vor allem Einnahmen. Soll es mehr umverteilen, müsste es umgebaut werden. Konkret: Man müsste die Vermögensteuer wieder einführen, Erbschaft- und Spitzensteuersatz anheben. Die CDU plant das nicht. Eine Steuerfinanzierung mildert die Abhängigkeit der Gesundheitskosten vom Arbeitsplatz nur wenig. 80 Prozent der Steuern stammen aus Lohn- und Umsatzsteuer, Arbeitnehmer finanzieren den Staat, nicht Unternehmer und Selbstständige.

Flautezeiten

Schließlich muss der Steuerzuschuss auch regelmäßig fließen. Nur wer das Ringen zwischen Sozial- und Finanzministern um die Rentenausgaben sieht, bezweifelt dies. In Flautezeiten wird jeder Finanzminister die Gesundheitsausgaben kürzen, die Oma erhält so die Kunsthüfte nach Kassenlage.

Übrigens: In der Schweiz gilt seit 1996 die Pauschale. Die Gesundheitsausgaben steigen seitdem ungebrochen und die eidgenössische Wirtschaft wuchs langsamer als der EU-Durchschnitt, zweimal war die Wachstumsrate sogar niedriger als in Deutschland. Die Praxis scheint sich an Parteiprogramme nicht zu halten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: