SZ-Serie zur Gerechtigkeit, Folge 14:Wir leben ja jetzt

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In feinem Sprühstrich, farbig auf grauem Grund, haben Unbekannte eine Hauswand im brandenburgischen Luckenwalde beschriftet: "Ihr geht mit der Welt um, als hättet Ihr eine zweite." Erinnerungen werden wach.

Von Michael Bauchmüller

(SZ vom 04.10.03) — In den Achtzigerjahren hatte die Sprayflaschen-Didaktik Konjunktur. Die Sprayer forderten Abrüstung, die Zusammenlegung von Häftlingen und Umweltschutz. Dann fiel die Mauer. Die Ruhe vertrieb kalte Krieger, Friedens- und Umweltaktivisten.

Auf globalen Konferenzen einigten sich die Staaten auf alles mögliche: Klima- und Artenschutz, Menschen- und Frauenrechte. Die Wirtschaft verpflichtete sich selbst zu diesem und jenem, die Menschen trennten den Müll. Die Welt schien heil und in Ordnung.

Kluge Strategien

In Ordnung ist gar nichts. Die Menschen gehen mit der Erde nicht besser um, sie wollen es nur. Gäbe es eine zweite Welt, müssten künftige Generationen dorthin umziehen. Schon jetzt ist sicher, dass unsere Nachkommen es einmal schlechter haben werden. Die Umweltprobleme sind zwar mittlerweile erkannt und Gegenstand kluger Strategien.

Doch über dieses Stadium ist die Welt nicht hinausgekommen: Die Probleme sind nur punktuell gemildert und intellektuell erfasst. Immerhin, die Strategie unserer Zeit klingt gut. Sie heißt nun "Nachhaltigkeit". Will heißen: "Verlasse die Welt so, wie du sie vorgefunden hast." Doch eine Strategie ist nur so viel wert wie die Bereitschaft, sie umzusetzen. Da hakt es.

Zielkonflikte

Nachhaltigkeit verträgt sich schlecht mit Bequemlichkeit und Strebsamkeit. Es gibt häufig Zielkonflikte zwischen Umweltschutz und Wachstum, zwischen Mobilität und Ökologie, zwischen Sehnsucht nach technischem Fortschritt und dem Bestreben, Ressourcen zu schützen.

Wirtschaftliches Tun verändert die (Um-)Welt. Es schafft neue Produkte, neue Konsum-Möglichkeiten, auch höhere Effizienz. Der globale Wettbewerb zwingt uns dazu, dieses Tun noch zu beschleunigen. Gleichzeitig wachsen die Probleme: Die Alpengletscher haben die Hälfte ihrer Masse schon verloren, weil es wärmer wird. Doch die Atmosphäre leidet weiter. Rund jedes vierte Säugetier, schätzt das Umweltnetzwerk IUCN, ist vom Aussterben bedroht. Schlimm.

Zwiespältige Gefühle

Einerseits. Andererseits freuen wir uns, zum Beispiel, wenn es den Luftverkehrsunternehmen gut geht. Sie beschäftigen viele Menschen, diese Menschen verdienen Geld, das sie für Güter und Dienste ausgeben, so dass wieder andere Menschen Arbeit finden. Wir wollen deshalb nicht, dass eine weltweite Kerosinsteuer die Flüge verteuert.

Wir genießen die grenzenlose Beweglichkeit- einsteigen, anschnallen, abheben. Atmosphäre? Klimaschutz? Ach was: Wir leben ja jetzt! Schön auch, dass Lebensmittel immer billiger werden. Das Kilo Schweinebraten für 4,44 Euro, der Salat ohne Geschmack, aber günstig. Überdüngung? Mastbeschleuniger? Antibiotika-Resistenzen? Ja, schon - aber so bleibt mehr Geld fürs neue Auto oder den Urlaub: Wir leben ja jetzt. Irgendwer wird das alles schon ausbaden, ein andermal. Gerecht ist das nicht.

Lebens-Egoismus

Nachhaltigkeit verträgt sich nicht mit dem Lebens-Egoismus. Natürlich soll ein jeder seine Lebenspläne individuell verfolgen können. Aber er übernimmt damit Verantwortung für andere und anderes. Schlimmer noch: Mit dem Drang zum Schnellergrößerbesser, der uns antreibt, ist Nachhaltigkeit nur schwer vereinbar.

Sie fordert ein Leben, dessen Spuren die Natur mühelos verdauen kann, dessen Bedarf sie jederzeit wieder erzeugen kann. Bei einer wachsenden Zahl von Menschen mit ihrerseits steigenden Bedürfnissen ist das nahezu unmöglich.

Geld bestimmt die Welt. Wir zahlen Steuern für Infrastruktur, Eintritt fürs Kino und den Badesee. Die "Benutzung" der Umwelt aber soll kostenlos sein? Die Menschen werden nicht aus plötzlicher Öko-Erkenntnis umdenken, sondern angesichts steigender Preise. Es geht nicht anders: Das teure Gut Natur muss teurer werden.

Standortbonus

Ihr Preis muss Ausdruck der Belastung sein. Das aber geht nur, wenn zumindest die Industrienationen an einem Strick ziehen - sonst wäre Umweltverschmutzung ein Wettbewerbsvorteil und eine laxe Vorschrift ein Standortbonus.

Sozialreformen, Arbeitslosigkeit, Terrorismus mögen wichtige Fragen sein. Aber sie überlagern andere Probleme, die kaum weniger Aufschub dulden. Daran kann auch die Weltmacht USA nichts ändern, die den Klimaschutz leichtfertig gegen Wirtschaftswachstum tauschte. Solcherlei Kalkül mag für uns aufgehen. Nicht aber für unsere Nachfahren. Eine zweite Welt gibt es für sie nicht.

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