SZ-Serie zur Gerechtigkeit, Folge 13:Die große Umverteilung

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Armut und Reichtum gehören in Deutschland zu den Tabus. Wer die Verteilung des Wohlstands diskutieren will, dem wird schnell vorgeworfen, Neid schüren oder den Erben von Einfamilienhäusern an den Kragen zu wollen.

Von Thomas Öchsner

(SZ vom 20.09.03) — Aber die Frage, wie viel Ungleichheit ein demokratisches Land verträgt und ob diese der Wirtschaft nützt, ist legitim und lässt sich nicht umgehen.

Der Bundesregierung gebührt das Verdienst, vor zwei Jahren erstmals einen nationalen Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt zu haben. Seitdem wissen wir etwas mehr über die Kluft zwischen mehr und weniger Wohlhabenden. Demnach ist das Vermögen nicht nur ungleich verteilt, die Schere hat sich auch von 1993 bis 1998 leicht, aber stetig geöffnet.

Schere klafft auseinander

Ordnet man die Bevölkerung nach ihrem Nettovermögen (Bruttovermögen minus Schulden), verfügt das obere Fünftel über 62,6 Prozent des gesamten Reichtums der Haushalte. Das unterste Fünftel besitzt, außer Gebrauchsgegenständen wie Auto, Möbeln oder Kleidern, überhaupt kein Vermögen.

In Wirklichkeit dürften die Unterschiede noch größer sein. Gerade die Reichen und Superreichen werden von den Statistikern bei Umfragen nur unzureichend erfasst. Um so aufschlussreicher sind die Daten, die das Investmenthaus Merrill Lynch zusammen mit einem Beratungsunternehmen im German Wealth Report vorgelegt hat: Etwa ein Viertel des gesamten deutschen Privatvermögens ist auf 365.000 Personen oder 0,5 Prozent der Bevölkerung konzentriert.

Keine Obergrenze

Nun besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Staat keine Obergrenze für ein bestimmtes Einkommen oder Vermögen festlegen kann. Weder gibt es dafür ein klar definiertes Kriterium, noch passt dies in die Marktwirtschaft. Also tatenlos zusehen und alles dem Markt überlassen?

Jeder Bürger sollte zumindest die Chance haben, Vermögen zu bilden. Sonst verliert das Wirtschaftssystem seine Legitimation. Tatsächlich häufen nicht nur glückliche Erben und erfolgreiche Unternehmer Millionen und Milliarden an.

Sparweltmeister Deutschland

Ein Großteil der Vermögenszuwächse ist darauf zurückzuführen, dass die Deutschen fleißig gespart haben und der Wert ihrer Eigenheime, Lebensversicherungen und Aktien kräftig gestiegen ist. Sparen kann allerdings nur, wer von seinem Einkommen etwas abknapsen kann. Und genau hier liegt das Problem.

Der Abstand zwischen niedrigen und großen Einkommen wird immer größer, weil sich die Verteilung der Steuer- und Abgabenlast radikal verschoben hat. Die Belastung der Gewinn- und Kapitaleinkommen hat seit Anfang der sechziger Jahre stetig abgenommen, die Belastung der Lohneinkommen durch direkte Steuern ist dagegen bis Ende der neunziger Jahre drastisch gestiegen.

Eine Analyse der letzten Vermögensteuerstatistiken zeigt, dass hohe Einkommen - trotz des Progressionseffekts - mit direkten Steuern eher mäßig belastet sind. Reichtumsforscher sprechen deshalb von einer "weitgehenden Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlagen".

Legale Schlupflöcher

Auf deutsch: Die Vermögenden nutzen geschickt alle legalen Schlupflöcher im Steuerrecht. Inzwischen profitieren die Arbeitnehmerhaushalte zwar von der Steuerreform, dieser positive Effekt wird durch die steigenden Sozialabgaben aber wieder aufgehoben. Zum Sparen fehlt in vielen Haushalten das Geld.

Der griechische Philosoph Platon wollte das Verhältnis zwischen Einkommen und Vermögen der Reichen und der Armen auf vier zu eins beschränken. Darüber mag man heute lächeln. Die Sorge, die Platon umtrieb, ist jedoch nach wie vor berechtigt. Platon fürchtete bei extremer Armut und extremem Reichtum die Spaltung der Gesellschaft. Und das droht auch in Deutschland, wenn nicht gegengesteuert wird.

Reformen dringend nötig

Nötig ist eine radikale Steuerreform, die die vielen Ausnahmetatbestände im Steuerrecht abschafft und im Gegenzug die Einkommensteuer reduziert. Die Finanzierung des Sozialstaats muss auf eine breitere Grundlage gestellt und vom Faktor Arbeit entkoppelt werden.

Dann lässt sich vielleicht auch wieder etwas sachlicher über eine neue Vermögensteuer oder eine höhere Erbschaftsteuer diskutieren, die bei den großen Vermögenstransfers stärker zugreift, ohne dabei Betriebsübergaben zu gefährden.

Diese Steuern bewegten und bewegen sich in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern auf einem so niedrigen Niveau, dass ein sonst genügsam gewordener Staat hier durchaus ein paar Wohlhabende stärker zur Kasse bitten kann.

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