SZ-Serie zur Altersvorsorge - Teil 1:Generationenvertrag am Ende

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Am Anfang stand eine verlockende Idee. Der Wirtschaftswissenschaftler Wilfried Schreiber hatte sie Mitte der fünfziger Jahre zu Papier gebracht, in einer Zeit, als die Sozialpolitik in Deutschland mit Hilfe zahlloser Verordnungen gesteuert wurde und daher einer grundlegenden Weichenstellung bedurfte.

Helmut Maier-Mannhart

Die Altersversorgung, so empfahl Schreiber dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, sollte nicht - wie zum Beispiel Ludwig Erhard meinte - durch Ansparleistungen jedes Einzelnen während des Arbeitslebens gesichert werden, auf die sich dann im Ruhestand zurückgreifen lässt. Vielmehr sollten die Beiträge der Erwerbstätigen unmittelbar als Zahlungen an die Rentner weitergereicht werden.

Adenauers Entscheidung für das Umlageverfahren

Der Gedanke war bestechend. Die damalige Generation hatte auf Grund zweier Inflationen schlechte Erfahrungen mit der Wertbeständigkeit der Ersparnisse gemacht. Bei dem von Schreiber empfohlenen System, das keinen Kapitalstock vorsah, war das Entwertungsrisiko also ausgeschlossen.

Und für den Staat war es insofern vorteilhaft, als er sich die Alimentierung der damaligen Rentner sparte, die während des Aufbaus der Kapitaldeckung notwendig geworden wäre. Trotz Bedenken von vielen Seiten entschied sich Adenauer 1957 für das von Schreiber entwickelte Umlageverfahren: der Generationenvertrag war damit geboren.

Fast drei Jahrzehnte hindurch funktionierte er vorzüglich nach dem Motto: Die Jungen finanzieren die Alten, erstere können ihrerseits aber Gleiches auch erwarten, wenn sie eines Tages in Rente gehen. Die Zahl der Rentner im Vergleich zu den Erwerbstätigen war relativ gering, die Beiträge bewegten sich anfänglich im einstelligen Bereich. Dennoch schwemmte die aufstrebende Wirtschaft so viel Geld in die Rentenkassen, dass die Politiker der Versuchung nicht widerstehen konnten, vor allem in Wahlzeiten immer neue Leistungsverbesserungen draufzusatteln.

Die ersten Probleme zeigten sich Mitte der achtziger Jahre, als die Arbeitslosigkeit anschwoll und sich die ersten Anzeichen einer demografischen Verschiebung hin zu mehr alten Menschen einstellten. Die Möglichkeit, dies über steigende Beiträge aufzufangen, stieß an Grenzen, Reformen waren unumgänglich.

Seither gleicht die Rentenversicherung einer immer währenden Baustelle, auf der Politiker reihenweise versuchten, die ständig größer werdenden Risse in dem Gebäude mit untauglichen Mitteln zu kitten. Jede der vielen Reformen erwies sich schnell als zu kurz gesprungen, harte Schnitte waren politisch nicht opportun. Mit der Folge, dass dem sozialen Alterssicherungssystem die Perspektive der Unfinanzierbarkeit anhaftet.

Die Gesellschaft verabschiedet sich

Die Ursachen für die Misere sind vielgestaltig, aber es gibt eine Schlüsselaussage, und die lautet: Die Gesellschaft hat sich selbst vom Generationenvertrag verabschiedet. Sie hat umgekehrt reagiert, als man hätte meinen können. Den zunehmenden Wohlstand hat sie nicht in Kinder, sondern in materielle Güter investiert.

Die Folge davon ist, dass, auch begünstigt durch den medizinischen Fortschritt, einer wachsenden Zahl von Rentnern immer weniger Erwerbstätige gegenüberstehen. Da die demografische Entwicklung über Jahrzehnte hinweg sicher zu berechnen ist, lässt sich schon jetzt absehen, wohin dies führt. Heute stehen 100 Beitragszahlern zur Rentenversicherung 43 Rentner gegenüber, im Jahr 2030 aber werden es 61 sein.

Es war das Grundversäumnis der Politik, darauf nicht reagiert zu haben. Man hat tatenlos zugesehen, wie immer mehr Menschen aus dem Generationenvertrag ausgestiegen sind, ohne dass dies für sie finanzielle Folgen gehabt hätte. Wer heute Generationengerechtigkeit einfordert, der muss sich erst einmal damit auseinander setzen, dass diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - auf Kinder verzichtet und damit den Generationenvertrag gekündigt haben, den gleichen Beitrag zur Rentenversicherung entrichtet haben, wie diejenigen, die durch die kostspielige Erziehung des Nachwuchses sich dieser Verpflichtung nicht entzogen haben.

Vieles ist schief gelaufen

Natürlich war und ist Kinder kriegen reine Privatangelegenheit. Trotz mancher Denkanstöße in diese Richtung aber hat man es aber versäumt, die kinderlosen Erwerbstätigen zu einem materiellen Ausgleich für die Rentenversicherung heranzuziehen, der uns heute eines Großteils der Probleme entheben würde.

Vieles andere ist außerdem noch schief gelaufen. All die von den Politikern ersonnenen Leistungsverbesserungen hatten stets nur die augenblickliche Finanzierbarkeit im Blick, nie aber die Gesamtperspektive.

Die Ausweitung beitragsfreier Zeiten, die Aufnahme von Selbstständigen zu Billigtarifen, der Ausbau versicherungsfremder Leistungen, die Anreize zur Frühverrentung und schließlich die Bewältigung der deutschen Einheit mit Hilfe der Rentenkasse - dies alles waren Benefizien, die von den Betroffenen gerne angenommen wurden, die aber die Nachhaltigkeit des Rentensystems aushöhlen.

Dass der Bund derzeit jährlich gut 80 Milliarden DM für den Ausgleich von versicherungsfremden Leistungen beisteuert, ist nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. So manches wurde zwar wieder zurückgenommen, doch änderte dies nichts an dem Grundsatz-Problem: Immer jüngeren Rentnern - das durchschnittliche Eingangsalter liegt bei 59 Jahren -, die immer älter werden, stehen immer weniger Beitragszahler gegenüber.

Private Zusatzvorsorge notwendig

Die jetzt auf dem Tisch liegenden Rentenreform-Pläne machen Schluss mit dem politisch zu lange gepflegten Irrglauben, das derzeitige Rentenniveau ließe sich bei in etwa stabilen Beiträgen aufrechterhalten. Das grundlegend Neue ist das Eingeständnis, dass die gesetzliche Rentenversicherung angesichts der demografischen Entwicklung nicht mehr einen materiell hinreichend gesicherten Lebensabend gewährleisten kann. An ihre Seite muss flankierend die private, staatlich geförderte Altersvorsorge treten.

Sie ist umso notwendiger, als Fachleute glauben, dass auch mit den jetzt vorgesehenen Korrekturen, in deren Mittelpunkt die Absenkung des Rentenniveaus bis 2030 von derzeit 70 auf 67 Prozent steht, die Rentenversicherung nicht dauerhaft bestandsfest gemacht werden kann. Auch wenn dies einhergehen soll mit einer Steigerung der Beitragssätze bis 22 Prozent:

Wegen des fehlenden demografischen Faktors, der in der Blüm´schen Rentenreform enthalten war, wird eines Tages wieder nachjustiert werden müssen. Dann bieten sich im wesentlichen drei Parameter an: Die Beitragssätze, das Renteneingangsalter oder das Leistungsniveau. Niemand sollte also blind darauf vertrauen, dass 67 Prozent schon die letzten Worte sind.

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