SZ-Reihe:Zocker unter sich

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Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. (Foto: SZ-Grafik)

Wettkämpfe, bei denen Leute in Videospielen gegeneinander antreten, sind in. Die Aktien von Spieleherstellern profitieren vom Hype - leichtes Siel für Anleger?

Von Janis Beenen, München

Tausende Zuschauer jubeln, als wäre es ein Match der Kölner Haie. Nur sind es heute keine Eishockey-Spieler, die durch die Köln-Arena flitzen. Die Stars sind junge Männer, die auf Bildschirme starren. In großen Sesseln sitzen sie im Zentrum der Halle und hämmern mit ihren Fingern flink auf die Tastaturen vor ihnen. E-Sport, elektronischer Sport, nennt sich das Ganze. Auf riesigen Leinwänden sind uniformierte Krieger, Maschinengewehre und Explosionen zu sehen. Alles gesteuert von den jungen Herren in den Sesseln. Sie spielen den Ego-Shooter "Counter Strike". Was nach einer Veranstaltung für passionierte Zocker klingt, interessiert mittlerweile auch Anleger.

Videospiele und insbesondere E-Sport sind ein riesiger Trend. Der Hype lässt die Aktien von Spielefirmen gewaltig steigen. Wertsteigerungen um 20 Prozent pro Jahr waren bei den Top-Playern der Branche zuletzt Standard, teilweise gab es auch viel extremere Sprünge. Die Videospiele sind ein Beispiel für eine boomende Branche, die für Anleger große Chancen bietet. Nur ist es wie bei jedem Boom: Wo es große Chancen gibt, sind auch die Risiken sehr hoch.

Fast alle großen Unternehmen der Branche sind börsennotiert, Anleger können also in die Aktien investieren. Anbieter wie Electronic Arts, bekannt für seine Fußballsimulation Fifa, und der Ballerspiel-Produzent Activision Blizzard dominieren den Markt. Sie bringen Spielklassiker in Serie und bemühen sich, neue Trends zu setzen. Electronic Arts und Activision Blizzard gehören zu einer Gruppe von sechs Unternehmen, die mit einem Umsatz von jeweils mehr als drei Milliarden Euro im Jahr 2016 die mit Abstand größten Akteure sind. Zu diesem Kreis zählen auch die "Super Mario"-Erfinder von Nintendo und die Gaming-Sparte von Microsoft. Gemessen am Umsatz von zehn Milliarden Euro ist Sony Marktführer, was daran liegt, dass Sony neben Spielen auch Konsolen im Angebot hat.

Lange war Zocken ein Privatvergnügen am heimischen Bildschirm. Der E-Sport eröffnet neue Möglichkeiten, da Computerspiele zum Massenevent werden. Woran die Hersteller dabei verdienen, lässt sich am Beispiel von Activision Blizzard vorrechnen. Es gibt eine eigene Liga, basierend auf einem Spiel des US-Konzerns mit dem Namen "Overwatch". Professionelle Akteure treten in großen Hallen an verschiedenen Spieltagen gegeneinander an. Die US-Investmentbank Morgan Stanley hat mehrere Gewinnszenarien der Events für die nächsten Jahre kalkuliert. Im schlechtesten Fall werde Activision Blizzard an seiner Liga 100 Millionen Dollar verdienen, im besten Fall 720 Millionen Dollar. Das wäre zum Beispiel deutlich mehr, als die amerikanische Fußballliga einnimmt. Experten halten eine positive Entwicklung für sehr wahrscheinlich. Und die Overwatch-Liga ist nur eine von etlichen weltweit, mit denen die Spielefirmen große Gewinne erwirtschaften. An Overwatch lässt sich auch aufschlüsseln, woran die Unternehmen beim E-Sport verdienen. Rund 30 Prozent ergeben sich aus Lizenzgebühren. Viele E-Sport-Turniere werden nämlich nicht von den Spieleherstellern selbst, sondern von externen Veranstaltern organisiert. Weitere 30 Prozent kommen über Sponsorengelder zusammen. Der Rest ergibt sich aus Ticketverkäufen, Merchandising und weiteren Gebühren, so die Einschätzung von Morgan Stanley.

Die Marktanalysten der Plattform Newzoo schlüsseln auf, wie sich E-Sport von Jahr zu Jahr entwickelt. 2015 nahmen die Hersteller weltweit 325 Millionen Dollar ein. Es folgte eine Steigerung der Einnahmen im Jahr 2016 um mehr als 50 Prozent auf knapp 500 Millionen Dollar. Aus Sicht der Marktbeobachter ist es wahrscheinlich, dass der E-Sport schon in drei Jahren Einnahmen von weit mehr als einer Milliarde Dollar generiert.

Es gibt zahlreiche Gründe, die dafür sprechen, dass sich die Prognosen erfüllen. Das nährt bei Aktionären die Hoffnung auf weitere Kursanstiege. Denn das professionelle Zocken ist längst nicht mehr nur Sache der Videospielproduzenten. Große Marken wie Red Bull, Coca Cola oder Gerolsteiner treten als Sponsoren in den Markt ein. Bekannte Firmen wie die RWE-Tochter Innogy oder etablierte Vereine aus dem herkömmlichen Sport wie Schalke 04 bringen eigene Teams an den Start. Die professionellen Spieler erhalten teilweise siebenstellige Gehälter und spielen um ähnlich hohe Preisgelder. All das wertet die Branche auf.

Auch die Zuschauerzahlen gehen kontinuierlich nach oben. Grund sind auch Liveübertragungen in Internet und Fernsehen. Mehrere hundert Millionen Menschen schauen E-Sport-Events live oder vor dem Bildschirm. Jahr für Jahr wächst die Fan-Gemeinde weiter. "An dieser Entwicklung gibt es keinen Zweifel. Die Gamer der ersten Stunde haben heute selber Kinder", sagt ein Sprecher eines global agierenden Veranstalters von Großveranstaltungen für Zocker. "E-Sport begeistert mittlerweile zahlreiche Generationen." Mehrere Mitarbeiter von Firmen, die in der Szene arbeiten, möchten nicht namentlich zum Thema genannt werden. Die Konkurrenz solle nichts über die Kalkulation von Entwicklungen der nächsten Jahre erfahren, sagt einer. Außerdem wolle man das Image eines coolen Trends bewahren, und nicht als Geschäftemacher auftreten.

Dabei geht es beim E-Sport genau darum: Weil die Fangemeinde wächst, steigt die Zahl der verkauften Spiele, neben dem E-Sport das Hauptstandbein der Produzenten. Für die Hersteller ist die Zahl der aktiven Spieler letztlich entscheidend. Denn im Vergleich zu E-Sport-Veranstaltungen wirft der Einzelverkauf von Produkten, im Laden oder als Download gleich aus dem Internet mehr Geld ab. Und wird Virtual Reality einmal massentauglich, gilt das als weitere große Chance für Computer- und Konsolenspiele.

Die Schnelllebigkeit der Branche freut Fans von Videospielen - für Anleger ist sie ein Risiko

Anleger sollten trotz solch positiver Aussichten aber die Risiken bedenken, bevor sie in diesen Markt einsteigen. Der Wert der Spielehersteller an der Börse stieg zuletzt stark. Es gibt zwar viele Anzeichen, dass das so bleibt. Dennoch bestehen unverkennbare Gefahren. Eine Investition in Einzelaktien ist auch in der Gaming-Branche nur etwas für Spekulanten, die keine Angst vor einem Totalverlust haben. Denn selbst bei guter Konjunktur und Marktlage können die Aktien einzelner Unternehmen an Wert verlieren, wenn Firmen zum Beispiel strategische Fehlentscheidungen treffen.

"Der Gaming-Markt ist sehr schnelllebig", sagt ein Mitarbeiter eines E-Sport-Konzerns. Zwar haben die großen Hersteller einige Spiele-Serien als feste Größen etabliert. Doch deren Halbwertszeit liegt bei wenigen Jahren, wenn es hoch kommt. Dann gibt es neue angesagte Spiele. Für Gaming-Fans ist das eine Freude, für Anleger ein Risiko. Bei Neuerscheinungen ist der Erfolg nicht garantiert. Und auch wer im Virtual-Reality-Geschäft als Vorreiter profitieren wird, ist derzeit nicht mit Sicherheit festzustellen. Spielehersteller, die heute wie die Gewinner des Gaming- und E-Sport-Booms aussehen, können schon nach wenigen Flops in extreme Turbulenzen geraten.

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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