SZ-Projekt "Die Recherche":Der erste Schuss ist gratis

Lesezeit: 3 min

Aus ökonomischer Sicht haben Süchtige eine unelastische Nachfrage. (Foto: Fernando Vergara/AP)

Warum Drogenmärkte anders funktionieren als der Einkauf im Supermarkt.

Von Jan Schmidbauer, München

Der Weg in die Heroinsucht beginnt oft mit einem Geschenk. "Das berichten die Patienten wiederholt", sagt Kirsten Meyer. Sie ist Suchtärztin und behandelt in München Schwerstabhängige, die nicht mehr wegkommen von den harten Drogen. Den ersten Schuss Heroin haben viele Süchtige umsonst bekommen. Manchmal kommt das Zeug von Bekannten, die schon süchtig sind. Aber auch die Dealer verschenken Stoff. Weil es sich lohnt. Die Margen, die sie mit der illegalen Ware machen, sind hoch. Wenn der neue Kunde erst einmal an der Nadel hängt, kassieren sie ihn ab.

Es klingt zynisch, aber man muss das so sagen: Dieser Marketing-Trick funktioniert schon seit 1729. Damals begann der Händler Nicolas Ruinart im französischen Reims, langjährigen Kunden eine Flasche Champagner zu schenken. Eigentlich verkaufte Nicolas Ruinart Tücher. Doch die Flaschen kamen bei den Leuten so gut an, dass er den Tuchhandel aufgab. Er gründete stattdessen ein Champagnerhaus, die Maison Ruinart, bis heute eins der berühmtesten. Doch Champagner ist legal, Heroin ist streng verboten. Auf den ersten Blick ähneln sich die Märkte für erlaubte und für illegale Produkte: Auf beiden gibt es zwei Parteien, die Produzenten und die Konsumenten. Genauso gibt es Angebot und Nachfrage. Aber auch große Unterschiede - zum Nachteil der Konsumenten.

Das betrifft vor allem die Preise. Weil Drogen verboten sind, bilden sich die Preise im Dunkeln. Wer wissen will, was ein Gramm Heroin kostet, findet den aktuellen Preis nicht in Werbeprospekten. Große Online-Vergleichsportale fehlen. Preisschilder, die allen Kunden zeigen, wie teuer der Stoff ist, gibt es auch nicht.

Beim Dealer kommt es vor, dass der eine mehr zahlen muss, der andere weniger. Denn fehlende Transparenz bevorzugt die Verkäufer, sie haben mehr Macht. Beispielsweise können sie den Konsumenten die Drogen teurer verkaufen, wenn diese die üblichen Preise noch nicht kennen. Angebot und Nachfrage gleichen sich nicht fair aus.

Gerade bei harten Drogen erzielen die Händler relativ hohe Gewinnmargen. Mit dem Anbau und der Herstellung der Drogen hat das wenig zu tun: Opium oder Kokablätter sind einfache Agrarprodukte, die als Rohstoff noch nicht besonders wertvoll sind. Die extremen Preissteigerungen entstehen erst im Handel. Denn durch das Verbot gehen die Verkäufer von Drogen das Risiko ein, erwischt zu werden. Gerade bei harten Drogen wie Heroin oder Crystal Meth drohen Dealern lange Haftstrafen. Auf dem Markt für Drogen sind deshalb nur Anbieter vertreten, die dieses Risiko bewusst eingehen. Und jeder Zwischenhändler lässt sich sein Risiko bezahlen.

Das hat Folgen für die Kunden. Bei Heroin kann der Preis für den Konsumenten durchaus 25 Mal so hoch sein wie der Preis, für den die Droge im Ursprungsland eingekauft wurde. Beim Dealer auf der Straße bleibt natürlich nur ein Teil hängen. Bei gefälschten Medikamenten können die Gewinnspannen noch höher sein. Gefälschte Pillen des Potenzmittels Viagra werden auch mal für das 200-fache des Einkaufspreises verkauft, sagen Experten.

Das entspricht einer Gewinnspanne von 20 000 Prozent. Zum Vergleich: Supermärkte sind Renditen im niedrigen einstelligen Prozentbereich gewohnt.

Die Risiken beim Handel mit verbotenen Waren führen auch dazu, dass es tendenziell weniger Anbieter gibt. Nur die Harten bleiben übrig, nur ein Dealer steht auf dem Schulhof. Monopole können zwar auch auf legalen Märkten entstehen. Zum Beispiel gehören der Deutschen Bahn die Schienen in Deutschland. Will eine private Firma Züge fahren lassen, muss sie sich mit der Deutschen Bahn einigen, eine andere Möglichkeit hat sie nicht. Deswegen will der Staat Monopole eigentlich verhindern. Wenn es nicht anders möglich ist, sorgt er als Schiedsrichter für scharfe Auflagen für den Monopolisten. Auf Drogenmärkten funktioniert dieser Mechanismus nicht. Hier ist es üblich, dass sich Anbieter bestimmte Gebiete aufteilen. Das Bundeskartellamt ist nicht zuständig und greift nicht ein. Das führt zu weniger Wettbewerb. Auch hier profitieren die Anbieter, denn sie können die Preise erhöhen, ohne dass der Konsument zu einem anderen Anbieter wechselt.

Die Konsumenten von Drogen sind gewöhnlich bereit dazu, hohe Preise zu bezahlen. Denn wenn sie einmal süchtig sind, wollen sie ihren Stoff unbedingt kaufen. Sie können ihre Sucht nicht einfach mit Gummibärchen oder Zigaretten befriedigen, andere Produkte bieten den Konsumenten keinen Ersatz. Ökonomen sagen dann: die Nachfrage ist unelastisch, sie reagiert nicht auf Preisänderungen. Auf legalen Märkten reagieren Konsumenten unterschiedlich: Als die Alcopop-Steuer die klebrigen Mischgetränke teurer machte, sank die Nachfrage. Das Gleiche gilt für Zigaretten. Steigt dagegen der Benzinpreis, lassen Pendler ihren Wagen nicht direkt stehen. Trotzdem haben Autofahrer Ausweichmöglichkeiten: Sie können beispielsweise den öffentlichen Nahverkehr nutzen, wenn ihnen der Sprit zu teuer wird.

Dass Drogen eher im Verborgenen gehandelt werden, hat auch für die Verkäufer abseits des Risikos einen Nachteil: Sie können nicht auf direktem Weg für ihre Produkte werben. Wenn ein Dealer neue Kunden gewinnen will, muss er sie direkt ansprechen oder darauf hoffen, dass seine Konsumenten ihn weiterempfehlen. Wessen Stoff knallt mehr? Solche Empfehlungen sind sehr subjektiv. Ob Preis und Qualität stimmen, muss jeder selbst beurteilen, und das geht nur durch Konsum. In der legalen Welt überprüfen Tester beim TÜV oder der Stiftung Warentest die Produkte. Doch eine Stiftung Warentest für Drogen gibt es nicht.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: