Südeuropäische Finanzmärkte:Nach den Milliarden

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Die Europäische Zentralbank stützt mit einem umstrittenen Programm Staaten und Banken. Jetzt plant sie ihren Rückzug - ein Risiko für wirtschaftlich instabile Länder.

Von Janis Beenen und Simone Boehringer, München

Es gibt kaum einen Zweifel: An diesem Donnerstag wird Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), das Ende des umstrittenen Anleihenkaufprogramms verkünden. Der EZB-Rat beschäftigt sich mit zwei Optionen: Möglich ist ein abrupter Ausstieg im Dezember, wahrscheinlich ist ein schrittweises Auslaufen über mehrere Monate hinweg.

Seit März 2015 kauft die EZB im Rahmen des sogenannten Quantitative Easing (QE) den Banken und anderen Finanzinstituten Staats- und Unternehmensanleihen ab. 2,2 Billionen Euro pumpte die Zentralbank bisher über dieses Programm in das Finanzsystem mit dem Ziel, das Bankensystem liquide zu halten und die niedrige Inflation Richtung zwei Prozent zu lenken, eine Zielgröße, mit der die EZB die Euro-Zone weit genug von gefährlichen deflationären Tendenzen halten möchte.

Besonders für die Staaten, die die Euro-und Schuldenkrise hart getroffen hat, ist die geplante Abschaffung des Kaufprogramms aber ein Schritt in die Ungewissheit. Denn die EZB-Politik half ihnen, trotz hoher Risiken weiter Käufer für ihre Schuldentitel zu finden. Schließlich wussten Finanzinstitute, Pensionskassen oder andere Großinvestoren stets, dass der zahlungsbereite Abnehmer in Frankfurt im Zweifel einspringen würde - und dies auch bis heute tut. "Die nationalen Notenbanken kaufen am Markt anteilig zum QE-Volumen von 60 Milliarden Euro Papiere ihrer eigenen Staaten auf", sagt Anleihenspezialist Rainer Guntermann von der Commerzbank. Auf die Bundesbank entfalle nach einem Kapitalschlüssel etwa ein Viertel der Zukäufe, auf Frankreich ein Fünftel und auf Italien beispielsweise nur 17 Prozent. In Summe hält das EZB-System dadurch in den großen Euro-Staaten 25 bis 29 Prozent des gesamten ausstehenden Anleihevolumens ( Grafik), bis Jahresende werden es nahezu 30 Prozent sein. "Die EZB kann nach ihren eigenen Regeln nicht mehr als 33 Prozent pro Emittent halten", sagt Guntermann.

Griechenland soll nach vielen Jahren finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen. (Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Schon deshalb dürfte die EZB formal nicht umhinkommen, eine Absenkung zu verkünden. Die meisten Marktbeobachter erwarten derzeit im ersten Schritt eine Halbierung des QE-Volumens auf 30 Milliarden Euro monatlich, von Januar an. Der Komplettausstieg dürfte noch länger dauern. Die Vorzeichen für die Zeit nach dieser Geschäftspraxis unterscheiden sich von Land zu Land deutlich. So sanken die Renditen griechischer und portugiesischer Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren über die vergangenen zwölf Monate bereits. Die portugiesische Rendite liegt bei etwa 2,3 Prozent, die griechische bei rund 5,6 Prozent nach 8,3 Prozent davor. Im europäischen Vergleich ist Athens Risiko noch recht hoch, was vor allem daran liegt, dass das Land außerhalb des QE-Programms direkt über die infolge der Finanzkrise entstandenen Europäischen Rettungsschirme unterstützt wird und daher eine Sonderrolle spielt.

In Italien und Spanien ist die Entwicklung gegenläufig zu den anderen Ländern. Renditen und Risikoaufschläge ziehen gerade wieder an. Für spanische Bonds stieg die Rendite binnen eines Jahres von einem auf 1,6 Prozent, für italienische von knapp 1,4 auf mehr als zwei Prozent.

Die Aussagekraft dieser Zinskurven ist umstritten. Beschreiben sie tatsächlich den wirtschaftlichen Zustand und die Perspektiven der Staaten? Oder kommen sie nur zustande, weil die EZB im Hintergrund bereitsteht, alles zu kaufen? Wenn ja, wie stark ist die Verzerrung genau?

Was man sagen kann: Die mit dem Risiko einhergehende Rendite für Staatsanleihen lag in der Ära des Kaufprogramms im Schnitt zeitweise so tief wie sonst nie in der Geschichte der Währungsunion. Über alles weitere streiten sich die Experten. Uwe Burkert zum Beispiel, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, macht sich gar keine großen Sorgen um die Anleihen der Südeuropäer, auch wenn die EZB aus ihrem Kaufprogramm aussteigt. "Die Euro-Zone kann sich nur noch selbst zerstören", sagt Burkert. Damit spielt er auf politische Unsicherheiten wie in Italien an. Dort besteht die Möglichkeit, dass die Euro-Kritiker bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr weiter erstarken. Bei wirtschaftlichen Schieflagen der Euro-Staaten könne die Zentralbank auch in Zukunft stabilisierend eingreifen, sagt Burkert: "Die EZB kauft und verkauft weiterhin Staatsanleihen." Tatsächlich bleiben ihr in extremen Situationen andere Mittel zur Sicherung. Im Krisenfall behält sich die EZB zum Beispiel vor, unbegrenzt Staatsanleihen mit kurzer Rückzahlungsfrist eines Landes zu kaufen. Genutzt wurde die Option bislang nie. Alleine die Ankündigung durch EZB-Chef Mario Draghi reichte, um Risikoaufschläge, also entsprechend höhere Zinsen, zu begrenzen.

Daniel Hartmann, Anleihenspezialist beim Investmentmanager Bantleon, ist dagegen weniger sorglos. Er sieht eine zwingende Bedingung für einen reibungslosen Ausstieg: "Damit die Risikoaufschläge der Anleihen im Rahmen bleiben, braucht es eine positive wirtschaftliche Entwicklung." Davon geht er bislang auch aus: "Der Aufschwung wird sich zwar abschwächen, aber eine Rezession ist nicht zu erwarten." Den Anstieg der Renditen in Italien und Spanien in den vergangenen Monaten möchte Hartmann nicht überbewerten. "Das Renditeniveau am Markt ist seit Mitte 2016 generell gestiegen", sagt Hartmann. Die Unsicherheit durch den Brexit und die Präsidentenwahl in Frankreich hätten die Renditen in Italien und Spanien noch etwas stärker steigen lassen als in Deutschland. Dass die Renditen in Griechenland und vor allem in Portugal gefallen sind, habe an den dort hohen Ausgangsniveaus und an den überraschend guten Wirtschaftsdaten gelegen.

Ganz so dramatisch dürfte der Ausstieg aus dem QE ohnehin nicht ausfallen. Denn es werden schon die ersten der von der EZB seit 2015 angekauften Papiere fällig. Die Schuldner zahlen das Geld an die EZB zurück, und "diese Mittel reinvestiert die EZB in andere Staatspapiere", sagt Commerzbank-Experte Guntermann. Über diesen Weg habe die Zentralbank seit März zusätzlich 15 Milliarden Euro in den Markt zurückgegeben, Tendenz steigend.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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