Streit über Arbeitsmarkt-Reformen:Bundesagentur warnt vor Milliardenlasten

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Im Streit um das soziale Profil der Parteien und die Zahldauer des Arbeitslosengeldes I hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, auf die Kosten möglicher Beschlüsse verwiesen und klare politische Vorgaben verlangt.

Nina Bovensiepen

Weise wies darauf hin, dass der Beschluss der Koalition, den Arbeitslosenbeitrag stärker zu senken als bisher geplant, seine Behörde 2,5 Milliarden Euro kosten werde.

Der Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU), das Arbeitslosengeld I an Erwerbslose mit vielen Beitragsjahren länger zu zahlen, würde sein Haus zusätzlich belasten. ,,Uns würde das mehr kosten'', sagte Weise.

Die Politik müsse ihm dann sagen, wo gespart werden solle: ,,Will man den Beitragssatz für alle erhöhen? Oder sollen Junge weniger bekommen? Oder soll insgesamt weniger Geld für Maßnahmen fließen?''

Lange eingezahlt

Angeführt von Rüttgers machen sich derzeit mehrere Unionspolitiker dafür stark, dass ältere Erwerbslose, die lange in die Sozialversicherungen eingezahlt haben, länger das in der Regel höhere Arbeitslosengeld I bekommen sollen, bevor sie auf Hartz-IV-Niveau abrutschen.

Heute gibt es das Arbeitslosengeld I in der Regel ein Jahr. Die verkürzte Zahldauer war mit der Hartz-IV-Reform beschlossen worden. Die Verkürzung soll den Druck auf Arbeitslose und Vermittler bei der Jobsuche steigern. Zudem soll sie bei den Unternehmen die Anreize zur Frühverrentung senken.

Weise erklärte, diese Effekte zeigten bereits Wirkung und übte damit indirekt Kritik an Rüttgers' Plänen. ,,Diese Gesamtkomposition hat dazu beigetragen, dass wir heute finanziell besser dastehen und bessere Leistung bringen'', erklärte der Manager.

Weise mahnt Mut an

Weise forderte von Politikern grundsätzlich den Mut, an beschlossenen Reformen mindestens drei Jahre festzuhalten. ,,Ich würde mir wünschen, dass man Dingen, die einmal entschieden sind, auch Zeit gibt, sich zu entwickeln'', sagte er.

Zwischen SPD und Union setzte sich der Streit über Rüttgers Vorschlag, über den der CDU-Parteitag in Dresden Ende November abstimmen soll, ungebremst fort.

SPD-Parteichef Kurt Beck sagte, der Union stehe eine ,,Zerreißprobe'' bevor. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) kritisierte in der Bild am Sonntag, dass die Union vor einem Jahr noch ,,aus dem Sozialstaat Kleinholz'' habe machen wollen und nun ,,Gysi und Lafontaine'' nacheifere.

Der Vizekanzler verwies zudem auf den Beschluss der Koalition, den Arbeitslosenbeitrag stärker als geplant zu senken. Dem hatte die SPD nur unter der Bedingung zugestimmt, dass es keine Veränderungen beim Arbeitslosengeld I gibt, die zusätzliche Kosten bedeuten. ,,Rüttgers Idee, die Jungen mit 1,2 Milliarden Euro abzukassieren und es den Älteren zu geben, ist damit auch erledigt'', sagte Müntefering.

Rüttgers zuversichtlich

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident widersprach dieser Auffassung. Er zeigte sich überzeugt, dass sein Vorstoß auf dem Parteitag eine Mehrheit finden und in die Politik der Bundesregierung einfließen werde. ,,Wenn es nötig ist, werden wir mit den Sozialdemokraten darüber streiten'', sagte Rüttgers dem Nachrichtenmagazin Spiegel.

Der CDU-Politiker, der noch vor einigen Jahren eine Verkürzung des Arbeitslosengeldes I für richtig gehalten hatte, zeigte sich überzeugt, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihn unterstützen werde.

Große Skepsis in der Unionsspitze

Nach SZ-Informationen gibt es indes große Skepsis in der Unionsspitze über das Vorhaben. Dort werde darauf gesetzt, dass die Debatte sich totlaufe, hieß es. In Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff wandte sich ein führender CDU-Politiker am Wochenende öffentlich gegen die Pläne.

CSU-Chef Edmund Stoiber stellte sich dagegen hinter Rüttgers, und erklärte, die SPD dürfe sich einem Gespräch nicht verschließen, falls die Union das Thema auf die Tagesordnung der Koalition setze.

Für weiteren Ärger mit der SPD sorgte unterdessen ein neuer Vorstoß von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zum Kündigungsschutz. Der Minister plädierte in einem Beitrag für die Welt am Sonntag für einen Umbau des Kündigungsrechts nach dänischem Vorbild.

In Dänemark sind die Kündigungsfristen kurz, Abfindungen gibt es kaum, dafür wird deutlich länger Arbeitslosengeld bezahlt. Arbeitslose erhalten bis zu vier Jahre bis zu 90 Prozent ihres alten Lohnes, wenn sich kein Job für sie findet. ,,Unser früher krisengeschüttelter Nachbar macht damit sehr gute Erfahrungen'', argumentiert Glos.

Müntefering lehnt Einschnitte beim Kündigungsschutz ab

Dessen Kabinettskollege, Arbeitsminister Müntefering, lehnt Einschnitte beim Kündigungsschutz aber vehement ab. SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler erklärte, Glos solle aufhören, die Bürger mit solchen Ideen zu ,,traktieren''. Die sinkenden Arbeitslosenzahlen belegten gerade, dass der Kündigungsschutz die Firmen nicht vom Einstellen neuer Mitarbeiter abhalte.

© SZ vom 06.11.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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