Streiks bei der Bahn:Der geplatzte Kindheitstraum

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Geringes Gehalt, viele Sonderschichten und kaum Freizeit - ein Lokführer erzählt von seinem Alltag.

Silke Lode

Den ersten Paukenschlag hat der Lokführer, der hier Christoph Kessler heißen soll, buchstäblich verschlafen.

Er lag im Nachtzug nach München, als seine Lokführer-Kollegen um fünf Uhr den Warnstreik begannen.

Auch der Führer seines Zuges legte pünktlich die Arbeit nieder und ließ Lok und Waggons bis zum Streikende im eben erreichten Bahnhof stehen. Für Kessler hatte sich damit die Frage erledigt, ob er sich am Streik beteiligen würde. Er war selbst ein Streikopfer.

"Züge aufstellen, Züge abräumen, Züge waschen"

Die schwarze Lederjacke liegt schwer auf seinen Schultern, während Kessler den Koffer aus seinem ICE hebt. Seinen richtigen Namen will er lieber nicht nennen, weil er gleich ein paar unbequeme Wahrheiten aussprechen wird.

An diesem Dienstag hat er Ortsdienst: "Züge aufstellen, Züge abräumen, Züge waschen." Kessler ist Anfang 20 und seit fünf Jahren bei der Bahn. "Lokführer - das war wirklich mein Kindheitstraum. Bis die Arbeitszeiten auf mich zukamen." Zum Beispiel die Regelung mit den Ruhetagen. "Da kannst du morgens um sieben aus der Nachtschicht heimkommen und am nächsten Morgen ab vier Uhr wieder Frühschicht haben, der Tag dazwischen zählt als Ruhetag. Dass du dich dazwischen nicht erholen kannst, das interessiert niemanden."

Seit einigen Jahren ist für die Lokführer eine 39-Stunden-Woche vereinbart. "Irrelevant", kommentiert Kessler trocken und erzählt von seinen 120 Überstunden, die er in diesem Jahr bereits angesammelt hat.

Von den 47 bis 55 Stunden, die er im Schnitt pro Woche arbeitet. Und von den Ruhetagen, die oft von Sonderschichten geschluckt werden. "Manchmal klappt der Ausgleich, manchmal nicht. Wir haben massiven Personalmangel, unsere Überstunden und den Resturlaub nehmen wir alle mit ins nächste Jahr."

Kessler wird auf allen ICE-Strecken in Deutschland eingesetzt, angestellt ist er in München. Hier hat er ein kleines Appartement, das ihn 200 Euro im Monat kostet. Ein Schnäppchen in einer Stadt, in der ein einzelnes Zimmer das Doppelte kosten kann. Sein Lebensmittelpunkt liegt jedoch fünf ICE-Stunden von München entfernt. Freunde und Familie hat er dort, ebenso eine Zweizimmerwohnung für 350 Euro. Das ist viel Geld für jemanden, der 1600 Euro netto verdient - "wenn es verdammt gut läuft".

Verdammt gut ist ein Monat, wenn er aus lauter Nachtschichten, Samstags- und Sonntagsdiensten besteht. Jede Arbeitsstunde an einem Samstag bringt 64 Cent extra, sonntags 3,48 Euro und jede Stunde pro Nachtschicht 1,28 Euro, wie Maik Brandenburger von der Lokführer-Gewerkschaft GDL sagt.

Durch die Zulagen können bis zu 350 Euro im Monat mehr auf dem Gehaltszettel stehen. "Aber die Zuschläge sind nicht planbar", so Brandenburger.

Ein Lokführer steigt bei 1970 Euro ein und ist nach vier Jahren im Dienst mit 2142 Euro brutto bei der höchsten Gehaltsstufe angelangt. "Das Ende der Fahnenstange ist bei 1500 Euro netto erreicht - das kann nicht sein", sagt der GDL-Sprecher. 2500 Euro müsse das Einstiegsgehalt betragen, fordert die GDL, 3000 Euro sollen nach 30 Jahren Konzernzugehörigkeit der Spitzenverdienst sein.

Dasitzen und die Landschaft anschauen

Schon bald wird auch Christoph Kessler die höchste Gehaltsstufe erreicht haben. Das ärgert ihn besonders. "Die Arbeit muss gerade im Alter ordentlich bezahlt werden. Die ganzen Nachtschichten - da kann mir keiner erzählen, dass die gesund sind. Wenn ich noch mit 65 auf meine Lok klettern soll, dann muss ich auch wissen, wofür. Dafür, dass ich fast nie zu Hause bin, mich körperlich kaputt mache und keine Freizeit habe?"

Freizeit ist ein Thema, bei dem der gemütliche Mann sich in Rage reden kann. Neulich wollte er mit Freunden aufs Schützenfest. Drei Wochenenden kamen in Frage, nie hat es geklappt. Vereinssport ist undenkbar, also hat Kessler es im Fitnessstudio probiert. "Man geht ja auseinander, wenn man immer nur dasitzt und die Landschaft anschaut ..."

Aber 40 Euro pro Monat waren ihm zu viel für die acht Besuche, die er maximal geschafft hat. Von seinem Traumberuf ist nach fünf Jahren nicht viel übrig geblieben. "Es ist nicht nur das knappe Gehalt oder die fehlende Freizeit", sagt er.

"Die neuen Fahrzeuge sind alle computergestützt, da ist nicht viel zu tun. Wir werden von Technikern zu Bedienern, da können sie die Löhne noch weiter senken." Beim nächsten Streikaufruf will er dabei sein. Und mit auf die Pauke hauen.

© SZ vom 4.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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