Streik in Ostdeutschland:Das Ende der Sprachlosigkeit

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Sie wollen wieder auf einander zugehen: Die Arbeitnehmer-Vertreter kündigen ein Kompromiss-Modell an und wollen den Konflikt mit den Arbeitgebern noch diese Woche beilegen.

Jonas Viering

(SZ vom 25.6.2003) — Nach mehr als drei Wochen ohne Gespräche wollen Gewerkschaft und Arbeitgeber der Metallbranche wieder miteinander reden. Der Arbeitskampf um die Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland soll nach dem Willen der IG Metall noch in dieser Woche in Verhandlungen beigelegt werden.

"Beide Seiten brauchen ein Aufeinander-Zugehen", sagte IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. Die Gewerkschaft will ein Kompromiss für die Angleichung der Arbeitszeit Ost an den Standard West vorlegen. Noch ist aber ungewiss, ob sich die Tarifparteien annähern. Die Arbeitgeber nahmen das Gesprächsangebot an.

Der Präsident der sächsischen Verbandes, Bodo Finger, erklärte jedoch, er sehe "derzeit keine Perspektive" für einen Erfolg der Gespräche. Ein Sprecher der Arbeitgeber Berlin-Brandenburg verlangte, vor Verhandlungen müsse erst der Arbeitskampf gestoppt werden — das lehnte die IG Metall mit einer Ausnahme vorerst ab.

Bei ZF, dem Brandenburger Zulieferer von BMW, wird der Streik ab Donnerstag ausgesetzt. Ein Signal der IG Metall: Dadurch könnte wohl in absehbarer Zeit BMW wieder die Arbeit aufnehmen.

Ausloten von Lösungsmöglichkeiten

Bei einem Spitzentreffen der Führung von IG Metall und dem Dachverband der Arbeitgeber, Gesamtmetall, sollen am Donnerstag Lösungsmöglichkeiten ausgelotet werden. Am Freitag werden dann in Berlin die Verhandlungen aufgenommen, am Tisch sitzen alle fünf Metall-Arbeitgeberverbände Ostdeutschlands und die Chefs der Gewerkschaftsbezirke.

Sollte sich bis Sonntag keine Lösung andeuten, "dann verfestigt sich der Eindruck, dass einige Arbeitgeber verbrannte Erde wollen", sagte Zwickel. Er drohte, dann werde die IG Metall Haustarife erkämpfen und "auch im Westen offensiv aktiv werden". Als Beispiel verwies Zwickel auf VW in Salzgitter, wo eine ganztägige Betriebsversammlung die Produktion zum Stocken brachte.

Betriebsräte wie Manfred Schoch von BMW betonten zwar den Wert der innergewerkschaftlichen Solidarität. Bei aller Zurückhaltung sagte Schoch aber, er plane keine zusätzlichen Betriebsversammlungen. Er wolle Schaden von BMW abwenden: "Wir haben flexible Arbeitszeitregelungen, können beispielsweise die Vier-Tage-Woche auf fünf Tage ausbauen, da haben wir viele Möglichkeiten, um die Produktionsausfälle wieder aufzuholen."

Bei BMW mussten zuletzt mehr als 10000 Beschäftigte mit Kurzarbeit Null nachhause geschickt werden, weil Zulieferer bestreikt wurden. Bei VW in Wolfsburg muss am Freitag die Fertigung des Golf vorerst eingestellt werden. Wegen des Streiks im Zweigwerk Mosel bei Zwickau fehlen wichtige Teile für die Produktion, erklärte ein Sprecher. Insgesamt würden 20000 Autos weniger vom Band laufen können.

Zwickel deutete in drei Punkten Kompromissbereitschaft an. Er sprach davon, ein Arbeitszeitmodell mit dem Thema Qualifizierung zu verknüpfen. Dies könnte bedeuten, dass weiter 38 Stunden bezahlt werden, ein Teil davon aber statt für Arbeit für Qualifizierung verwendet wird. Eine ähnliche Regelung stellt bereits das 5000x5000-Modell von VW dar.

Anpassungsklausel für den Stufenplan

Zum Zweiten ließ Zwickel erkennen, dass in einem Stufenplan zur Arbeitszeitreduzierung nicht alle Stufen zeitlich fixiert werden müssten. Drittens sprach er "ausdrücklich von einer Anpassungsklausel" für die einzelnen Stufen. Dies würde bedeuten, dass über jeden Schritt der Verkürzung anhand ökonomischer Kriterien verhandelt wird.

Die mit der Stahlbranche zur Arbeitszeitverkürzung bis 2009 vereinbarte Revisionsklausel sieht dagegen solche Verhandlungen nur für den Ausnahmefall vor.

Sollten die Verhandlungen mit den Arbeitgebern scheitern, "so steht das Ende des Flächentarifs Ost bevor", sagte Zwickel. Und fügte hinzu: "Man kann nicht ausschließen, dass das die Atomisierung der Tarifpolitik insgesamt beschleunigt" — also auch im Westen.

Mehr als die Hälfte der Ostdeutschen lehnt den Streik ab. Das ergab eine Umfrage des Mitteldeutschen Rundfunks. In einem gemeinsamen Brief an die Tarifparteien warben über Parteigrenzen hinweg die Ministerpräsidenten der vom Streik besonders betroffenen Länder Brandenburg, Sachsen und Bayern, Matthias Platzeck (SPD), Georg Milbradt (CDU) und Edmund Stoiber (CSU), dafür, dass der Streik rasch endet.

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