Steuerreform:Von der Kunst des Dementis

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Das Gerücht hat sich tagelang hartnäckig gehalten, doch bestätigen wollte die Pläne niemand so recht. In Berlin deutet aber vieles auf ein Vorziehen der Steuerreform hin.

Robert Jacobi

(SZ vom 13.06.2003) — Die Regierungssprecher in Berlin haben die Kunst des Dementis perfektioniert. Laufend weisen sie Berichte über angebliche Vorhaben förmlich zurück, die trotzdem längst im Kanzleramt oder in den Fachministerien kursieren.

Um später nicht als Lügner dazustehen, wählen sie ihre Worte sehr genau: "Derartige Planungen gibt es nicht", lautet der Standardsatz des Sprechers von Finanzminister Hans Eichel, wenn er darauf angesprochen wird, ob die Regierung die Steuerreform vorzieht.

Und das geschieht mehrmals täglich, weil zugleich Berater oder Abgeordnete oder andere Menschen mit wichtigen Positionen rund um die Regierung sich in Interviews und Hintergrundgesprächen für genau diesen Schritt einsetzen.

Konkrete Planungen gibt es also angeblich keine, aber selbst der Sprecher schließt nicht ausdrücklich aus, dass es letztlich doch dazu kommt. Wegen der lähmenden Stimmung und der schlechten Wirtschaftslage ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass der Kanzler und sein Finanzminister den Schritt trotz der leeren Staatskassen wagen.

Diskussionen seit November

Schon im vergangenen November, als der ersehnte Aufschwung immer noch auf sich warten ließ, beriet Eichel sich ausführlich mit seinen Experten. "Seither gibt es eine ernsthafte Diskussion", sagt ein hoher Beamter. Die Gespräche in der Regierung drehen sich um zwei entscheidende Fragen: Wie würden sich die zusätzlichen Löcher im Haushalt zumindest teilweise stopfen lassen? Und würde ein Vorziehen der Reform tatsächlich die Konjunktur ankurbeln?

Die geltende Gesetzeslage sieht vor, dass die vorletzte Stufe der Steuerreform im nächsten Jahr und die letzte im übernächsten Jahr greifen soll. Dies würde die Staatskassen ab 2004 jährlich sieben Milliarden Euro, ab 2005 weitere 18Milliarden Euro kosten und Bürger und Unternehmen gleichzeitig um diese Beträge entlasten.

Wenn also die letzte Stufe um ein Jahr vorgezogen wird, entsteht in den öffentlichen Haushalten ein einmaliges Minus von 18 Milliarden Euro. Deutschland verstößt dann auch 2004 gegen den Stabilitätspakt, allerdings in der Hoffnung, dass die vorgezogene Reform eine Aufbruchstimmung in der Wirtschaft erzeugt und sich nachträglich selbst finanziert.

Zustimmung der Union erforderlich

Zu verwirklichen wäre dies allerdings nur, wenn die Union im Bundesrat zustimmt. Dafür gibt es aber schon erste Signale - genauso wie von den Grünen, die lange sehr skeptisch waren, weil sie um den Konsolidierungskurs fürchteten.

Möglich erscheint ein überparteiliches Konzept, das die von der Opposition im Vermittlungsausschuss erweiterte Reformagenda des Bundeskanzlers enthält und unter einem Markennamen wie "Aufbruch für Deutschland" läuft. Eichel bräuchte, wenn er die Steuerreform vorzieht, ein begleitendes Sparpaket, um die Kontrolle über den Haushalt nicht ganz zu verlieren. Zwar steht der Abbau von Subventionen längst auf der Agenda aller Parteien, er würde sich aber im nächsten Jahr wenn überhaupt nur begrenzt auswirken.

Schon auf der Regierungsklausur in zwei Wochen könnte eine Vorentscheidung fallen. Auf elegante Art ließe sich das Vorziehen der Steuerreform dann mit der Gemeindefinanzreform verbinden, die als ein Investitionsprogramm für die Kommunen vermarktet würde. Wen interessieren dann noch die Dementis von gestern? Pläne können sich nun einmal ändern.

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