Steuerpolitik:Friedrich Kirchhof oder Paul Merz?

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Der in die Kritik geratene Finanzexperte Paul Kirchhof hat beim Thema Steuern eine Tandem-Lösung mit Friedrich Merz vorgeschlagen. Ein Tandem macht nur Sinn, wenn beide strampeln, in die gleiche Richtung wollen und sich einig sind, wer lenkt. Ist dies bei der Einkommensteuer der Fall? Eine Analyse der beiden Steuermodelle.

Sven Böll

Im Einkommensteuerrecht ist viel von unterschiedlichen Tarifmodellen die Rede. Der Steuertarif gibt an, wie hoch die Steuerschuld unter Berücksichtigung der geltenden Steuersätze sowie der Bemessungsgrundlagen ist. Die zentralen Stellhebel sind somit die Bemessungsgrundlage und der Steuersatz.

Angela Merkel hatte vor Kirchhof lange Zeit auf Merz gesetzt (Foto: Foto: DDP)

Grund- und Arbeitnehmerfreibetrag

Die Bemessungsgrundlage legt fest, auf welchen Betrag der Steuersatz angewendet wird. Derzeit gibt es für alle Steuerzahler einen Grundfreibetrag von 7664 Euro und einen Arbeitnehmerfreibetrag von 920 Euro pro Jahr. Das heißt, ein Single zahlt derzeit erst ab einem Einkommen von über 8584 Euro Steuern, eine Familie mit zwei Kindern, in der beide Elternteile arbeiten, ab 17.168 Euro.

Neben Grundfreibetrag und Arbeitnehmerfreibetrag sind jedoch zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage weitere Steuersubventionen zu berücksichtigen. Wie viele es davon gibt, ist umstritten und hängt letztlich von der Zählweise ab. Paul Kirchhof hat in diesem Zusammenhang der Zahl 418 zu Berühmtheit verholfen.

Entscheidend ist nicht, wie viele Steuersubventionen es gibt. Vielmehr zählen zwei Aspekte: Zum einen gibt es mit Pendlerpauschale, Eigenheimzulage, Film- und Schifffonds zu viele Steuersubventionen, was zum Missbrauch des Systems führt. Zum anderen dienen viele Steuersubventionen insbesondere Gutverdienern. Das liegt daran, dass die meisten Abschreibungsmodelle nur bei hohen Steuersätzen attraktiv sind. So zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass die zehn Prozent Top-Verdiener im Schnitt nur 23 Prozent Einkommensteuer zahlen.

Status quo: Missbrauchsanfällig und ungerecht

Missbrauchsanfällig ist das System, da jeder Steuerzahler versucht, möglichst von den Steuersubventionen zu profitieren - Übervorteilung nicht ausgeschlossen. Das fängt damit an, den Fahrtweg zur Arbeit sehr großzügig zu bemessen und hört damit auf, die Wohnung im Haus der Eltern als doppelte Haushaltsführung zu deklarieren. Ungerecht ist das System, da die Ausnutzungsmöglichkeiten des oft zitierten kleinen Mannes eher gering sind. Selbst wenn er eifrig Belege sammelt, kommt er in der Regel nicht über den Pauschalbetrag von 920 Euro.

Sowohl Merz als auch Kirchhof wollen die Bemessungsgrundlage durch die vollständige Streichung von Steuersubventionen verbreitern. Das umfasst die Steuerbefreiung von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen ebenso wie die Pendlerpauschale. Den derzeitigen Grundfreibetrag, bis zu dem keine Steuern zu zahlen sind, wollen sie von 7664 Euro auf 8000 Euro erhöhen. Der wesentliche Unterschied zum Status quo besteht vor allem darin, dass der Grundfreibetrag nicht nur dem Steuerzahler zusteht, sondern jedem Familienmitglied - also auch dem Baby, Kind und Jugendlichen. Die beiden Steuer-Reformer wollen außerdem den Arbeitnehmerfreibetrag erhöhen: Merz auf 1000 Euro, Kirchhof auf 2000 Euro.

Mit anderen Worten: Der Single würde erst ab 9000 bzw. 10.000 Euro (8000 Euro Grundfreibetrag plus 1000 bzw. 2000 Euro Arbeitnehmerfreibetrag) und die Familie mit zwei Kindern und zwei erwerbstätigen Eltern ab 34.000 bzw. 38.000 Euro (32.000 Euro Grundfreibetrag plus 2000 bzw. 4000 Euro Arbeitnehmerfreibetrag) Steuern zahlen. Das wären monatlich über 2800 Euro bzw. 3100 Euro netto.

Abschaffung des linear-progressiven Tarifs

Friedrich Merz möchte, dass die Steuererklärung auf einen Bierdeckel passt (Foto: Foto: dpa)

Der Steuersatz legt fest, mit welchem Prozentsatz die jeweilige Bemessungsgrundlage besteuert wird. Derzeit gibt es einen linear-progressiven Tarif. Er setzt bei 15 Prozent ein und endet bei 42 Prozent. Der Spitzensteuersatz beginnt bei einem Einkommen von mehr als 52.152 Euro.

Merz und Kirchhof wollen den derzeitigen linear-progressiven Tarif ersetzen: Merz durch einen Stufentarif mit 12, 24 und 36 Prozent und Kirchhof durch einen Einheitssteuersatz von 25 Prozent, der jedoch auch auf einen Stufentarif hinausläuft.

Merz und Kirchhof wollen Stufentarif

Bei Merz gilt folgende Regel: Die ersten 8000 Euro des zu versteuernden Einkommens - also bei der zuvor genannten Familie das Einkommen zwischen 34.001 und 42.000 Euro - werden mit zwölf Prozent versteuert, die nächsten 24.000 Euro mit 24 Prozent und die dann folgenden 32.000 Euro mit 36 Prozent. Dieser Spitzensteuersatz würde beim zuvor erwähnten Single erst ab 41.000 Euro und der oben genannten Familie erst bei einem Einkommen oberhalb von 66.000 Euro greifen.

Kirchhof spricht zwar von einer so genannten flat tax, schlägt im Kern aber auch einen Stufentarif vor. Dies liegt darin, dass in seinem Modell die ersten 5000 Euro oberhalb des steuerfreien Grundbetrags von 10.000 Euro nur zu 60 Prozent und die nächsten 5000 Euro nur zu 80 Prozent der Besteuerung unterliegen. Das führt beim Single etwa dazu, dass zwischen 10.001 und 15.000 Euro ein Steuersatz von 15 Prozent und zwischen 15.001 und 20.000 Euro ein Steuersatz von 20 Prozent gilt. Der Spitzensteuersatz von 25 Prozent greift somit beim Single erst ab einem Einkommen oberhalb von 20.000 Euro, bei der vierköpfigen Familie entsprechend oberhalb von 48.000 Euro.

Im positiven Sinne radikal

Kirchhof und Merz sind in ihren Ansätzen im positiven Sinne radikal. Durch die vollständige Abschaffung der Steuersubventionen wollen sie die Bemessungsgrundlage verbreitern. Durch ihren radikalen Ansatz gehen sie dem Vorwurf aus dem Weg, nur bestimmten Interessengruppen zu dienen.

Das ist der richtige Weg. In punkto Bemessungsgrundlage sehen beide auch ein gerechteres System als den Status quo vor. Denn heute ist der Ehrliche - d.h. derjenige, der sich keinen Steuerberater leisten kann oder will - bei der Steuererklärung in vielen Fällen der Dumme. Dass es dabei etwa Schichtarbeiter gibt, die bei Merz und Kirchhof ein höheres zu versteuerndes Einkommen haben, ist geradezu zwangsläufig.

Deshalb sind beide Vorschläge schnell dem Vorwurf "sozial ungerecht" ausgesetzt. Die Verteilungsgerechtigkeit kann jedoch auch über die Höhe des Steuersatzes gesteuert werden. Und hier richtet sich das Modell von Merz mit Sätzen von 12, 24 und 36 eher den deutschen Vorstellungen von Leistungsgerechtigkeit als der Spitenzensteuersatz in Höhe von 25 Prozent bei Kirchhof.

Sowohl Merz als auch Kirchhof wollen aber durch ihr Modell insbesondere Familien besser stellen. Ob sie dieses Ziel aber erreichen, hängt insbesondere davon ab, ob etwa das Kindergeld abgeschafft wird oder nicht. Denn dieses macht bei einer Familie mit zwei Kindern knapp 3700 Euro im Jahr aus. Dies führt dazu, dass eine solche Familie schon heute bis zu einem Jahreseinkommen von 33.000 Euro faktisch keine Steuern zahlt.

Beide strampeln, aber Merz lenkt

Kirchhof und Merz strampeln beide und wollen auch in die gleiche Richtung. Was die politischen Durchsetzungsmöglichkeiten angeht, dürfte Merz aber vorne sitzen und das Tandem lenken. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit und damit aber auch der Umverteilung innerhalb des Systems ist eine politische Entscheidung. In einem strikt vereinfachten Steuermodell, wie es der Heidelberger und der Sauerländer vorschlagen, ist es aber jederzeit und ohne großen Aufwand möglich, an der Steuersatz-Schraube zu drehen.

Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Union in ihrem Wahlprogramm die Vorschläge von Merz nicht eins zu eins umgesetzt hat. Insbesondere auf Druck der CSU will sie zunächst am linear-progressiven Tarif festhalten.

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