Steuern:Das Geldversteck am Affenfelsen

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Die EU will Steueroasen austrocknen, doch das ist schwer, wie der Fall Gibraltar zeigt: Kaum ist ein Schlupfloch geschlossen, hat der Zwergstaat ein neues geöffnet.

Gerd Zitzelsberger

So also sieht das Ende eines Steuerparadieses aus: Eben noch hat James Tipping doziert, wie es jetzt Abertausenden von Briefkastenfirmen an den Kragen geht. Ex-Investmentbanker Tipping ist der Beauftragte des Regierungschefs von Gibraltar für die Finanzbranche, und Briefkastenfirmen waren früher deren wichtigster Teil.

In Gibraltar gibt es viele Affen. Und noch mehr Steuerschlupflöcher. (Foto: Foto: dpa)

Noch immer gibt es 35.000 - mehr als Gibraltar Einwohner hat. Sie haben der winzigen Landzunge ganz im Süden Spaniens in den letzten 40 Jahren einen schlechten Ruf und gutes Geld eingebracht.

Eine Stunde später aber bugsiert uns Tipping vom Konferenztisch zur Glasfront seines Büros im siebten Stock. "Zählen Sie mal die Kräne", sagt er stolz, und seine ausgestreckte Hand bewegt sich von Ost nach West. Tatsächlich drängen sich mehr Kräne zwischen Affenfelsen und Meer, als man von der Londoner Tower Bridge aus sieht. "Wir wachsen, so schnell wir können."

Drei Etagen tiefer im selben Bürokomplex erzählt Heiko Müller ebenfalls von den neuen Chancen und nicht vom Niedergang eines Steuerparadieses: "Gibraltar hat die Vision, zu einem zweiten Monaco zu werden."

Hase-und-Igel-Spiel

Müller ist Geschäftsführer bei Investorseurope, einer Firma, die nicht nur einen Briefkasten in Gibraltar hat, sondern ihren tatsächlichen Geschäftssitz: Sie führt für Kunden aus ganz Europa Börsengeschäfte aus. In der ehemaligen Kronkolonie haben zwar deutsche Banken keine Dependancen.

Aber die Finanzdienstleister auf dem Landzipfel stellen verstärkt deutschsprachige Jung-Manager ein - wegen der vielen Kunden aus Deutschland, die nicht nur als Touristen kommen.

Es ist ein Hase-und-Igel-Spiel, das in Gibraltar zu beobachten ist: Mit internationalen Vereinbarungen, Gerichtsverfahren und Druck versuchen Deutschland, andere große Staaten und die EU-Kommission, die Schlupflöcher zur Steuerflucht zu stopfen. Zum Beispiel mit der Quellensteuer und den seit Sommer 2005 fälligen Kontrollmitteilungen über Zinseinkünfte.

Alle europäischen Steuerparadiese und etliche überseeische Oasen führten vergleichbare Regeln wie die EU-Staaten ein. Auch Gibraltar ist deshalb nicht mehr die Oase, die sie einmal war. Aber vornehmlich ändert sich nur das Aussehen der Schlupflöcher, weniger deren Größe. ,,Eine Tür geht zu, und eine andere geht auf'', heißt ein britisches Sprichwort, und die Elite Gibraltars denkt very british.

Eine Hintertür kennt zum Beispiel die dänische Jyske Bank in der Altstadt des Zwergstaats. "Natürlich müssen wir das melden, wenn Sie als Deutscher hier Zinsen vereinnahmen", sagt Beraterin Ulla Jones in der Dependance gelassen. Doch dem Geschäft scheint das nicht zu schaden.

Die Büros über der Schalterhalle sind mit teurem Holz und modernsten Bildschirmen ausgestattet, und inzwischen arbeiten in der Niederlassung 100 Mitarbeiter - wohl auch, weil Jones ein Rezept gegen die Kontrollmitteilungen hat: "Sie gründen eine Firma in Belize oder auf den British Virgin Islands."

Der Kniff dabei: Gehört das Geld keiner Privatperson, sondern einer Firma, müssen die Banken keinen Zinsabschlag einbehalten. Das Unternehmen selbst unterliegt dem Steuerrecht von Belize, und dort, in Mittelamerika, herrschen Verhältnisse wie früher in Gibraltar.

Aber um eine Firma in Belize zu gründen, muss man doch nicht nach Gibraltar fliegen? "Die Kollegen in unserer Hamburger Filiale hätten Ihnen diese Lösung sicher nicht angeboten, in Deutschland sind die Vorschriften strenger", kontert Jones.

Natürlich ist das keine Konstruktion für Durchschnittsanleger, Gibraltar ist kein Paradies für Normalsparer: Mit 700 Dollar Kosten pro Jahr muss man für die Firma schon rechnen. Es können aber auch mehr sein. Hinzu kommen bei solchen Bankfilialen für Steuersparer noch happige Gebühren.

Fremde Fluchtburgen

Die Mundwinkel von Peter Montegriffo verziehen sich säuerlich, als er von der Idee mit der Belize-Gesellschaft hört. Der Anwalt und frühere Wirtschaftsminister, der als möglicher künftiger Regierungschef des Ländchens gilt, hat nichts gegen "Steuereffizienz", wie das Tarnwort hier heißt.

Aber viel gegen fremde Fluchtburgen. Montegriffo ist Senior-Partner bei der Rechtsanwaltskanzlei Hassans. Deren Gründer war jahrzehntelang Regierungschef des Zwergstaates. Heute lassen sie bei Hassans regieren: "Gegen Hassans und Triay & Triay läuft in Gibraltar nichts", erzählt Heiko Müller. Triay & Triay ist mit ihrer 100-jährigen Tradition die zweitgrößte Anwaltskanzlei, ebenfalls im Familienbesitz, und derzeit stellt sie quasi den Regierungschef.

Beide Kanzleien achten penibel darauf, dass Gibraltar als Steuerspar-Standort attraktiv bleibt, auch wenn sie nie öffentlich von einer Fluchtburg sprechen würden. Sicher, der Regierungsbeauftragte Tipping hat am Vortag doziert, dass die Regierung ausländischen Briefkastenfirmen keine Genehmigungen mehr gebe.

Für "steuerbefreite Gesellschaften", wie die Briefkastenfirmen offiziell heißen, läuft das Sparmodell damit zum Jahresende 2010 aus. Außerdem wird Gibraltar künftig auf Druck der EU ausländische Firmen steuerlich nicht mehr besser stellen als inländische. Doch der Zwergstaat weiß sich zu helfen - mit neuen Schlupflöchern.

Schiere Masse

Gibraltar werde, so Tipping, jetzt generell die Gewinnsteuer senken. Außerdem hat das Ländchen mittlerweile in aller Stille die Regel eingeführt, dass Zins- und Dividendeneinnahmen generell für Inländer wie Ausländer steuerfrei bleiben. Montegriffo sagt deshalb: ,,Für Sie ändert sich doch gar nichts. Oder wollen Sie denn hier Semmeln verkaufen?''

Mit anderen Worten: Die Briefkastenfirmen - die ja nur Sammelbecken für Zins- und Dividendeneinnahmen sind - werden auch künftig nicht einmal einen Briefkasten benötigen. Ihr Leben spielt sich lediglich auf ein paar Blättern in den Aktenregalen der Anwälte und Banken ab.

Und Gibraltar kann weiter mit ihnen Geld verdienen. Jede Einzelne bringt dem Fiskus nur eine pauschale Jahresgebühr um die 400 Euro. Die schiere Masse aber macht daraus eine nette Einnahmequelle für den Zwergstaat.

Aus Brüssel droht allerdings bereits neuer Ärger. Am Mittwoch kreuzten die EU-Kommission und Gibraltar vor dem Europäischen Gerichtshof die Klingen. Der Grund: Brüssel verlangt, dass Gibraltar kein günstigeres Steuersystem haben dürfe als Großbritannien.

Ganz Gibraltar findet das gleichermaßen beleidigend wie geschäftsschädigend. London macht zwar die Außenpolitik des Ländchens. ,,Wir wollen auch unter britischer Souveränität bleiben. Aber eine Kolonie'', sagt Regierungschef Peter Caruana, ,,ist Gibraltar seit der neuen Verfassung Anfang dieses Jahres nicht mehr, sondern eben eigenständiges Territorium.'' Das heißt vor allem: Mit dem Recht auf ein eigenes Steuersystem.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird noch Monate auf sich warten lassen. Aber Gibraltar hat gute Karten. Die Investoren jedenfalls sind so siegessicher wie der Regierungschef: An jeder Ecke in Gibraltar wird betoniert und gebaggert. Dabei gibt es praktisch keine freien Flächen mehr, ausgenommen die geschützten Steilhänge hinauf zum Affenfelsen.

Groß wie Senftenberg

Nur gut fünf Kilometer lang ist die Landzunge und mehr als einen Kilometer breit. Der Platz ist so eng, dass die wichtigste Straße quer über die Rollbahn des Flughafens führt. Beinahe jede Stunde kommt der Verkehr zum Stehen, weil ein Airbus startet oder eine Militärmaschine landet.

Die Hafenarbeiter früherer Zeiten wohnten in einstöckigen Häuserzeilen. In den siebziger Jahre wurden sie durch drei- und viergeschossige Wohnblocks ersetzt.

Heute bauen sie Hochhäuser - in einem Städtchen knapp so groß wie Garmisch-Partenkirchen oder Senftenberg. Und stapeln reicht schon nicht mehr: In Planung ist ein Riesen-Komplex mit Hotel, Appartements, Läden und eigenem Kraftwerk, der an die drei Milliarden Euro kosten dürfte.

Den Platz dafür wird man mit Hilfe spanischen Bauschutts dem Meer abringen. Erstaunlich ist nur, dass viele der neuen Wohnungen abends dunkel bleiben.

Das Rätsel löst Chris, der als Investmentbanker in London wohlhabend geworden ist. Seinen vollen Namen will er lieber nicht zitiert sehen, denn ein bisschen schlechtes Gewissen macht ihm sein Schlupfloch doch, auch wenn er sagt: "Ich habe mich ganz ordentlich beim Finanzamt abgemeldet. Steuerlich bin ich jetzt Weltreisender." Tagsüber spekuliert er in Gibraltar auf eigene Rechnung mit Aktien und Finanzwetten.

Abends fährt er in sein Haus hinüber nach Spanien - dort wohnt er nahe am Meer, weit billiger und großzügiger. Sicherheitshalber hat er noch eine kleine Wohnung in Gibraltar, die er mit Kollegen teilt.

Steuerpflichtig, sagt Chris, sei er weder hüben noch drüben: ,,Ich bin weniger als ein halbes Jahr in Spanien und weniger als ein halbes Jahr in Gibraltar, ein bisschen Urlaub muss ja auch sein.'' Chris ist kein Einzelfall: In Gibraltar haben sich nach Schätzung der Times an die 600 Börsenhändler niedergelassen - nicht zuletzt der Steuern wegen; zum Vergleich: Im Frankfurter Börsensaal agieren um die 70.

Keine Weltreise

Chris und seine Kollegen bilden inzwischen den harten Kern der europäischen ,,day-trader'': Sie handeln auf eigene Rechnung, nutzen kleine Kursschwankungen aus, und wenn es an der Börse oder den Devisenmärkten heftig auf und ab geht, dann schlagen sie zu.

Britische Firmen wie Marex haben eigens Handelsräume für diese Händler eingerichtet, und die Aufträge aus Gibraltar sind so in die Höhe geschnellt, dass die Deutsche-Börse-Tochter Eurex und die Chicagoer Terminbörse dort inzwischen eigene Zugangs-Computer aufgestellt haben.

Ausländer mit noch größerem Bankkonto als Chris müssen nicht einmal für den Fiskus auf Weltreise gehen. Ihnen bietet die Landzunge zumindest in steuerlicher Hinsicht eine einmalige Heimat - sprich ein ganz offizielles Schlupfloch: Mit einer Pauschale von höchstens 30000 Euro ist Gibraltars Fiskus zufrieden - sofern man wenigstens drei Millionen Euro besitzt und eines der dunklen Apartments gekauft oder gemietet hat.

Nur eine Sorte von Millionären ist der Regierung nicht willkommen: die aus Spanien. ,,Es ist nicht gut, mit dem großen Nachbarn (gemeint ist Spanien) Ärger zu bekommen'', sagt Montegriffo.

Noch gibt es erst 340 Genehmigungen für eine solche Pauschalsteuer. Doch alle rechnen mit weiterem Zuzug von Millionären: Auf dem Reißbrett steht bereits der erste Hochhaus mit 19 Stockwerken.

© SZ vom 17.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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