Standortverlegung:Streik statt Sozialplan

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Verdi setzt auf eine neue Strategie im Kampf für Abfindungen bei Standortverlegung.

Jonas Viering

Die streikerfahrenen Metaller von Infineon eilten ihren Kollegen von Verdi zur Hilfe. Im Arbeitskampf bei dem Gelddrucker und Chipkartenhersteller Giesecke&Devrient im bayerischen Louisenthal stellten die Mitglieder beider Gewerkschaften für ein paar Stunden am Donnerstag gemeinsam Streikposten auf.

Und das war mehr als nur das übliche Symbol der Solidarität. Die IG Metall ist für Verdi das Vorbild bei einer für die Dienstleistungsgewerkschaft neuen Streikstrategie - die im Arbeitgeberlager erhebliche Unruhe auslöst.

Giesecke&Devrient will die Kartenfertigung aus Kostengründen in die billigere Slowakei verlagern. Nach Firmenangaben sind 160 Mitarbeiter betroffen, die Gewerkschaft spricht von 240.

"Gute Abfindung"

Für hundert der Beschäftigten seien Stellen anderswo im Konzern gefunden worden, erklärte eine Sprecherin. Für die Übrigen sei ein Sozialplan angeboten worden: Ein Jahr sollten sie in einer Transfergesellschaft qualifiziert und nach Möglichkeit in Jobs vermittelt werden. "Wer danach noch nichts hat, der soll eine gute Abfindung bekommen", so die Sprecherin.

Verdi schildert den Arbeitgeber als deutlich weniger entgegenkommend. Der entscheidende Punkt aber ist: Statt dass der Betriebsrat weiter über den Sozialplan verhandelt, fordert die Gewerkschaft nun einen Sozialtarifvertrag.

Damit macht Verdi die Frage der Abfindungen streikfähig - zum ersten Mal, so heißt es in Arbeitgeberkreisen; die IG Metall setze schon seit knapp zwei Jahren auf diese Strategie. Zuletzt erstritt sie damit bei der bevorstehenden Schließung des Infineon-Werks in München sehr hohe Zahlungen des Arbeitgebers. Der Betriebsrat nämlich darf keinen Arbeitskampf organisieren.

Grundsätzlich gilt auch für die Gewerkschaft bei Giesecke&Devrient die Friedenspflicht, weil die Firma im Flächentarif ist, und der ist nicht gekündigt. "Wir kommen da nur raus, wenn wir etwas zum Konfliktthema erklären, was nicht im Flächentarif geregelt ist", erklärt der Chef der Abteilung Tarifpolitik im Verdi-Bundesvorstand, Jörg Wiedemuth. Da brauche es "etwas Fantasie", um "dem Druck von Stellenabbau und Verlagerung" etwas entgegen zu setzen. Voraussetzung sei allerdings, dass die Belegschaft wirklich kampfbereit sei.

Arbeitgeber empört

Unternehmer halten das für rechtswidrig - auch wenn bislang sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch zwei Landesarbeitsgerichte die vor allem von der IG Metall verfolgte Strategie für legal erklärt haben. "Die Tarifautonomie wird hier von den Gewerkschaften selbst in Frage gestellt", empört sich Roland Wolf, Chefjurist der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). "Da fragt sich doch der Arbeitgeber", warum er im Verband und in der Tarifbindung sein solle, "wenn er dann trotzdem bestreikt wird".

Das Betriebsverfassungsgesetz stelle ein Regelwerk für die Einigung auf Sozialpläne bereit. Die Gewerkschaften aber, das ist der Trend, umgehen dies. Das Vorgehen beider Seiten im Konflikt wird härter - so wie auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen härter werden. In jedem Fall verlagern sich die Konflikte stärker in die Betriebe.

© SZ vom 11.11.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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