Stahlbranche:Ein Fabriksken im Keller

Lesezeit: 4 min

An den Stahlwerken will Thyssenkrupp nur noch mitbeteiligt sein. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Tausende Firmen verarbeiten in Deutschland Stahl und Metall weiter - auch in der südwestfälischen Provinz. Die Unternehmen sind klein, haben aber Erfolg mit Nischenprodukten

Von Valentin Dornis, Eslohe-Kückelheim

Vom Dorf aus kann man die Fabrik gut sehen, hinter den Fachwerkhäusern, inmitten des sauerländischen Waldes. Mit weißen Wänden und dunklem Dach liegen die Hallen dort, eingeklemmt zwischen zwei Hügeln. Die großen LKW, die hier über die schmalen Landstraßen donnern, lassen es schon vorausahnen: In Eslohe-Kückelheim ist es nicht nur beschaulich, hier wird auch kräftig produziert. Die Firma Kettenwulf, der die Fabrik gehört, stellt Ketten für Motorräder, Rolltreppen oder Förderanlagen her. Von Kückelheim am südwestlichen Rand Nordrhein-Westfalens beliefert sie ihre weltweiten Kunden. Und ist damit einer von zahlreichen Betrieben, die einen wichtigen Teil der deutschen Stahl- und Metallindustrie ausmachen.

Die Branche ist sehr abhängig von der Entwicklung der Preise am Weltmarkt

Beim Thema Stahl geht es in Deutschland häufig um die Sorgen in der Produktion, weltweite Überkapazitäten und den Bedeutungsverlust der traditionsreichen Stahlindustrie. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Denn Tausende Betriebe verarbeiten den Stahl weiter - zu Federn, Schrauben, Ketten, speziellen Autoteilen. Sie haben sich mit Nischenprodukten in hart umkämpfen Märkten etabliert. Etwa 40 Prozent der Menge des in Deutschland hergestellten Stahls werden auch hier verarbeitet, schätzt der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung (WSM), also fast 20 Millionen Tonnen pro Jahr. Zwar ist die Branche sehr abhängig von der Entwicklung der Preise. Doch das Jahr 2017 lief insgesamt gut, die aktuellsten Konjunkturdaten des WSM aus dem Herbst zeigen bis Oktober mehr als fünf Prozent Zuwachs bei Produktion und Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das Auftragsvolumen nahm demnach sogar um 8,3 Prozent zu, entsprechend positiv blicken die Unternehmen auf das Jahr 2018. Etwa die Hälfte der Stahl und Metall verarbeitenden Betriebe sitzt laut WSM in Nordrhein-Westfalen. Die Nähe zu den großen Stahlherstellern an Rhein und Ruhr war immer ein Standortvorteil: Von den Werken in Duisburg oder Bochum wurde der Stahl zur Weiterverarbeitung direkt in die Städte und Dörfer des Landes transportiert, wo er geschmiedet, gewalzt, gestanzt, gezogen oder geschweißt wurde. Auch in Südwestfalen, wo nach einem Sprichwort früher "jeder ein Fabriksken im Keller" hatte.

Der Strukturwandel hat die Region nicht verschont. Die meisten Betriebe sind klein

Zwar hat der Strukturwandel auch diese Region nicht komplett verschont, doch hier wird noch immer sehr viel Stahl und Metall verarbeitet, bei Kettenwulf, dem Armaturenhersteller Dornbracht oder dem Sicherheitstechnik-Unternehmen Abus. Die örtlichen Handelskammern zählen mehr als einhundert Marktführer, die Produkte für Autofirmen, Maschinenbauer und Endverbraucher herstellen.

Die Zahlen klingen nach großer Industrie, etwa 500 000 Menschen arbeiten in Deutschland in der Stahl- und Metallverarbeitung. Doch die meisten der Betriebe sind eher klein, haben nur wenige Hundert Mitarbeiter. Auch Kettenwulf bewegte sich lange in dieser Größenordnung: 1925 wurde die Firma gegründet, als kleine Schmiede in Kückelheim, erzählt Geschäftsführerin Julia Wulf. Ihr Urgroßvater, ursprünglich Landwirt, begann damals gemeinsam mit seinem Bruder für die umliegenden Bauern Ketten herzustellen. In der Erntezeit stand der Betrieb still, weil alle auf den Feldern helfen mussten. In den vergangenen 40 Jahren, mit dem Einstieg von Julia Wulfs Vater Günter in das Geschäft, begann die Firma enorm zu wachsen. Die Zahl der Mitarbeiter und auch der Umsatz stiegen kontinuierlich. Heute setzt die Firma etwa 160 Millionen Euro im Jahr um, etwa 1600 Menschen arbeiten weltweit für Kettenwulf. Immerhin 620 davon immer noch in Kückelheim im Sauerland.

Dort steht die Zentrale, samt Verwaltung und Produktionshallen, eingeklemmt zwischen zwei steilen Hügeln. In Richtung Westen hat sich das Unternehmen schon in den Fels gegraben, doch viel mehr ist an diesem Ort nicht drin - ein neues Zwischenlager, das über mehrere Stockwerke in die Höhe gebaut wurde, soll immerhin etwas Luft verschaffen. Zwar sei das Wachstum auch weiterhin eines der wichtigsten Ziele des Unternehmens, "allerdings geschieht das eher durch Internationalisierung", sagt Julia Wulf.

Aus dem heimischen Sauerland in die Welt - ein Schritt, den in der Branche nicht alle wagen. Je kleiner der Betrieb, desto größer das Risiko, ins Ausland zu gehen. "Örtliche Entscheidungswege sind nicht immer transparent", sagt Christian Vietmeyer, Geschäftsführer des WSM. Gerade bei der Expansion nach Asien sei eine gründliche Planung und Beratung wichtig. Denn die Stahl und Metall verarbeitende Industrie hat sich über Jahrzehnte einen Wert geschaffen, den es zu schützen gilt: ihr Wissen. Die Betriebe sind hochspezialisiert, können das Material effizient bearbeiten und zu extremen Höchstleistungen in den verschiedensten Anwendungsgebieten treiben. Diese Ingenieursleistung ist weltweit gefragt, das setzt die Branche unter Druck. Entweder, die Betriebe besetzen die Märkte selbst, oder die lokalen Anbieter holen mittelfristig auf, zum Beispiel in China. Diesen Druck spürte auch Kettenwulf. Das Unternehmen verkauft seine Antriebsketten für Rolltreppen an große Hersteller wie Thyssen, Otis oder Schindler, die vom Bau-Boom in China profitieren und Einkaufszentren, Bahnhöfe und Flughäfen mit Rolltreppen ausstatten. "Die Hersteller haben klar gesagt: Sie wollen Kooperationspartner, die auch vor Ort sind", sagt Julia Wulf.

Ihr Unternehmen stand unter Zeitdruck, gründete 2002 ein Joint Venture mit einer chinesischen Firma. "Die Außenhandelskammer hatte uns zwar davon abgeraten. Aber wir waren damals ein Unternehmen mit 500 Mitarbeitern. Wir konnten nicht einfach eine Abteilung für ein Jahr nach China schicken und sagen: Baut das mal für uns auf." Doch kurze Zeit später fiel die Entscheidung, sich nicht dauerhaft von den lokalen Partnern abhängig zu machen. Heute ist das ehemalige Joint Venture eine Hundertprozentige Tochter von Kettenwulf. "Wir versuchen, bei aller Internationalisierung, unser Wissen zu schützen", sagt Julia Wulf. Alles wird zentral von Deutschland aus gesteuert, hier entscheiden die Fachleute, welche Daten nach China und an die anderen Standorte freigegeben werden.

Für die kommenden Jahre hat das Unternehmen große Pläne, will einen weiteren Standort in Asien aufbauen. In Kückelheim glauben sie jedenfalls daran, dass trotz aller Unwägbarkeiten gute Jahre auf die Branche warten könnten.

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: