Stabilitätspakt:Auf zum nächsten Kampf

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Die Szene erinnert an einen Boxkampf nach dem Schlussgong: Beide Fighter, Hans Eichel wie die Brüsseler Kommission, stehen noch auf den Beinen - und beide behaupten tapfer, sie hätten gewonnen. Schließlich sei man ja nicht K.O. gegangen. Doch Eichel muss als Verlierer nach Punkten jetzt eine Revanche anbieten.

Von Christian Wernicke

Im Streit um den Stabilitätspakt ist die EU-Kommission Sieger nach Punkten - nun braucht sie den Kompromiss mit dem Ministerrat

So jedenfalls klingt es, wenn der deutsche Finanzminister am Dienstag das Urteil der Luxemburger EU-Richter als "sehr weise" lobt und dann die Faust reckt: "Die Finanzminister sind und bleiben die Herren des Defizitsverfahren".

Das stimmt - nur stimmt genauso, was zur selben Stunde Kommissions-Chef Romano Prodi "sehr, sehr froh" in Brüssel feststellt: dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) jenen Freibrief, den die Euro-Finanzminister im November vorigen Jahres den Berliner Haushaltssündern ausgestellt hatten, für null und nichtig erklärt hat.

Freunde des Faustsports würden sagen: Hans Eichel wurde zwar nicht ausgezählt. Aber er ist, zusammen mit seinen europäischen Amtskollegen im EU-Ministerrat, eindeutig der Verlierer nach Punkten.

Neue Regeln

Fest steht seit Dienstag auch: Es wird einen neuen Kampf geben, nach neuen, nunmehr vom EuGH präzisierten Regeln. Die Frage nämlich, wie es weitergehen soll mit dem Stabilitätspakt und mit Regierungen, deren Budgets drei Jahre hintereinander die Defizit-Schwelle von drei Prozent des nationalen Sozialprodukts übersteigen - diese Frage haben die Luxemburger Richter offen gelassen.

Das müssen die Gegner von gestern beantworten. Und zwar gemeinsam. Der EuGH hat nur gesagt, wie es eben nicht geht: im Alleingang, also frei nach Belieben der Kommission oder des Ministerrats.

Genau das war im November 2003 geschehen. Da präsentierte Brüssels damaliger Währungskommissar Pedro Solbes den Finanzministern eine Empfehlung, die gemäß Artikel 104, Absatz 8 und 9 des EU-Vertrags den Regierungen in Paris und Berlin Zwangsmaßnahmen zur Haushaltssanierung auferlegt hätte.

Bei Missachtung hätte dies gar den Weg zu Geldbußen geebnet. Dafür fand Solbes aber unter den Minister keine Mehrheit. Und weil Solbes sich zugleich weigerte, der Ratsrunde eine weniger drakonische, mithin mehrheitsfähige Beschlussvorlage aufzuschreiben, kam es zu gar keinem Beschluss.

Denn für den anderen, nun auch vom EuGH anerkannten Ausweg - dass die Regierungen die Kommissionsempfehlung in ihrem Sinne korrigierten - zeichnete sich unter den zerstrittenen Ministern ebenfalls nicht die nötige Mehrheit ab.

Hätten Hans Eichel & Co. es am 25. November dabei belassen, wäre alles rechtens, die Strafverfahren gegen Berlin und Paris wären blockiert gewesen.

Aber in einem Akt, den die Luxemburger Richter gestern nun gleichsam als Amtsanmaßung geißelten, legten die Minister nach: Der damalige Ratsvorsitzende, Italiens Finanzminister Giulio Tremonti, zog ein neues Papier aus der Aktentasche, Deutschland und Frankreich wurden per "Schlussfolgerung" des Ministerrats von den jeweils elf Euro-Partnern vom Vorwurf der Haushaltssünde freigesprochen.

Den ganzen Ministerrat vor den Kadi gezerrt

Kommissar Solbes protestierte, weil dieses Verfahren die Regeln des EU-Vertrags sprengte. Und weil er fürchtete, dass ihm so seine schärfste Waffe im Brüsseler Machtkampf - das so genannte Initiativ-Monopol der Kommission für derartige Beschlüsse - aus der Hand geschlagen würde. Also zerrte die Kommission den gesamten Ministerrat vor den Kadi. Und bekam Recht.

Die Beschlüsse vom 25. November sind hinfällig. Also gilt, was vorher galt: dass Berlin bis Ende 2004 sein Defizit unter drei Prozent drücken muss.

Das ist unmöglich, das weiß auch Brüssel. Also rüsten sich Rat und Kommission nun für den Rückkampf: Sie müssen einen Kompromiss finden, der den Stabilitätspakt rettet und zugleich die Gesichter beider Boxer wahrt.

© SZ vom 14.07.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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